Italiens Bankenkrise: Lunte am Pulverfass EU

Von Ernst Wolff.

Während die internationale Öffentlichkeit wie gebannt auf den Brexit und seine Folgen starrte, haben sich in der vergangenen Woche anlässlich der italienischen Bankenkrise hinter den Kulissen der EU dramatische Vorgänge abgespielt. Sie zeigen, dass nationale Regierungen und EU-Bürokratie aus Angst vor der Reaktion der Bevölkerung davor zurückschrecken, die von ihnen selbst zur Aufrechterhaltung des Bankensystems eingeführten rechtlichen Regelungen des Bail-in durchzusetzen. Diese Kapitulation bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die Endphase der EU eingeläutet ist. Um die Hintergründe und die Tragweite der Geschehnisse zu verstehen, hier zunächst ein Blick auf die Situation der italienischen Banken:

Italienische Banken in tiefer Krise

Die italienischen Banken befinden sich seit Längerem in einer tiefen Krise. Sie führen nach offiziellen Angaben faule Kredite in Höhe von 360 Mrd. Euro in ihren Bilanzen. Erst im Dezember griff die Regierung in Rom ein und rettete vier regionale Banken vor der Insolvenz. Sie griff dazu auf das in der EU eingeführte Bail-in zurück und erleichterte ca. 150.000 Aktionäre und Anleihegläubiger um die runde Summe von 750 Mio. Euro.

Die italienische Bevölkerung quittierte die Enteignungs-Maßnahme mit so heftigen Protesten, dass sich die Regierung in Rom gezwungen sah, nach anderen Wegen zu suchen, um weitere Bankenpleiten abzuwenden. Im April dieses Jahres drängte sie mit Unterstützung der Zentralbank mehrere Finanzinstitute, einen Rettungsfonds mit dem Namen „Atlante“ aufzulegen. Trotz des von staatlicher Seite ausgeübten Drucks kamen statt der geforderten 5 bis 6 Mrd. Euro nur 4,8 Mrd. zusammen. Wegen der Skepsis der Investoren scheiterte der Fonds bereits an seiner ersten Aufgabe, einer Kapitalerhöhung der Banca Popolare di Vicenza.

Da die italienischen Banken seit Jahresbeginn im Schnitt bereits 40 % ihres Aktienkurses verloren hatten und diese Verluste im Zuge des Brexit-Votums in Einzelfällen auf bis zu 75 % zunahmen, wandte sich Premier Renzi nach dem Brexit-Votum der Briten erneut mit einem dringenden Hilferuf an die EU. Mit Hinweis auf die Gefahr einer Panik unter Investoren und einen Banken-Run verlangte er 40 Mrd. Euro, um die Finanzinstitute seines Landes mit einer direkten Kapitalinjektion oder durch gedeckte Regierungsgarantien zu stützen.

Berlin sagt nein – die EU sagt ja

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble reagierten umgehend mit einer scharfen Ablehnung und forderten Renzi auf, erneut die geltende Bail-in-Regelung anzuwenden. Ihr kategorisches Nein überraschte nicht, denn Deutschland muss als größte Volkswirtschaft der EU für einen großen Teil der 40 Mrd. geradestehen.

Dann aber geschah Unerwartetes: Kaum hatten Merkel und Schäuble abgewinkt, da verkündete die EU-Kommission nach Rücksprache mit der EZB, man habe der Rom bis zum Jahresende geltende Staatsgarantien von bis zu 150 Mrd. Euro – also fast das Vierfache der Summe, die Renzi als Direktmaßnahme gefordert hatte – zugesagt. Wie hoch die unmittelbar zur Verfügung gestellte Summe ist, wurde geheimgehalten.

Die Verkündung der Unterstützungsmaßnahme sorgte für eine – zumindest vorübergehende – Erholung der Aktienkurse der italienischen Banken. Während die europäische Politik die Ereignisse fast kommentarlos überging, führten die meisten Medien sie auf ein taktisches Manöver der Regierung Renzi zurück: Diese habe die Tumulte um den Brexit und die Angst um das Auseinanderbrechen der EU benutzt, um sich das zur Rettung der eigenen Banken notwendige Geld zu besorgen.

In Wirklichkeit aber offenbaren die Vorgänge viel mehr. Zum einen zeigen die bereitgestellten 150 Mrd. Euro, welche Summe offenbar nötig ist, um Investoren zumindest bis zum Jahresende zu beruhigen. Zum anderen hat Premier Renzi die 40 Mrd. Euro als Direkthilfe nicht etwa verlangt, um das System zu stabilisieren, sondern um einen Run auf die Banken zu verhindern – ein Anzeichen dafür, dass nach dem Brexit akuter Handlungsbedarf bestand.

Der Vorgang als Ganzes wirft im übrigen einmal mehr ein deutliches Licht auf die wahren Machtverhältnisse in Europa: Wenn es um die Erhaltung des Finanzsystems geht, haben einzig und allein die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission das Sagen. Das heißt: Das Schicksal des Kontinents liegt dann nicht in der Hand gewählter Politiker, sondern in der Hand nicht gewählter, sondern von politischen Gremien in Absprache mit der Finanzindustrie ernannter Technokraten.

Die wichtigste Erkenntnis aber betrifft das Bail-in: Der Ablauf der Ereignisse in Italien zeigt, dass diese inzwischen in ganz Europa rechtlich verankerte Regelung im Ernstfall einen riesigen Haken hat: Sie ist in großem Stil nicht durchsetzbar. Auch hierzu eine kurze Erläuterung:

Bail-in funktioniert nur am Reißbrett

Als der Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) das globale Finanzsystem 1998 zum Einsturz zu bringen drohte, sprangen die Banken der Wallstreet ein und bewahrten ihn in einer gemeinsamen Rettungsaktion vor der Zahlungsunfähigkeit. Als mehrere Großbanken 2008 zusammenzubrechen drohten, sprangen die Regierungen ein und retteten die Banken mit Steuergeldern im Rahmen des sogenannten Bail-out. Da damals schon abzusehen war, dass eine weitere Krise noch höhere Summen verschlingen und die Staatshaushalte überfordern würde, suchten sämtliche Staaten der Welt nach einem Ausweg. Die Lösung wurde bald gefunden und hieß: Bail-in.

Banken, die von nun an in Schieflage gerieten, sollten nicht mehr durch das Geld der Steuerzahler, sondern durch die Beteiligung von Anleiheinhabern, Aktionären und Einlegern gerettet werden. Das Prinzip wurde weltweit gesetzlich verankert und gilt seit 2016 flächendeckend in der gesamten EU. Angewandt wurde es zum ersten Mal in Zypern, später in Italien, Portugal und Österreich.

Was sich allerdings bereits beim ersten Einsatz in Zypern andeutete, bestätigte sich bei der weiteren Anwendung in den anderen drei Ländern: Das Bail-in traf auf heftigsten Widerstand seitens der Bevölkerung. Während Großinvestoren ihre Gelder nämlich fast immer rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, war es fast ausschließlich der Mittelstand, der zur Kasse gebeten wurde.

So erzeugte insbesondere die Rettung der vier Banken in Italien im vergangenen Dezember einen Aufschrei in der gesamten Bevölkerung. Bedenkt man, dass es damals um die Summe von 750 Mio. Euro ging, während die italienische Regierung diesmal 40 Mrd. Euro – also mehr als das Fünfzigfache – forderte, so kann man sich vorstellen, welche Folgen ein Bail-in-Manöver in dieser Größenordnung im Gefolge des Brexit gehabt hätte: Es wäre zu möglicherweise nicht mehr beherrschbaren Protesten gegen die Regierung gekommen und hätte der Anti-EU-Bewegung solchen Rückenwind gegeben, dass ein Verbleib Italiens in der EU ausgeschlossen wäre. Kein Wunder also, dass nicht nur die Regierung Renzi, sondern auch die EU sich davor gescheut hat, zu diesem Mittel zu greifen.

Die Alternativen der EU: Gelddrucken bis zur Hyperinflation oder Anwendung von Gewalt

Rückwirkend betrachtet ist das Prinzip des Bail-in nichts anderes als der von Juristen und Wirtschaftlern am Reißbrett entworfene Versuch, ein längst zusammengebrochenes Finanzsystem künstlich am Leben zu erhalten. Sein entscheidender Schwachpunkt liegt allerdings darin, dass seine geistigen Urheber die Rechnung ohne den Wirt, d.h.: ohne das Volk, gemacht haben. Dessen möglicher Widerstand wurde nämlich nicht mit einkalkuliert, hat sich aber in Zypern und Italien bereits auf dramatische Weise bemerkbar gemacht.

Die EU-Kommission hat nun darauf reagiert, indem sie die Bail-in-Regelung im entscheidenden Moment außer Kraft gesetzt hat. Das heißt aber nicht anderes als dass sie auch weiterhin auf Bail-outs, also auf die Rettung von Banken mit dem Geld der Steuerzahler, setzt. Da die vorhandenen Summen aber wegen der Löcher in den Staatshaushalten aufgrund der vorangegangenen Bankenrettungen nicht ausreichen, bleibt ihr derzeit nur eine Möglichkeit: das Gelddrucken. Dies wird in Zukunft in vermehrtem Maße passieren und damit unweigerlich in eine Hyperinflation führen.

Hier liegt nun der Grund, weshalb die Vorgänge um die italienischen Banken für die EU das Einläuten ihres Endes bedeuten: Die einzige Möglichkeit, eine Hyperinflation zu vermeiden, besteht darin, doch wieder auf das Bail-in zurückzugreifen. Diese direkte und unverhohlene Enteignung großer Teile der Mittelschicht im Interesse der Finanzindustrie aber ließe sich nur gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzen. Der erforderliche Einsatz von Gewalt aber würde unmittelbar zu einer Volksbewegung gegen die EU und zu deren endgültigem Auseinanderbrechen führen. Anders ausgedrückt: Die EU befindet sich in einer Situation, aus der es außer dem Herbeiführen der Hyperinflation keinen realistischen Ausweg mehr gibt.

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches „Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs“, erschienen im Tectum-Verlag, Marburg.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.


Auch interessant...

Kommentare (6)

Hinterlassen Sie eine Antwort