Israel, die Hizbollah und der nächste Krieg

von Petra Wild.

Seit dem Amtsantritt Donald Trumps gibt es in der westlichen Presse immer wieder Spekulationen, ob ein neuer Krieg Israels gegen die libanesische Hizbollah bevorstehe. In den letzten beiden Wochen wurde sowohl im britischen „Economist“ als auch in der bundesdeutschen „Junge Welt“ über einen neuen Waffengang gerätselt. Begründet wird das mit der israelischen Beunruhigung über die Entwicklungen im benachbarten Syrien und die gewachsene Stärke der libanesischen Hizbollah, dem Erzfeind des  Siedlerstaates.

Die Veränderung der Kräfteverhältnisse zu Ungunsten Israels

In der Tat haben sich die regionalen Kräfteverhältnisse in einer für Israel überaus ungünstigen Weise geändert. Das syrische Regime wurde während des sechs Jahre andauernden Krieges nicht gestürzt, statt dessen wurden dessen Verbündete Iran und Hizbollah gestärkt. Jetzt da sich der Krieg seinem Ende zuneigt, sind die Gewinner klar: das syrische Regime, die Hizbollah, der Iran und Russland.

Israel hatte große Hoffnungen auf die Trump-Administration gesetzt, um diese Entwicklung doch noch abzuwenden. Und zunächst zeigte diese auch eine deutlich konfrontativere Politik gegenüber der syrischen Regierung und deren Verbündeten. Wiederholt griff sie zwischen April und Juni 2017 syrische Militäreinrichtungen, die syrische Luftwaffe und schiitische Milizen an. Doch im Juli machte die Trump-Administration eine Kehrtwende. Das militärische Engagement der USA in Syrien wurde auf den Kampf gegen den IS beschränkt, das CIA-Programm zur Unterstützung der bewaffneten syrischen Opposition eingestellt und mit Russland eine Deeskalationszone im Süden Syrien vereinbart.

Die Einrichtung dieser Deeskalationszone markiert eine neue Ebene der Verständigung zwischen den USA und Russland in Bezug auf Syrien. Die Deeskalationszone liegt in der US-Einflusszone im Süden Syrien direkt an den jordanischen und israelischen Grenzen und umfasst die Provinzen Dar’a, Suweida und Quneitra. Dort hatten syrische Truppen und schiitische Milizen zuvor Offensiven gegen jihadistische Organisationen unternommen. Nach dem zwischen Russland und den USA ausgehandelten Waffenstillstandsabkommen  mussten sie das Gebiet räumen.

Israel war an den Waffenstillstandsverhandlungen beteiligt, konnte aber viele seiner Wünsche nicht durchsetzen. Israel hatte gefordert, dass der Waffenstillstand mit einer Zurückdrängung des Einflusses des Irans, der Hizbollah und anderer schiitischer Milizen in Syrien einhergehen müsse. Doch diese wurden in der Vereinbarung nicht einmal namentlich erwähnt, empören sich israelische Politiker. „Wir hatten erwartet, dass eine Vereinbarung zwischen Trump und Putin die iranische Bedrohung an unserer Grenze behandeln würde,“ erklärte der ehemalige Generalstabschef der israelischen Armee Mosche Yaalon. Er warnte:  „Es ist klar, dass, wenn es keine Lösung gibt, wir am Ende selbst aktiv werden müssen.“[1] Israel wirft den USA vor, um einer Verständigung mit Russland willen die israelischen Sicherheitsinteressen preisgegeben zu haben. Nun versuchen israelische Politiker und Sicherheitsexperten, durch eine diplomatische Offensive auf eine Veränderung dieser Politik hinzuwirken. Mitte Juli reiste Ministerpräsident Netanjahu nach Paris, wo er gegenüber der Presse erklärte, dass Israel gegen die Waffenstillstandvereinbarung sei, denn sie „verlängere die iranische Präsenz in Syrien.“[2] Letzte Woche reiste eine israelische Delegation von Sicherheitsexperten nach Washington. Diese Woche besucht Netanjahu Moskau, um den russischen Staatschef Putin von der „Aggressivität“ des Irans zu überzeugen.

Die militärische Stärke der Hizbollah  

Besondere Sorge macht Israel die gewachsene politische und militärische Stärke der Hizbollah. Der bewaffnete Arm der Hizbollah, die als Reaktion auf die israelische Besatzung des Südlibanon 1982 entstand, war vor dem Syrien-Krieg eine rein auf Verteidigung ausgerichtete Guerillaorganisation. Doch auch als solche hatte sie vermocht, Israel zwei Mal zu besiegen. Im Mai 2000 musste die israelische Armee aufgrund der hohen Verluste nach 18 Jahren  – und in einigen Gebieten 22 Jahren – Besatzung aus dem Libanon abziehen. Im Juli-Krieg von 2006 erlitt die israelische Armee im Krieg gegen die Hizbollah die erste große militärische Niederlage seit der Gründung des siedlerkolonialistischen Staates. Die Demoralisierung dieser Niederlage wirkt bis heute nach. Verteidigungsminister Liebermann bezeichnete den Libanon-Krieg von 2006 im vergangenen Jahr als „Wunde“, die immer noch offen sei. Nach dem Gaza-Krieg von 2014 warfen israelische Politiker der israelischen Armeeführung vor, wegen der Erfahrungen im Libanon-Krieg vor einer Wiederbesetzung des Gaza-Streifens zurückgeschreckt zu sein.

Der oberste israelische Militär Benny Gantz bezeichnete die Organisation auf der jährlich statt findenden Herzliya-Sicherheitskonferenz 2014 als eine der stärksten Militärmächte der Welt, stärker als die meisten staatlichen Armeen.[3] Die Hizbollah von heute ist tatsächlich nicht mehr mit der von 2006 zu vergleichen. Durch ihre Beteiligung am Krieg in Syrien an der der Seite des Regimes hat sie neue militärischen Fähigkeiten erworben, die Israel noch viele Probleme bereiten werden. Sie hat in Kooperation mit der syrischen Armee und Luftwaffe sowie der russischen Luftwaffe operiert, selbst Panzer, Drohnen und hochentwickelte Präzisionsraketen eingesetzt, auf unterschiedlichstem Terrain (Dörfer, Städte, Gebirge, Wüste) gekämpft, und sich die Offensivkriegsfähigkeiten angeeignet, die sie benötigt, um im nächsten Krieg mit Israel auf dessen Territorium vorrücken zu können. Dies hat der Generalsekretär der Hizbollah, Hassan Nasrallah angekündigt und israelische Militärs halten das für möglich. Der stellvertretende Generalsekretär der Organisation Naim Qassm bezeichnete den bewaffneten Arm der Hizbollah Ende letzten Jahres als „mehr als eine Guerilla, aber weniger als eine Armee.“ 2016 schätzte die israelische Tageszeitung  Haaretz unter Bezug auf israelische Sicherheitsexperten, dass die Organisation die Zahl ihrer Kämpfer von 20.000 auf 45.000 erhöht habe und über mindestens 120.000 Raketen verfüge. Damit kann sie jeden Punkt innerhalb des Territoriums des Staates Israel erreichen. Außerdem wurde schon damals vermutet, dass die Organisation auch Luftabwehrsysteme und Drohnen in ihrem Besitz habe. Der Einsatz von Drohnen in der Kriegsführung der Hizbollah wurde seitdem mehrmals dokumentiert.

Im Juli unternahm die Hizbollah mit Zustimmung des libanesischen Staates eine Offensive gegen die Nusra-Front (den regionalen Ableger von al-Qaeda), die sich im Norden des Libanon festgesetzt hatte, die sie innerhalb von einer Woche siegreich abschließen konnte. Der bekannte staatstragende US-Journalist Thanassis Cambanis, der 2012 im Schatten des „arabischen Frühlings“ etwas voreilig das Ende der Hizbollah vorausgesagt hatte, räumte danach in einem Artikel ein, dass die Hizbollah zu einer regionalen Macht geworden sei.[4]

Israels Dilemma

Es gäbe also gute Gründe für Israel, etwas gegen diese Organisation an seiner nördliche Grenze zu unternehmen. Allein, die Risiken sind zu groß. Trotz aller martialischen Reden, die regelmäßig in Tel Aviv gegen die Hizbollah geführt werden, und von dieser mit ebenso martialischen Gegenreden beantwortet werden, warnen israelische Sicherheitsexperten davor, dass Israel in einem Krieg gegen die Hizbollah wenig zu gewinnen und viel zu verlieren hätte. Für Israel steht im nächsten Krieg mit der Hizbollah sehr viel auf dem Spiel. Israelische Militärs gehen davon davon, dass im Kriegsfall täglich etwa 1.000 Raketen auf Israel niedergehen würden. Die israelischen Raketenabwehrsysteme würden dadurch überfordert sein. Hinzu kommt, dass die Hizbollah heute weitreichendere und präzisere Raketen hat als 2006, als sie nur den Norden Israel beschoss. Durch Präzisionsraketen ist Israel sehr verletzbar, denn seine hochentwickelte Infrastruktur ist an einigen wenigen Orten geballt konzentriert. Israel rechnet mit Hunderten von Toten im israelischen Militär und der Zivilbevölkerung. Außerdem schließt das israelische Militär nicht aus, dass Kämpfer der Hizbollah im kommenden Krieg die Grenze überschreiten und Gebiete in Galilää einnehmen werden. Die israelische Armee plant daher für den Kriegsfall die Evakuierung Nordisraels.[5]

Angesichts der neuen Rahmenbedingungen in der Region, könnte der Krieg sich ausweiten. Hassan Nasrallah hat vor kurzem in einer Rede angekündigt, dass sich im Falle eines israelischen Angriffs auf den Libanon oder Syrien Zehntausende von Kämpfern aus der arabischen Welt an dem Krieg beteiligen würden. Der Generalsekretär der jemenitischen Ansar Allah-Bwegung (hier besser bekannt als Houthis) Abdel-Malik al-Houthi, die seit dem Sturz des Regimes Ende 2014 das Land mitregiert, reagierte auf diese Rede mit der Erklärung, dass seines Organisation bereit sei, sich am nächsten Krieg mit Israel zu beteiligen.

Ein israelischer Sieg wäre keineswegs garantiert. Das gilt um so mehr als sich die Kampfkraft der israelischen Armee im internationalen Vergleich in den letzten Jahren verschlechtert hat und die Kampfbereitschaft seiner Soldaten zurückgegangen ist. Im Ranking des Global Firepower Index, der regelmäßig die Kampfkraft internationaler Armeen  misst, ist Israel im letzten Jahr von Platz 11 auf Platz 15 gefallen, während der Iran von Platz 23 auf Platz 20 geklettert ist. Gleichzeitig ist einer israelischen Studie zufolge die Anzahl der neuen Rekruten der israelischen Armee, die aktiv am Kampf teilnehmen wollen, von 80 % im Jahr 2010 auf gegenwärtig 67% gefallen. Eine so tiefen Stand der Kampfmoral gab es zuletzt nach der Niederlage im  Libanon-Krieg von 2006.[6]

Hinzu kommt, dass 2015 mit 17.000 Israelis doppelt so viele Menschen ausgewandert wie eingewandert sind. Ein neuer Krieg würde diesen Trend nur verstärken.[7]

Der Generalsekretär der Hizbollah, dessen Einschätzungen sich in der Vergangenheit als die zuverlässigsten erwiesen haben, erklärte kürzlich in einer Rede, dass Israel aufgrund der großen Risiken in nächster Zeit keinen Krieg gegen seine Organisation beginnen werde.

Quellen

[1]: Middle East Monitor, Netanyahu fears Syria Resolution sill not be in Israel’s Interest, 23.8.2017

[2]: Caspit, Ben, Netanyahu puts Trump on Notice ovr Syria, Al-Monitor, 19.7.2017; Caspit, Ben, Has US sacrificed Israel for Syria Deal ?, Al-Monitor, 14.8.2017; Rizk, Ali, Hezbollah not concerned with Cease-Fire Deal in Syria, Al-Monitor, 20.7.2017

[3]: Ahram Online, Hezbollah is stronger than most World Armies: Israel’s Military Chief, 9.6.2014

[4]: Cambanis, Thanassis, Strengthened by War Hezbollah displays Regional Power, The Century Foudation, 28.7.2017

[5]: Winer, Stuart, 1200 Rockets a Day in next Lebanon War, Officer warns, The Times of Israel, 14.6.2016; The Times of Israel, Hezbollah could advance into Israel in next War Officials warn, 14.9.2014; Middle East Eye, Hezbollah capable of invading Israels, says Israeli Official, 15.9.2014

[6]: Middle East Monitor, Israel’s regional Hegemony has been reduced say Analysts, 17.5.2017; Middle East Monitor, Soldiers not motivated to serve in Combat, 16.8.2017

[7]: Gillenson, Daniel, Israel Central Bureau of Statistics, Highest Level of negative Migration, Jerusalem Online, 19.8.2017

Petra Wild ist Islamwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten Palästina-Frage sowie Widerstand und Revolution in der arabischen Welt. Sie ist Autorin der Bücher „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ (Wien, 2013) und „Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Zur Zukunft eines demokratischen Palästinas“ (Wien, 2015)

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