HIStory: Kriegspropaganda (Podcast)

Der Buchautor und Publizist Hermann Ploppa erläutert in HIStory kurz und sachlich historische Daten und Jahrestage von herausragenden geschichtlichen Ereignissen. Dabei werden in diesem Format Begebenheiten der Gegenwart, die mit einem Blick in die Vergangenheit in ihrer Bedeutung besser einzuordnen sind, künftig alle 14 Tage montags in einen geschichtlichen Kontext gebracht.

Das Thema heute: Kriegspropaganda

Heute befassen wir uns mit dem Propagandakrieg. Jawohl. Schon seit dem Ersten Weltkrieg ist nämlich die Propaganda ein gleichwertiger Arm jeder effizienten Kriegsführung. Der Krieg hat demzufolge drei Arme:

Erstens, die Propaganda. Vor dem Waffengang müssen die Gehirne zunächst einmal bereit gemacht werden für das große Schlachten. Die Menschen draußen im Lande müssen zutiefst überzeugt sein, dass es moralisch gerechtfertigt ist, andere Menschen, mit denen man normalerweise zusammen ein Bier in der Abendsonne trinken würde, auf der Stelle zu töten, zu quälen oder in Gefangenschaft abzuführen. Die Arbeiter in den Fabriken wiederum müssen bereit sein, von einem Tag auf den anderen plötzlich Panzer zu bauen statt Autos.

Der zweite wichtige Arm der Kriegsführung besteht darin, dem Gegner die wirtschaftliche Schlagader abzuklemmen. Lebensmittellieferungen zu stoppen. Unverzichtbare Ersatzteile zurückzuhalten. Öl- und Gaspipelines abzudrehen.

Das alles ist unverzichtbar, damit dann drittens der entscheidende Waffengang auch gelingen kann. Die Propaganda für den Krieg hat früher die Kirche besorgt. Priester predigten von der Kanzel, Gott sei mit der Obrigkeit. Pfarrer segneten schon unter Bismarck die Kanonen. Doch die Gesellschaft ist vielfältiger geworden. Immer mehr Menschen sind nicht religiös. Auch die Nichtglaubenden müssen für den Krieg begeistert werden.

Die Geburtsstunde der modernen, weltlichen Propaganda finden wir im Jahre 1917. Der Präsident der USA, Woodrow Wilson, hatte gerade im Jahre 1916 seine Wiederwahl gesichert mit dem Versprechen, dass sich die USA aus dem furchtbaren Krieg in Europa heraushalten würden. Doch kaum hatte Wilson seinen zweiten Amtseid geleistet, erklärt er Deutschland und dessen Verbündeten, nämlich Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, den Krieg. Denn das Bankenkonsortium um das Haus JP Morgan hatte bereits 1914 den Kriegsparteien Frankreich und Großbritannien riesige Geldsummen geliehen. Und nun, 1917, drohten diese Kredite zu verfaulen. Denn Frankreich und Großbritannien waren meilenweit entfernt von einem Sieg gegen Deutschland. Beide Länder waren pleite und hätten jetzt wegen Zahlungsunfähigkeit kapitulieren müssen. Jetzt mussten die US-Bürger ran, um die faulen Kredite des Morgan-Konsortiums zu retten. Das Dumme war: die US-Bürger hatten nicht die geringste Lust, ihr Leben in einem Krieg auf einem fremden Kontinent aufs Spiel zu setzen.

Das war die Geburtsstunde des Council on Public Information. Dieses Gremium wurde ad hoc ins Leben gerufen und hatte de facto den Rang eines Propagandaministeriums. Finanziert wurde der Council allerdings vom amerikanischen Steuerzahler. Die Gestaltung der nun folgenden Kriegspropaganda oblag allerdings Leuten, die aus der Werbebranche angeheuert wurden. Und die verkauften nun den Krieg an die Menschen draußen im Lande genauso wie sie sonst eine bestimmte Seife angepriesen haben. Also: rationale Argumentation meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Im Laufe des Krieges entwickelten kluge Köpfe wie Walter Lippmann, Ivy Lee oder Edward Bernays aus dem Zusammenspiel von Werbetechniken und politischer Agenda eine neuartige manipulative Regierungspropaganda. Allerdings muss man zugestehen, dass die Propaganda alleine auch nicht immer hilft. Von Fall zu Fall muss noch mit etwas harter Macht nachgeholfen werden. Das besorgten im Ersten Weltkrieg in den USA angebliche Veteranenverbände im Zusammenspiel mit dem neu gegründeten Ku Klux Klan (1).

Dieses Zusammenspiel wurde dann in Deutschland von den Nazis übernommen. Während Josef Goebbels als gelehriger Schüler von Edward Bernays die Propaganda zur Vollendung brachte, stopfte die SA mit roher Gewalt jene Überzeugungslücken, die die Propaganda nicht zu füllen vermochte.

Schauen wir uns nun ein konkretes Beispiel an, wie Kriegspropaganda am Ende des Ersten Weltkriegs eingesetzt wurde. Mit dem Waffenstillstand im November 1918 waren die Probleme Frankreichs und Großbritanniens nämlich noch lange nicht gelöst. Sie hatten immer noch dieselben gigantischen Kriegsschulden beim amerikanischen Bankenkonsortium unter der Führung von JP Morgan wie im Jahre 1917. Und die amerikanischen Banker zeigten auch keine Neigung, auf die Rückzahlung der Kredite großzügig zu verzichten.

Aber irgendjemand musste schließlich die Kredite bezahlen. Da bleibt natürlich nur der Verlierer des Großen Krieges, nämlich Deutschland. Den kann man nicht so einfach ohne triftigen Grund zur Kasse bitten. Das war nicht üblich. Als Frankreich die napoleonischen Kriege verloren hatte, saß beim Wiener Kongress im Jahre 1815 der französische Delegierte Talleyrand gleichberechtigt mit am Verhandlungstisch. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Frankreich die gesamten Kriegskosten aller Kombattanten allein aufzubürden. Das war am Ende des Ersten Weltkrieges ganz anders. Warum sollte Deutschland die Kriegskosten aller Kombattanten alleine bezahlen? Um das zu rechtfertigen, bedurfte es eines besonderen, im Labor entstandenen Narrativs.

Das Narrativ lautet: Deutschland alleine hat den Ersten Weltkrieg böswillig angezettelt. Also, so lautet die Konsequenz: Deutschland muss deshalb auch die gesamte Zeche bezahlen! Diese Legende von der deutschen Alleinschuld wurde in den USA bereits wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg widerrufen. In der Historikerzunft geht allerdings der Streit bis heute hin und her. Harry Elmer Barnes, Fritz Fischer oder Christopher Clarke – um nur einige wenige zu nennen – haben das Pendel mal in die eine, mal in die andere Richtung schlagen lassen.

Schauen wir uns also einmal an, wie diese Legende von der deutschen Alleinschuld von US-amerikanischen Propagandavirtuosen gestrickt wurde. Dazu vernehmen wir vorab eine Stimme aus den USA. Der Soziologe Harold Lasswell sagte im Jahre 1927, in seiner aufschlussreichen Studie über Propaganda als tödlicher Kriegswaffe (2), sowohl in Hinblick auf die sich betrogen fühlende Bevölkerung der USA als auch über die Vordenker der unterlegenen Mächte:

„Wir haben heute mehr Leute als je zuvor, die irritiert, besorgt oder verärgert sind über die ungekannte Trickserei, die sie anscheinend hinters Licht geführt und entwürdigt hat … Diese Leute erforschen die Geheimnisse der Propaganda mit jener Mischung aus Bewunderung und Verärgerung, mit der Opfer eines neuen Spieletricks danach verlangen, dass man ihnen die Sache erklärt.“

Also: wie waren die Karten gezinkt im Spiel der Propaganda von der Alleinschuld der Deutschen am Ersten Weltkrieg?

Als der Krieg zu Ende war, musste die Propagandamaschinerie noch einmal mit Volldampf hochgefahren werden. Nachdem die deutsche Streitmacht kapituliert hatte, ging es darum, möglichst das gesamte Vermögen des deutschen Volkes zu konfiszieren, um mit dieser Beute den drohenden Bankrott der französischen und der britischen Volkswirtschaft abwenden zu können. Die bewährte Methode besteht in einem solchen Falle darin, dem auszuplündernden Volk einzuhämmern, dass die ihnen entrissene Plünderungsbeute lediglich eine angemessene Wiedergutmachung für begangenes Unrecht sei (3).

Auf deutscher Seite hatten mittlerweile Politiker die Regierungsverantwortung übernommen, die an der Kriegführung keinerlei Anteil hatten. Oder nur eingeschränkt, wie die Sozialdemokraten mit ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten. Was man diesen Politikern schlimmstenfalls zum Vorwurf machen kann, ist ihr Vertrauen in die Ehrlichkeit der politischen und militärischen Kriegsregierung. Man bedenke, dass weder die SPD noch die Zentrumspartei über geheimdienstliche Erkenntnisse der tatsächlichen militärischen Lage verfügten. Sie mussten sich also auf Treu und Glauben hinter ihre Regierung stellen. Sonst hätten sie sich womöglich im Falle einer tatsächlichen Verteidigungssituation schuldig gemacht, Deutschland feindlichen Streitkräften ausgeliefert zu haben (4).

Seitens der USA war der neuen deutschen Regierung ein fairer Verhandlungsfrieden signalisiert worden (5). Jedoch wurden die neuen deutschen Verantwortungsträger auf der ganzen Linie belogen und betrogen. Grundlage aller weiteren Verhandlungen – anderenfalls würde weitergekämpft – war nun der § 231 des Versailler Friedensvertrages (6). Wir kennen diese Methode aus dem Krieg der NATO gegen Serbien im Jahre 1999. Im Jahre 1919 mussten die sozialdemokratischen und katholischen Zentrumspolitiker durch Unterschrift bestätigen, dass Deutschland ganz alleine verantwortlich ist für den Ersten Weltkrieg und für alle damit einhergegangenen Folgen. Mitte der 1920er Jahre fasst der US-Historiker Harry Elmer Barnes diese Inszenierung folgendermaßen zusammen:

„Deutschland füllte die Rolle eines Strafgefangenen auf der Anklagebank aus, während dem Anwalt der Strafverfolgungsbehörde voller Spielraum gewährt wird bezüglich Zeit und Präsentation der Beweise. Dem Angeklagten werden Rechtsbeistand oder die Möglichkeit selber entweder (Gegen-) Beweise oder Zeugen zu präsentieren, verweigert. Es war tatsächlich ein Strafprozess, in dem die Strafverfolgungsbehörde sich beschränkte auf die Annahme der Schuld des Angeklagten, und in dem von ihr nicht verlangt wurde, Beweise vorzulegen.“ (7).

Also das Musterbeispiel eines Schauprozesses.

Der Propaganda-Charakter dieses Versailler Schauprozesses wurde noch verstärkt, als zur Urteilsverkündung – anders kann man die Mitteilung der Vertragsbedingungen an die vorgeladene deutsche Regierungsdelegation wohl nicht nennen – die deutschen Delegierten durch ein Spalier von Kriegsversehrten Spießruten laufen mussten. Jene deutschen Politiker, die während des Krieges in der Opposition immer wieder Friedensfühler in alle Richtungen ausgestreckt hatten – Sozialdemokraten, Zentrumspolitiker, Liberale – wurden jetzt der Weltöffentlichkeit vorgeführt, als hätten sie die Gasangriffe und das ganze Arsenal neuer scheußlicher Waffen zu verantworten. Eine famose „Starthilfe“ für die neue Demokratie in Deutschland! Zur gleichen Zeit taten die siegreichen Westmächte nichts, die tatsächlich Verantwortlichen, die Ludendorffs, die Hindenburgs, die Krupps und wie sie alle hießen, zur Verantwortung zu ziehen.

Wir befinden uns nun mitten im Bereich: Propaganda als messerscharfer Kriegswaffe.

Denn das Dogma von der deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg stützte sich ganz allein auf eine einzige Propaganda-Fiktion: Ambassador Morgenthau’s Story (8). Henry Morgenthau der Ältere ist nicht nur der Vater des durchaus ehrenwerten US-Finanzministers Henry Morgenthau. Morgenthau der Ältere war aus Mannheim in die USA eingewandert und hatte in New York als Grundstücksspekulant ein Vermögen erarbeitet. Er war so reich, dass er die Wahlkampagne von Woodrow Wilson finanziell unterstützen konnte. Zur Belohnung hatte ihm Wilson nun den Posten eines Botschafters im Osmanischen Reich zuerkannt. Dort wirkte und arbeitete Henry Morgenthau der Ältere während des Ersten Weltkrieges. Zu seinen Verdiensten gehört unstreitig, dass er die Weltöffentlichkeit alarmiert hat, als türkische Streitkräfte ethnische Säuberungen gegen das armenische Volk durchführten –also Völkermord im großen Stil begingen.

Was Morgenthau allerdings über Deutschlands angebliche Alleinschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges in seinem Buch zu sagen hat, ist schlicht eine Zumutung für jeden logisch denkenden Menschen. Es muss hinzugefügt werden, dass Ambassador Morgenthau’s Story nicht von Morgenthau selber geschrieben worden ist, sondern von einem Ghostwriter namens Burton J. Hendrick. Hendrick hatte seine Schreiberkarriere als Enthüllungsreporter, als so genannter Muckracker begonnen.

Als er das Buch für Morgenthau „ghostete“, führte Hendrick zudem viele Auftragsarbeiten für Walter Hines Page aus. Page wiederum war in den Kriegsjahren der Botschafter der USA in Großbritannien. Es war allgemein bekannt, dass Page eine außergewöhnlich starke Sympathie für Großbritannien hegte. Man kann ohne Probleme von Kollaboration sprechen. So hatte er Präsident Wilson auch immer wieder mit Informationen gefüttert, die eine Rettung der Entente gegen eine nach Westen stürmende deutsche Hunnenhorde als außerordentlich dringliche Aufgabe zwingend geboten erscheinen ließ. Rein zufällig war Page obendrein mit dem Bankhaus JP Morgan finanziell liiert.

Ambassador Morgenthau’s Story erfüllt dieselben Aufgaben wie der Bryce-Report über deutsche Schrecklichkeiten in Belgien. Der Bryce-Report war für Propagandazwecke formatiert. Dass die deutschen Besatzer belgische Männer nach Deutschland deportierten, um sie dort als Zwangsarbeiter einzusetzen; oder dass der Bankier Hjalmar Schacht ganz frech versuchte, belgische Geldhäuser seiner Dresdner Bank-Gruppe einzuverleiben: das reichte den englischen Propagandisten noch nicht, um die Menschen in den USA für einen Kriegseinsatz auf dem europäischen Schlachtfeld zu bewegen. Sie erfanden lieber von deutschen Soldaten gemetzelte Babys, auf dem Marktplatz massenvergewaltigte Frauen oder von den Deutschen gekreuzigte Entente-Soldaten. Bilder, nicht Argumente, das war es, was man dem vermeintlich einfältigen Fußvolk zumuten wollte.

Genau nach diesem Muster ist auch die Morgenthau-Story gestrickt. Keine völkerrechtlichen Erörterungen. Sondern primitiv gewirkte Anekdoten. Slapstick-Gestalten im Comic-Stil. Burleske Typen aus dem Stummfilm.

Also: es ist August 1914. Die Diplomaten wohnen in ihrer Sommerkolonie am Bosporus in der Nähe der Hauptstadt Konstantinopel. Der deutsche Botschafter von Wangenheim hat vom Sultan ein besonders schönes Anwesen geschenkt bekommen, mit einem Wachhäuschen vor dem Hofeingang. Daneben befindet sich eine steinerne Bank für das Wachmännchen, um darauf ausruhen. Genau dort sitzt, wenn der Kriegsverlauf gut für Deutschland steht, Botschafter von Wangenheim, stolz wie ein Truthahn. Wenn dann der russische oder der französische Botschafter, Blick starr geradeaus gerichtet, an dem Deutschen vorbeigehen, dann bläst ihnen Wangenheim eine Qualmwolke aus seiner riesigen schwarzen deutschen Zigarre entgegen. So geht das also zu auf dem großen diplomatischen Parkett. Jedenfalls im Propaganda-Slapstick.

Und als sich der deutsche Botschafter in einem solchen aufgeräumten Stündchen mit seinem amerikanischen Kollegen Morgenthau auf Deutsch unterhält, enthüllt Wangenheim dem Amerikaner aus der Pfalz gar Ungeheuerliches. Einfach so, aus purer Eitelkeit und aus Stolz. Und zwar, so vertraut Wangenheim dem Morgenthau gut gelaunt an, sei der Krieg von Deutschland schon lange vorbereitet worden, und er habe genau in dem Augenblick begonnen, an dem der Kaiser es so vorgesehen habe. Die letzte Vorbereitung zum Losschlagen fand am 5. Juli 1914 in Potsdam statt. Dafür hatte der Kaiser alle kriegswichtigen Botschafter zu sich einbestellt. Anwesend waren „die Häupter des Generalstabs und der Marine“, wie sich Wangenheim auszudrücken beliebte. Dazu alle Größen aus Wirtschaft und Finanzen sowie, selbstverständlich, die Regierung.

Und der Kaiser fragt in diesem Slapstick alle reihum: „Sind Sie bereit zum Krieg?“. Und alle sagen feierlich: „Ja!“ Nur die Bankiers nicht. „Na, warum das denn nicht?“, werden Seine Majestät wohl gefragt haben. Nun, die Banker wollen erst noch ihre Aktien in den USA verkaufen und in Geld umwandeln, um dieses in den Krieg zu stecken. Zwei Wochen würden sie für diesen Transfer wohl brauchen. „Na gut, denn verschieben wir den Krieg noch mal um zwei Wochen!“, dürften dann wohl SM gesagt haben. Nachdem man sich auf den Kriegsausbruch in zwei Wochen geeinigt habe, seien alle Teilnehmer still und gefasst auseinandergegangen. Der Kaiser sei mit seiner Yacht nach Norwegen aufgebrochen.

Das ist genau jene Geschichte, auf die die Alliierten die deutsche Alleinschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges aufbauten. Das ist die einzige Begründung für den rechtlosen Status der neuen deutschen demokratischen Regierung bei den Friedensvertragsverhandlungen. Das ist die maßlos überdehnte Rechtfertigung für alle Requirierungen, Konfiskationen und auch Enteignungen, nicht zuletzt gegen unbeteiligte deutsche Zivilisten im Ausland.

Nun sollte einem logisch denkenden Menschen bei Morgenthaus Story schon merkwürdig aufgestoßen sein, dass der Kaiser für die nächsten zwei Wochen nichts geringeres als einen Weltkrieg in die Wege geleitet haben soll – und dann begibt er sich in aller Seelenruhe auf seine Yacht „Hohenzollern“, um wie jedes Jahr für zwei Monate in norwegischen Fjorden herumzusegeln?

Um es kurz zu machen: an Morgenthaus Story stimmt, wie Historiker anhand von Quellen nachgewiesen haben, so gut wie gar nichts. Am 5. Juli 1914 unterhielt sich der Kaiser mit seinem Kanzler Bethmann Hollweg. Den Stahlmagnaten Krupp traf er am nächsten Tag in Kiel, bevor die „Hohenzollern“ nach Norwegen auslief. Aber am 5. Juli 1914 war kein einziger deutscher Botschafter in Potsdam. Der Generalstab befand sich auf längerem Kuraufenthalt. Der Chef der Marine weilte auf seinen eigenen Flitterwochen. Wangenheim befand sich zwar in Deutschland, war aber nicht beim Kaiser. Die Banker wiederum hatten keinerlei Transaktionen größeren Ausmaßes an der New Yorker Börse getätigt.

Es stellt sich zudem die Frage, warum Morgenthau eine Nachricht von derartiger Tragweite vier Jahre für sich behalten haben soll. Morgenthau hat zu all diesen Fragen nie Stellung genommen, und auch sein Geisterschreiber Hendrick nicht. Wollte Morgenthau sich im Übereifer des staatstreuen Einwanderers von dem „Makel“ der deutschen Herkunft und dem „Makel“ der jüdischen Ursprünge reinwaschen? Beide „Makel“: deutsche Herkunft und obendrein noch Jude, führten dazu, dass man sich in jenen stürmischen Tagen des Ersten Weltkrieges und seiner Nachwehen in den USA seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte.

Soweit dieses anschauliche Beispiel für Kriegspropaganda. Das hat so wunderbar funktioniert, dass diese Kriegspropaganda mittlerweile auch in so genannten Friedenszeiten in allen Facetten praktiziert wird. Der Soziologe Harold Dwight Lasswell hat in seinem Buch Propaganda Techniques in the World War – zu Deutsch: Propagandatechniken im Weltkrieg – im Jahre 1927 eine wunderbare Zusammenfassung und Systematisierung der Propagandatechniken vorgenommen, die wir hier in thesenartiger Kürze vorstellen möchten:

  1. Ein Krieg besteht aus drei vollkommen gleichwertigen Einzelteilen:
    nämlich a) der Gewaltausübung mit der Waffe; b) dem Abklemmen der wirtschaftlichen Hauptarterien des Gegners; c) Die Propaganda ist kein unterstützendes Beiwerk, sondern gleichwertiges Hauptelement im modernen Krieg.
  2. Vereinfachung. Keine Differenzierungen. Unser Feind ist hundertprozentig böse.
  3. Die Personifizierung. Böse Charaktere zeigen statt Argumente ausdiskutieren.
  4. Das Spiel mit den Emotionen ausreizen. Argumente vermeiden.
  5. Nur der Gegner vollbringt schaurige Perversionen.
  6. Der Feind wühlt mitten unter uns! Das können Agenten einer feindlichen Macht sein oder auch gefährliche Viren in Computern und in menschlichen Körpern.
  7. Verschiedene Fraktionen unter einen Hut bringen durch ein gemeinsames Symbol oder einen gemeinsamen Feind. So weiß der Chefideologe des US-Kapitalismus, Walter Lippmann, in seinem Buch Public Opinion von 1920 auszuführen: „Wenn sich politische Parteien oder Zeitungen aussprechen für Amerikanismus, Progressivismus, Recht und Ordnung, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, dann hoffen sie die Gefühle widerstreitender Fraktionen zusammenzuschweißen, die sich gewiss sonst zerstreiten würden; wenn man sie nämlich anstelle dieser Symbole einladen würde, ein bestimmtes Programm zu diskutieren. Denn wenn eine Koalition rund um das Symbol geschmiedet worden ist, dann neigt sich das Gefühl eher zur Einförmigkeit unter dem Symbol als zu einer kritischen Hinterfragung der (getroffenen) Maßnahmen.“
  8. Nicht rumdiskutieren. Mit Ereignissen Fakten schaffen. Edward Bernays weiß aus seiner Praxis als Werbemann ganz genau, was wirklich die Massen zieht: „Kampflust mit ihrer damit einhergehenden Empfindung von Wut ist eine menschliche Konstante. Der Public Relations Berater nutzt diese Erkenntnis, um alle möglichen Arten von Events zu erfinden, die dieses Element ins Spiel bringen. Deswegen ist er auch häufig genötigt, Kämpfe und Streitfragen zu veranstalten. Er bringt Schlachten auf die Bühne gegen Übel, in denen der Gegenspieler für die Öffentlichkeit personifiziert wird.“ (9)
  9. Es besteht kein Unterschied zwischen politischer Propaganda und kommerzieller Werbung. Das sagt auch Adolf Hitler in seinem Bekenntnisbuch Mein Kampf: „Jede Reklame, mag sie auf dem Gebiete des Geschäftes oder der Politik liegen, trägt den Erfolg in der Dauer und gleichmäßigen Einheitlichkeit ihrer Anwendung.“ (10). Also: regelmäßig einreiben!
  10. Mit einem charismatischen Führer geht alles am besten.

Abschließend noch ein besonders nettes Zitat aus der Frühzeit politischer Propaganda, das in Zeiten posthypnotischer Befindlichkeiten der Corona-Pandemie eine besondere Aktualität bekommt. So lesen wir in der New York Tribune am 12. Juli 1918 folgendes:

„… das öffentliche Bewusstsein ist für den geübten Propagandisten wie ein Aquarium, in das Satzfetzen und Gedankeninhalte eingeträufelt werden wie Säuren, und zwar mit einem genauen Vorwissen über die Reaktionen, die sich abspielen. Gerade so wie Professor Loeb vom Rockefeller Institute einen Schwarm von Krabben, der im Becken ziellos herumschwimmt, dazu bringt, mit einem Schlag zu der Seite zu streben, wo das Licht herkommt. Und das einfach nur dadurch, dass er in das Wasser einen winzigen Tropfen einer Chemikalie einführt.“

Wir lernen aus der Vergangenheit, wie wir die Zukunft besser machen.

Quellen und Anmerkungen:

  1. Hermann Ploppa, Hitlers amerikanische Lehrer. Marburg 2016. S.84ff
  2. Harold D. Lasswell, Propaganda Technique in the World War. Chicago 1927. Lasswell entwickelt keine neuen Propagandatechniken und –theorien. Er fasst lediglich die wichtigsten Propagandatechniken zusammen, die im Ersten Weltkrieg und danach Verwendung fanden, und unterzieht sie seiner Bewertung. Das Zitat findet sich auf Seite 2 auf 3.
  3. Die Eliten der USA sollten sich bald von einer allzu grobschlächtigen Ausplünderung Deutschlands abwenden.
  4. Diese Überlegungen fußen selbstverständlich auf der rein hypothetischen Annahme, eine zum Krieg entschlossene Regierung würde die Ablehnung ihrer Kriegspläne durch Mehrheitsbeschluss durch das nationale Parlament so einfach respektieren, und dann eben keinen Krieg führen. Dieser Fall ist in der Geschichte bislang noch nicht vorgekommen. Das heißt: die Ablehnung des Krieges durch den deutschen Reichstag hätte im schlechtesten Falle vermutlich die Auflösung des Reichstags und die Inhaftierung seiner Abgeordneten zur Folge gehabt, im besten Falle eine Nichtbeachtung des Parlamentsbeschlusses durch die Regierung.
  5. Hier wurde die deutsche demokratische Opposition, die bald die Regierungsgeschäfte übernehmen musste, ein Opfer der US-amerikanischen Propaganda, wie Lasswell feststellt: „Nach dem Zusammenbruch der großen Frühlingsoffensive 1918 erreichte Wilsons Propaganda ihren Höhepunkt. Seine Reden wurden in fern und nah verbreitet, und sie hatten Erfolg, indem sie den Eindruck vermittelten, dass ein republikanisches Deutschland milde Friedensbedingungen von den westlichen Demokratien zugeteilt bekäme.“ <Lasswell, 170>
  6. § 231 lautet: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben“.
  7. Harry Elmer Barnes: Genesis of the World War and Introduction into the Problem of War Guilt. New York & London 1927. S. 35. (übersetzt von Hermann Ploppa)
  8. Henry Morgenthau: Amabassador Morgenthau’s Story. New York 1918.
  9. Edward Bernays: Crystallizing Public Opinion. New York 1923. S.153
  10. Adolf Hitler: Mein Kampf. München 1938. S.203

Bildquellen:

  1. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Propaganda_sl_Seite_08.jpg – gemeinfrei
  2. https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/ersterweltkrieg/155308/kriegsideologie-und-moderne-massenkultur – gemeinfrei
  3. http://www.payer.de/religionskritik/postkarten.htm – gemeinfrei
  4. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:23_Wall_Street_(1914).jpg – gemeinfrei
  5. https://www.history.com/news/world-war-1-propaganda-woodrow-wilson-fake-news – gemeinfrei
  6. https://cutthroatpr.files.wordpress.com/2014/05/leebernays.jpg – gemeinfrei
  7. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1968-101-20A,_Joseph_Goebbels.jpg – gemeinfrei
  8. Herkunft/Rechte: Museum im Kornhaus Bad Waldsee [CC BY-NC-SA] – gemeinfrei
  9. https://cdm.bostonathenaeum.org/digital/collection/p16057coll34/id/9/ – gemeinfrei
  10. https://blogsmedia.lse.ac.uk/blogs.dir/65/files/2020/01/Harold-Lasswell.jpg – gemeinfrei
  11. https://www.reddit.com/r/PropagandaPosters/comments/fgila2/new_york_herald_cartoon_depicting_the_allied/ – gemeinfrei
  12. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kriegsanleihe-1918.png – gemeinfrei
  13. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/images/3/3e/Artikel_44635_bilder_value_1_versaillervertrag1.jpg – gemeinfrei
  14. https://alphahistory.com/worldwar1/wp-content/uploads/2013/02/barnes.jpg – gemeinfrei
  15. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-R01213,_Versailles,_deutsche_Verhandlungdelegation.jpg – gemeinfrei
  16. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a3/Henry_Morgenthau.jpg
  17. https://www.goodbooksinthewoods.com/pages/books/75792/henry-morgenthau/ambassador-morgenthaus-story
  18. http://ww1blog.osborneink.com/?p=7717 – gemeinfrei
  19. https://en.wikisource.org/w/index.php?title=File:Ambassador_Morgenthau%27s_Story.djvu&page=6 – gemeinfrei
  20. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SMY_Hohenzollern_1902.jpg – gemeinfrei
  21. https://www.flickr.com/photos/8725928@N02/16393138011/in/photostream/ – gemeinfrei
  22. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:H._Morgenthau_LCCN2014694356_(cropped).jpg – gemeinfrei
  23. https://archive.org/details/propagandatechni0000lass – gemeinfrei
  24. https://en.wikipedia.org/wiki/Edward_Bernays – gemeinfrei
  25. Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6658 – gemeinfrei
    New York Tribune
  26. https://www.loc.gov/item/sn83030214/1918-07-12/ed-1/ – gemeinfrei

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Hermann Ploppa hat mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem:

„Die Macher hinter den Kulissen: Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern“

„Hitlers amerikanische Lehrer: Die Eliten der USA als Geburtshelfer der Nazi-Bewegung“

„Der Griff nach Eurasien: Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland“

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