Hama – die Geschichte einer Lüge

Das „Massaker von Hama“ – ein Kapitel über die Propaganda des Krieges gegen Syrien.

von Peter Frey.

Unser Bild von Ereignissen ist fragmentiert. Das Schlüssige und Zusammenhängende in der Vergangenheit wird zerschlagen. Es wird fragmentiert und dann neu zusammengesetzt. So wird in den Köpfen der Menschen jenes notwendige Feindbild entwickelt, das – auch sehr viel später losgetretene – Kriege rechtfertigt. Diese Bilder müssen allerdings sitzen, ein Hinterfragen darf nicht mehr in Betracht kommen. Die Geschichtsschreibung über ein Jahrzehnte zurück liegendes syrisches Ereignis soll das deutlich machen.

Für Kriegszwecke müssen wohlbestimmte Bilder in Abfolgen gebracht, emotional aufgeladen, auf diese Weise gut haftend in Geschichten gefasst und über längere Zeit immer und immer wiederholt werden. Dafür braucht man eine bestimmte Art von Medien, die ihre Freiheit mit Unfreiheit bezahlen, indem sie, sicher bei weitem nicht alle möglichen, dafür aber auf jeden Fall die sorgfältig gewählten Informationen, konzertiert an das Publikum bringen.

Vom Fenster der Meinungsfreiheit

Medien sind eigentlich frei, auch die Massenmedien – nur manchmal halt nicht ganz. Man muss auch – werden wir etwas satirisch – Kompromisse machen können. Hama – die Deutung, Wertung und Ausnutzung der Ereignisse von Hama 1982: Das ist ein solcher „Kompromiss“. Damit das für die entscheidenden Protagonisten nicht zu inneren Konflikten und Rebellion führt, werden sie in Selbsthilfegruppen wie der Atlantik-Brücke auf ihre Aufgaben vorbereitet (1). Jener Atlantik-Brücke, die vom tief im Netzwerk von Politik und Wirtschaft hängenden Friedrich Merz geführt wird (2). Die Indoktrination von Politikern für Interessen der Macht manifestiert sich seit Jahrzehnten im unschuldig daherkommenden Begriff „informelle Einflussnahme“ (3), doch gilt das für die fest in das Machtsystem eingebetteten Medien gleichermaßen (4).

Die lancierten Geschichten können erfunden, halbwahr oder auch wahr sein. Doch werden sie mit Stimmungen mit emotionalen Triggern verkauft, die knallharten politischen Zielen dienen. Es spielt nicht einmal eine große Rolle, ob die Geschichten in Nachrichten oder als Meinungsäußerungen erzählt, sondern dass sie überhaupt und wiederholt wahrgenommen werden. Etwas “wahr nehmen”: Die Bedeutung des Ausdrucks liegt darin, dass wir das wahrgenommene – wenn wir uns nicht mit dieser Wahrnehmung intensiv auseinandersetzen – tatsächlich als die Wahrheit hinnehmen.

Im Falle Syriens gibt es ein paar Geschichten (Narrative), die sehr fest in den Köpfen der westlichen Bevölkerung verhaftet sind:

  1. Assad schießt auf sein eigenes Volk.
  2. Das syrische Regime setzt Giftgas und Fassbomben gegen das eigene Volk ein.
  3. In Syrien tobt ein Bürgerkrieg.
  4. Der Bürgerkrieg in Syrien brach nach einem Volksaufstand aus.
  5. Der Assad-Clan hat schon immer seine Macht vorrangig mit brutalen Mitteln abgesichert. (5)

Wobei der letzte Punkt eine Art Fundament für die zuvor genannten Behauptungen darstellt. Eine These sucht Bestätigung und wenn es dabei um Macht geht, wird – falls die Findung nicht erfolgreich war – zur Erfindung gegriffen. Es wird kreativ entwickelt, weggelassen, umgedeutet und gern auch der Fantasie freien Lauf gelassen. Die grundlegende These – „die Assads waren schon immer brutal“ – darf jedoch in keinem Fall angegriffen werden, weil das ein ideologisches Kartenhaus zusammenbrechen lassen würde.

Es spielt keine Rolle, ob wir nun Syriens Regierung gut oder schlecht finden. Um sich dem objektiven Kern von Geschichte annähern zu können, dürfen wir dem vom Ego getriebenen Drang widerstehen, diese Bewertung durchzuführen. Denn ansonsten werden wir parteiisch – mit all den unvermeidlichen Folgen. Ohne die emotionale Verstrickung bleibt aber festzuhalten: Nicht eines der genannten Narrative ist bewiesen worden.

Mehr noch lässt sich ohne Weiteres sagen, dass diese Narrative und ihre Synthese zu einer Geschichte über Syrien unlogisch, sich widersprechend, ja absurd sind. Damit ist nicht gesagt, dass Syrien und seine Regierung seit Ewigkeiten das Land der Engel waren – solche Staaten und Regierungen kenne ich überhaupt nicht. Nein, damit ist einfach nur gesagt, dass die oben erzählten Geschichten Lügen sind.

Die Logik und Konsistenz dieser Geschichten besteht aber zweifellos darin, dass sie die an die Erzählung gekoppelten Ziele verraten. Warum?

Eine mächtige Waffe liegt darin, zu erkennen, ob und – wenn ja – welches Feindbild mit einer Geschichte vermittelt wird. Ihnen „anvertraute“ Feindbilder sind untrügliche Zeichen dafür, dass Sie bestimmte Handlungen im Sinne anderer – keinesfalls Ihrer ureigenen Sinne – durchführen oder auch unterlassen sollen.

Wenn unsere Emotionen berührt werden und wir ein Gefühl von Abneigung, Wut bis hin zu Hass gegenüber bestimmten Menschen oder Menschengruppen fühlen, dürfen wir nach dem “Warum” fragen. Unsere Emotionen sind auch dann authentisch, aber wo kommen die her? Spielt da jemand mit unseren Emotionen?

Emotionen nehmen uns gefangen, sie führen uns zu Handlungen, die wir von außen – rational betrachtet – manchmal als albern, oft als unverständlich und nicht selten als völlig irre beurteilen. Bei Politikern fällt uns das öfter auf, beim Blick in den Spiegel ist das eher selten der Fall.

Allgemein bekannt ist ja zumindest, dass der Vater des jetzigen syrischen Präsidenten, Hafez al-Assad, im Jahre 1982 den Volksaufstand in Hama niederschlug, bei dem zehn- bis 40.000 Einwohner dieser Großstadt ermordet wurden (6,7).

Dichtung oder Wahrheit?

Diese – weiter oben in Punkt 5 des Gesamt-Narrativs zu Syrien verborgene Erzählung – ist eine ganz tief sitzende Basisgeschichte, die das Wesen des autoritären, diktatorischen Regimes in Syrien geschichtlich begründen möchte. Es ist dieses schwer auszudrückende, was aber in uns schlummert, wenn wir von Syrien hören. Etwas das uns sagt: „Die waren schon immer so“. Geschichten leben von Bildern. Geschichten speichern wir auch in unseren Köpfen in Bildern ab.

Hören wir etwas von einem syrischen Diktator, dann tauchen geradezu magisch Fassbomben und Giftgas in unserer Geisteswelt auf. Das hat man uns anerzogen. Der sich aufgeklärt und wissend fühlende Intellektuelle hat dann aber auch Geschütze wie „das Massaker von Hama“ in der geistigen Hinterhand, die ihn glauben lassen, ein erweitertes, differenziertes Bild der syrischen Gesellschaft zu besitzen. Ihm fällt nicht auf, dass auch diese Bilder sehr schlichte Gut-Böse-Schemata und damit Feindbilder vermitteln. Feindbilder, die Jahrzehnte später für Kriegspolitik ausgenutzt werden.

Je mehr ich mich mit jüngerer und nicht ganz so junger Geschichte befasste, umso mehr wurde mir bewusst, dass Lügen ihre Kraft auch daraus schöpfen, dass sie ältere, fest sitzende Geschichten als Grundlage nehmen. Wenn nun aber dieses tief sitzende „Grundlagenwissen“ seinerseits auf Lügen basiert?

Willkommen in der Matrix.

Die Informanten

Seriös und glaubhaft wirkende Informanten für das aufgeklärte Bildungsbürgertum – wie es sich selbst sieht – sind heutzutage Regierungsbehörden und Institutionen, die diesen nahe stehen. Sie bilden und formen das (Unter-)Bewusstsein des Bürgers, statt sein kritisches Hinterfragen zu wecken. Das Informations-Portal zur politischen Bildung bildet dieses Ausformen des Bewusstseins mustergültig ab, wie auch die Pflege der Narrative, die dafür sorgen, dass der Rezipient sich ein festes, unverrückbares Weltbild aneignet – ein Bild in Schubladen. Dieses Portal wird als Online-Katalog von den Landeszentralen für politische Bildung betrieben (8).

Die weiter oben in Anstrichen aufgeführten Narrative habe ich mit dieser Plattform als Quelle belegt. Das Portal unterscheidet sich in nichts von der Syrien-Berichterstattung des Mainstreams. Es konnotiert, bewertet emotional und erzählt uns das Märchen von der bösen Hexe, die Hänsel und Gretel in Käfige gesperrt hat, aus denen wir sie nun zu befreien haben. Die hochgradige und von Eigeninteressen getriebene Verwicklung deutscher und europäischer Politik in den Syrien-Konflikt, die bis hin zur Rolle des Auslösers für den dortigen Krieg reicht, findet einfach nicht statt. Damit der Leser versteht, was ich meine, hier eine Essenz aus dem Portal (b1):

Nichts wirkt stärker als Bilder. Das Bild oben nimmt ohne Ausnahme jeden emotional gefangen und er wird den zugehörigen Text versuchen, in die Botschaft des Bildes einzuordnen. Das ist es, was ich meine, wenn ich davon spreche, dass Leute gezielt psychische Gewalt auf ihre Mitmenschen ausüben. Was Sie da sehen – riechend nach Propaganda des Dritten Reiches (nur Bolschewiken durch Assad ersetzt) – ist offizielles Unterrichtsmaterial und wird zur Verwendung an Schulen empfohlen (9)! Es ist Kriegspropaganda für Kinder.

In diesen bildungspolitischen Anstalten sitzen allerdings keine Unwissenden. Das Portal verlinkt an exponierter Stelle zur regierungsnahen Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), die von einem gewissen Volker Perthes geführt wird. Perthes gilt als Syrien-Kenner. Doch den meisten ist nicht bewusst, dass er und sein Institut die Einmischung in die Souveränität des Staates Syrien seit dem Jahr 2011 auf die Spitze trieben, als sie eine Exilregierung in Berlin installierten und betreuten, die sie auch noch für „den Tag danach” („The Day After“) vorbereiteten.

Jener Volker Perthes ist natürlich auch im Besitz der offiziellen Wahrheit und genießt damit selbstredend die Freiheit, in den großen Medien jene Syrien-Geschichte zu erzählen, die uns hilft, auf die „gute Seite“ zu gehen. Auch er streut regelmäßig „Grundlagenwissen“ in seine Analysen ein – und auch er lässt das „Massaker von Hama“ nicht aus (10):

„In Syrien spielt die Generationenfrage auch deshalb eine Rolle, weil die Älteren – die Generation Hafiz al-Assads – sich noch gut an die blutige Unterdrückung früherer Proteste erinnerten, insbesondere die Zerstörung der Stadt Hama, in der es 1982 zu einem Aufstand gekommen war. Ob damals 5000, 10 000 oder gar 20 000 Menschen ihr Leben verloren, ist ungeklärt. Sicher ist, dass die Altstadt dieser Hochburg des syrischen Konservatismus von den Panzern der Spezialtruppen Rifaat al-Assads, des Bruders des damaligen Präsidenten, regelrecht dem Erdboden gleichgemacht wurde.“ (11)

Der gebildete Arabien-Kenner Volker Perthes (12) hat viel Fantasie entwickelt, um die Lüge des „Volksaufstandes“ in der jüngeren Vergangenheit mit dem so passenden Lügengebilde eines „Volksaufstandes“ vor Jahrzehnten zu verschmelzen und daraus eine in sich konsistente Geschichte zu stricken.

Der Protagonist eines das Völkerrecht auf das Gröbste verletzenden Systemsturzes in einem souveränen UN-Mitgliedsstaat wurde ausgerechnet von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 in die dritthöchste Ebene der dortigen Hierarchie gehoben und sein Aufgabengebiet lautete: Syrien (13).

„Das Massaker von Hama“ schien mir schon immer einer gründlicheren Recherche würdig zu sein, zu simpel ist das Bild über die Ereignisse im Jahr 1982 gezeichnet. Wie wir noch sehen werden, ist tatsächlich eine andere Geschichte bekannt. Eine sehr schlüssige Geschichte über Hama, die aber den aktuellen Machtinteressen nicht sehr dienlich und wohl daher auch nicht erzählbar ist. Ihre Quelle sind Geheimdienste.

Geheimdienste als Informations-Verwalter

Eine gewichtige Rolle bei der Verbreitung von Geschichten spielen Geheimdienste. Ein gutes Beispiel dafür sind die gestreuten Gerüchte des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, der investigativen und die offizielle Version des Mordes an John F. Kennedey anzweifelnden Journalisten und Autoren Ende der 1960er-Jahre unterstellte, „Verschwörungstheorien“ zu verbreiten (14,15) – mit dem Ziel, diese Menschen zu diffamieren und unglaubwürdig zu machen (16,17).

In jüngster Zeit konnten wir das bei der sogenannten Skripal-Affäre beobachten, bei der nicht näher benannte Geheimdienstquellen eine abgefahrene Geschichte nach der anderen anboten, die willig von Politik und Medien aufgenommen und weiterverbreitet wurde. Auf diese Weise wurde entscheidend die öffentliche Meinung beeinflusst, um Stimmung gegen Russland zu machen und Kriegshysterie in der Bevölkerung schüren zu können.

Das Thema Syrienkrieg ist nicht so weit weg von der Skripal-Affäre, beide erscheinen ganz offensichtlich als Teil eines umfassenderen Konzepts. Finden sich da vielleicht auch deutsche Geheimdienste wieder? Der Verfassungsschutz ließ in seinem Jahresbericht 2017 das Folgende wissen – und schon sind wir auch sehr nahe bei der „alten Geschichte“ aus Hama:

„Ziel der MB [Muslimbruderschaft] ist die Errichtung eines „bürgerlichen Staates mit islamischen Werten“. Seit den 1970er-Jahren formuliert die MB den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele.“ (18)

Man nennt Geheimdienste übrigens auch Nachrichtendienste – sehr zu Recht. Denn sie steuern Meinungen, in denen sie Politik und Medien gezielt mit Nachrichten versorgen. Das Zitat oben eignet sich hervorragend, um sichtbar zu machen, wie das funktioniert. Der Verfassungsschutz gibt eigentlich nur die Behauptung von Vertretern der überwachten Organisation selbst wieder, doch mit ihrer Weiterverbreitung kommt eine – sehr gezielt beabsichtigte – Wertung durch Medien und Politik in unsere Köpfe!

Es gibt ganz offensichtlich politische Interessen, die Muslimbruderschaft (MB) in einem positiven Licht darzustellen. Dabei achtet man beim Lancieren eines falschen Bildes sorgfältig darauf, nicht selbst der Lüge überführt werden zu können. Man zitiert. Achten Sie auf die oben genannte Jahreszahl – die 1970er-Jahre. Für diese Zeit suggeriert uns der Verfassungsschutz im Jahre 2017 (!) eine Abkehr der MB vom Gewaltansatz. Wir kommen damit in den Genuss einer verkappten Lüge!

Wenn wir uns die weiter oben aufgeführten Narrative zum Syrien der jüngsten Vergangenheit aufmerksam genug betrachten, können wir eine Klammer erkennen, die einen zeitlichen Rahmen von Jahrzehnten absteckt.

Natürlich erfinden und verbreiten Nachrichtendienste nicht nur Informationen, sie beschaffen auch Informationen. Die Hoheit über Informationen, zu der auch die über die Art und Weise ihrer Verbreitung gehört, ist ein starkes Werkzeug, um Macht auszuüben.

Das bedeutet aber auch, dass Geheimdienste Informationen, über die sie verfügen, zurückhalten. Nämlich dann, wenn sie nicht in die Agenda der beauftragenden Politik, nicht in die zu vermittelnden „Geschichten in Bildern“, eben Narrative, hineinpassen. Wenn sie dazu führen können, dass diese Narrative und so auch die über sie transportierte Politik in Frage gestellt wird.

So gesehen unterscheiden sich Medien und Geheimdienste gar nicht so stark. Man muss mit viel Naivität beschenkt sein, um zu glauben, dass Geheimdienste allein im Auftrag des Rechtsstaates unterwegs sind. Medien wie Geheimdienste sind Mittler und Akteure, um Politik im Sinne von Macht zu gestalten, ja teilweise verschmelzen sie geradezu miteinander. Wer sich an den angeblichen Mord am saudischen Journalisten Kashoggi erinnert, darf die Tatsache einbeziehen, dass jener Journalist gleichermaßen für Geheimdienste und Terrororganisationen gearbeitet hat. Geheimdienste verfahren also nach einer – nicht-öffentlichen – Agenda.

Geheimdienste konkurrieren natürlich auch im Geflecht der Macht. Das betrifft sowohl Geheimdienste innerhalb eines Staates, als auch jene, deren Staaten als Verbündete gelten. Dies trifft auch für die DIA, die Defence Intelligence Ageny zu. Sie ist, vereinfacht gesagt, der Auslandsgeheimdienst des Pentagon und beschäftigt 16.500 Mitarbeiter (19,a1). Sie bündelt die Aktivitäten der in den vier Teilstreitkräften agierenden Geheimdienste und steht diesen vor (b2).

In diesem Kontext arbeitet die DIA dem zweiten, noch größeren Auslandsgeheimdienst, der CIA (Central Intelligence Agency) mit Sicherheit nicht nur zu, sondern auch parallel zu ihr – und teils sogar gegen deren Aktivitäten. Denn auch die Interessen im Zentrum der Macht der USA sind immer von Konkurrenz geprägt gewesen.

Ein DIA-Dossier erzählt

Was Syriens jüngere Geschichte betrifft, wurde die DIA „auffällig“, als sie Informationen über den verdeckten Krieg der Vereinigten Staaten von Amerika und anderer westlicher und arabischer Mächte veröffentlichen musste, die so gar nicht zum „arabischen Frühling“ in Syrien passten und in die ihr „Partner“ CIA tief verstrickt war (20). Die Rolle der CIA –  dieses sich zeitweise verselbständigenden Staates im Staate – war auch immer die einer fünften Kolonne, einer verdeckten Division zur systematischen Destabilisierung von Gesellschaften. Syrien war keine vier Jahre ein souveräner Staat, als die gerade gegründete CIA dort ihr Gesellenstück ablieferte, in dem sie in den Jahren 1948 und 1949 in dem arabischen Land Wahlen manipulierte und einen Putsch lancierte (21). Doch auch vor und nach den Ereignissen in den Jahren 1979 bis 1982 betrieb sie – gemeinsam mit dem britischen MI6 – eine unaufhörliche Wühltätigkeit gegen die syrischen Regierungen (22,23,a2).

Nun werden Geheimdienstinformationen in den westlichen Staaten – abhängig vom Grad der Geheimhaltung – per Gesetz nach einer bestimmten Zeit in verschiedenen Stufen deklassifiziert und so für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht (a3).

Das traf nach 30 Jahren – 2012 – auf ein weiteres Dossier der DIA zu (24,25). Dessen Inhalt stammt vom April 1982, dem Jahr des sogenannten „Massakers von Hama“ in Syrien. Von einem Massaker ist im Dossier der DIA allerdings nie die Rede. Humorlos nannten die Schlapphüte bereits in der Überschrift die Dinge beim Namen (b3):

Wer sich mit den Ursachen des Syrien-Krieges unserer Tage näher beschäftigt hat, kann hier eine Wiederbegegnung der besonderen Art erleben. Das, was auch ich als den Tiefen Staat (a4) bezeichne, war im Jahre 2011 sehr wohl informiert, dass es im Frühjahr keinen Volksaufstand gab, dafür aber das Entfachen eines zügellosen Terrors, um die Gesellschaft zu destabilisieren und den heißen Krieg gegen die Assad-Regierung beginnen zu können.

Das war im Jahr 2011, obiges Papier behandelt Ereignisse aus dem Jahre 1982. Doch in beiden Fällen wussten die Eingeweihten um die Geschehnisse. Sie wussten, dass es sich um eine Rebellion der terroristischen Muslimbruderschaft handelte. Jene Muslimbrüder, die im Jahr zuvor den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat ermordet hatten (26). Noch ein Jahr früher waren in der syrischen Hauptstadt Damaskus hunderte Menschen durch Bombenanschläge dieser Islamisten ums Leben gekommen (27). Die Mär vom Volksaufstand in Hama ist eine Erfindung, um große Bevölkerungsschichten, bis hinein in die Politik zu manipulieren und eine langfristige politische Agenda durchzusetzen, die die fortwährende Kontrolle der Gesellschaften im arabischen Raum zum Ziel hat.

In ihrem Papier beschreibt die DIA auch die Vorgeschichte der Ereignisse von Hama und die bekam durch die Massakrierung von 50 Kadetten einer Offiziersschule in Aleppo durch die Muslimbrüder eine neue gewalttätige Note. Das geschah am 16. Juni 1979. Die Muslimbruderschaft hatte sich ganz offen dem gewalttätigen Sturz der Assad-Regierung verschrieben. Zu diesem Zweck beabsichtigte sie, die Bevölkerung gegen die Staatsmacht aufzuhetzen – das Verständnis der Muslimbrüder von einem Volksaufstand. Im Juni 1980 hatten sie ein Attentat mit dem Ziel der Ermordung des syrischen Staatspräsidenten unternommen, das allerdings fehlschlug (28).

So etwas wirft die Frage für jede Regierung der Welt auf, wie sie sich einem solchen Ausbruch von Gewalt und den damit verbundenen radikalen Zielen stellen soll, wenn sie nicht selbst untergehen will. (29)

Um darauf aufmerksam zu machen, wie bis heute die Geschichte zu Syrien verfälscht wird, an dieser Stelle die Wiederholung des weiter oben aufgeführten Zitats aus den Büros des deutschen Verfassungsschutzes, eines deutschen Nachrichtendienstes – verfasst im Jahr 2017:

„Ziel der MB [Muslimbruderschaft] ist die Errichtung eines „bürgerlichen Staates mit islamischen Werten“. Seit den 1970er-Jahren formuliert die MB den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele.“ (30)

Mit der gleichen Begründung hatte man diese militante Organisation seit 2011 in das Projekt “The Day After” eingebunden – unter tätiger Mitwirkung der SWP mit Volker Perthes an der Spitze. Wir erkennen eine sehr bemerkenswerte Parallelität der Ereignisse und der medialen Version ihrer Verbreitung. Es wird nicht die Einzige bleiben.

So war auch die Zeit seit 1979 eine Art „Arabischer Frühling“. Die Muslimbrüder und ihre Förderer hatten den Zeitpunkt des versuchten Umsturzes gut gewählt. In Afghanistan wurde ein verdeckter Krieg der CIA gegen die Sowjetunion in Gang gebracht (31,32) und im Iran war die Islamische Revolution ausgebrochen. Auch diese Erhebung hatte wohl Drahtzieher im Ausland, so wie auch der zwei Jahre später vom Irak ausgehende Krieg gegen den Iran. Das ist das, was später die Vertreter des PNAC und des NED eine revolutionäre Situation nannten und das in die Strategiekonzepte eines Greater Middle East einfloss (33,34,a5). Das sind Pläne, in die seit vielen Jahren auch eine deutsche Stiftung – von der ich annehme, dass es vorrangig die SWP ist – eingebunden war (35).

All diese Prozesse hatten zu einer Schwächung nationalstaatlicher Souveränität in den betroffenen Ländern geführt und der Plan für Syrien fügte sich nahtlos in das Konzept ein. Syrien war auch zu jener Zeit schon ein enger Verbündeter des Iran, was Washington veranlasste, die irakische Regierung unter Sadam Hussein gegen die Regierung von Hafez al-Assad intrigieren zu lassen. Zudem war die syrische Gesellschaft traditionell säkular, was Garant für eine hohe Stabilität des Systems war. Das zu zerschlagen, darauf setzen die „Gestalter“ aus dem Wertewesten im Rahmen des Prinzips des „Teile und Herrsche“ seit vielen Jahrzehnten.

Die fanatischen Sektierer der Muslimbruderschaft, die – in ihrer Ideologie gefangen – blind für ihre Rolle als Umsetzer von Konzepten fremder Mächte sind, hatten seit Jahrzehnten eine Heimstatt in Saudi-Arabien. Diesbezüglich darf man darüber grübeln, weshalb die Muslimbrüder im wahhabitischen Königreich über Jahrzehnte wohlgelitten waren, obwohl ihr Sektierertum dem ebenso radikalen des Wahhabismus entgegenstand. Wer also sorgte bis in die jüngste Vergangenheit dafür, dass die Muslimbrüder zur Vorbereitung auf ihre operativen Aufgaben anderswo – wie zum Beispiel seit 1979 in Afghanistan – von Riad geduldet wurden (36)?

Eine andere Geschichte – erzählt durch die DIA

Was die Muslimbruderschaft in eine erbitterte Feindschaft gegen die damalige Assad-Regierung trieb, war nicht nur die eigene Niederlage im Machtkampf Anfang der 1960er Jahre. Es war vor allem ein Ereignis, das im arabischen Raum bis heute als so ziemlich einzigartig gelten dürfte. 1973 wurde in Syrien eine Verfassungsänderung umgesetzt, in der die Trennung von Kirche und Staat zwingend festgeschrieben wurde. Stattdessen wurde die (private) Freiheit der Ausübung jedweder Religion in der Verfassung verankert. Für die Muslimbrüder, die den Machtanspruch mit ihrem sunnitischen Glauben verbinden – einem der die Scharia in der Verfassung verankern möchte – kam das einer Kriegserklärung gleich, die sie mit Krieg beantworteten.

Diese Informationen finden Sie übrigens im vorliegenden Dossier der DIA (37).

Diese Informationen finden Sie allerdings nicht in den Schriften einer regierungsnahen Institution, die den Auftrag hat, Bürger politisch zu bilden – was für sich allein bereits mit einer gewissen Fragwürdigkeit behaftet ist. Die bpb erzählt dem Leser in ihrer Abhandlung zum „Massaker von Hama“ nichts über diese Verfassungsänderung, einem Meilenstein der jüngeren syrischen Geschichte und dazu auch noch ein eminent wichtiges Puzzle-Teil, um zu verstehen, was warum 1982 in Hama geschah (38). Kaum überraschend, tut es die deutsche Wikipedia der bpb bis heute gleich (39).

So etwas nennt man Dekontextualisierung, um nachfolgend einen neuen Kontext setzen zu können – zum Beispiel den von einem blutrünstigen Diktator.

Was die Muslimbrüder 1979 bis 1982 in Syrien veranstalteten, war nämlich auch aus der so oft beschworenen Sicht eines demokratischen Rechtsstaates ein Angriff auf eine wichtige demokratische Komponente, die des Säkularismus. Der Staat hatte jedes Recht, diesem gewaltsamen Angriff entgegenzutreten.

Das Dokument der DIA zeigt deutlich, dass es bei den Ereignissen damals nicht um einen Volksaufstand – schon gar nicht um einen spontanen Aufstand – ging. Vielmehr lesen wir von einer generalstabsmäßig geplanten und durchgeführten militärischen Operation, die vordergründig vom Irak Sadam Husseins sowie jordanischen und saudischen Politikern unterstützt wurde. Wie im Jahre 2011, so infiltrierten Mitglieder des Führungszirkels der Muslimbrüder seit Sommer 1981 von Jordanien aus Syrien. Weitere kamen aus dem Irak und der Türkei (40). Zudem schwappten tausende sunnitische Glaubenskrieger über die jordanische Grenze in das nördliche Nachbarland (41).

Beim vergleichenden Blick auf das Syrien des Jahres 2011: Kommt uns das nicht bekannt vor?

In Vorbereitung ihrer Attacke in Hama führten die Muslimbrüder wahllos Bombenanschläge aus, um Unsicherheit, bis hin zum Chaos im Land zu verbreiten und Gewalt seitens der syrischen Sicherheitskräfte zu provozieren. In Hama und im nahe der jordanischen Grenze gelegenen Daraa bauten sie eine militärische Infrastruktur auf, überfielen Regierungsbehörden und stahlen Dokumente (42).

Die militärische Eskalation in Hama ging auch mitnichten von der Regierung sondern von den Muslimbrüdern selbst aus. Nachdem die Pläne der Extremisten dem syrischen Geheimdienst bekannt geworden waren, begann er im Januar 1982 systematisch, die von den Muslimbrüdern infiltrierten Städte Daraa und Hama zu durchkämmen. Die Islamisten fühlten sich in die Enge getrieben und trieben deshalb den Aufstand rasch in die Eskalation (43).

Dass es der Irak und Saudi-Arabien nicht allein – und auch nicht aus alleinigem Antrieb – waren, welche den Muslimbrüdern zur Hand gingen, erfahren wir anhand dieses Details: Ende Januar / Anfang Februar 1982 reisten die drei führenden Köpfe der Muslimbrüder – Adnan Said al-Din, Said Hawi und Ali Sadr al-Din Bayluni aus ihrem geheimen Hauptquartier in Brüssel nach Syrien (44). Der US-Geheimdienst wusste also ganz genau, wo der Führungszirkel der terroristischen Muslimbrüder bis dahin weilte, nämlich mitten in einer Zentrale des demokratischen Wertewestens, das sich ja seit eh und je dem Kampf gegen den Terrorismus verschrieben hat – doch letztlich nur, um ihn zielgerichtet für eigene Zwecke zu züchten und zu pflegen.

Durch den Irak wurde damals übrigens auch ein Radiosender betrieben, der sich Voice of Arab Syria (Stimme des arabischen Syrien) nannte. Knapp drei Jahrzehnte später würde das passende Pendant al-Jazeera heißen. Seit 1981 sorgte zudem eine Publikation namens Al Minbar für eine rege Diskussion über die Verletzung von Menschenrechten in Syrien (45). Wie im Jahre 2011, so versuchte man damals Syrien international – vor allem in der arabischen Welt – zu isolieren und die Legitimität der syrischen Regierung zu untergraben. All diese Informationen stehen in einem Dossier des US-amerikanischen militärischen Auslandsgeheimdienstes DIA. In der deutschen Wikipedia ist zum „Massaker von Hama“ dieses Bild zu sehen (b4):

Untertitelt ist das Bild so: „Innenstadt von Hama nach dem Massaker mit dem teilweise zerstörten Minarett der im Jahr 1163 erbauten al-Nuri-Moschee“. Welche emotionale Wirkung Bild und Text haben, muss nicht groß erläutert werden: Böses Regime macht alles kaputt, sogar die schönen alten Kirchen.

Wir sprachen weiter oben von Dekontextualisierung. Sie reißt Dinge aus dem Zusammenhang und schränkt damit das Gesamtbild ein. So hinterlässt sie ein schmales Fenster, das wichtige Wahrheiten nicht mehr zeigen kann. Sie schafft die Voraussetzung, willkürlich einen neuen Zusammenhang herzustellen. Einen, der im Rezipienten das gewünschte Bild mit diesem geistigen Gewaltakt erzeugt.

Unter welchen Umständen tatsächlich die al-Nuri-Moschee zerstört wurde, lässt uns die Quelle nicht wissen. Das muss sie auch nicht, denn die Emotion, dass eine mordende und brandschatzende Soldateska keinen Stein auf dem anderen ließ, ist tief in den Hirnen der Menschen verpflanzt. Die DIA weiß allerdings etwas über die Moscheen im Hama jener Zeit zu berichten, was uns eine neue Sicht verschafft:

„On 2 February, following a clash between the Muslim Brotherhood an Syrian security forces, the loudspeakers atop the mosque minarets in Hama called on the people to begin a Jihad (Holy Struggle) against the government. The appeal also told the people that arms were available at specified mosques.“ (46)

Die DIA lässt uns wissen: Am 2. Februar 1982 wurde von den Minaretten in Hama zum heiligen Krieg gegen die syrische Regierung aufgerufen. Über die Lautsprecher wurde zudem verkündet, dass in bestimmten Moscheen Waffen verfügbar sind. Knapp 30 Jahre später erfüllte die al-Omari-Moschee im syrischen Daraa den gleichen Zweck. Jenem Daraa, aus dem die Geschichte mit den in einer Moschee gelagerten Waffen um die Waffen reduziert wurde, damit man nachfolgend Geschichten von inhaftierten Jugendlichen kreieren konnte, die nie jemals ein Mensch gesehen hat. Jetzt können wir darüber nachdenken, wer 1982 die al-Nuri-Moschee in Hama missbrauchte.

Voice of Arab Syria taute nun völlig zum Instrument der Kriegspropaganda auf. Über den Sender wurden Nachrichten gestreut, die von tausenden toten oder verwundeten syrischen Soldaten, Befehlsverweigerung, Exekutionen von „Regime-Treuen“ durch die „Aufständischen“ und weiteren Erfolgen ihrerseits berichteten. Sprecher der Muslimbrüder berichteten aus Wien, Paris und Bonn (man höre und staune), dass weitere tausende syrische Soldaten zu den „Aufständischen“ desertiert wären. Schließlich – Mitte Februar – wurden Gerüchte über einen Generalstreik lanciert (47).

Kaum eine dieser Nachrichten hielt einer ernsthaften Prüfung stand. Ihr Ziel bestand einzig darin, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und die Gewaltbereitschaft für die Unzufriedenen zu erhöhen. So wertete die DIA diese Kampagne! Alles wie 30 Jahre später in Syrien erneut geschehen …

Was den Muslimbrüdern wie auch der DIA Anfang der 1980er Jahre absolut bewusst war, das war der langfristige Schaden, den die Extremisten – gemeinsam mit Politik und Meinungsführerschaft außerhalb der syrischen Grenzen – mit der Schaffung des Narrativs „das Massaker von Hama“ der syrischen Gesellschaft zufügen würden. Hama wurde 1982 Teil des Brandsatzes im Jahr 2011, um Menschen – nicht nur in Syrien – zu radikalisieren und tatsächliche oder vorgebliche alte Rechnungen zu begleichen.

„The Muslim Brotherhood leadership was fully aware that they had the Assad regime in a „no win“ situation over Hama. If Assad had not acted forcefully against Hama, the rebellion might have spread to other cities which in turn might have led to a full-scale rebellion. Assad’s liberal use of artillery in breaking the resistance in Hama served notice to other cities that he has both the will and the means to retain power. By the same token, however, the Gouvernment’s actions have appalled and stickened a wide spectrum of Syrian society.“ (48)

Die Führung der Muslimbrüder war sich also völlig im Klaren, dass sie das Assad-Regime mit Hama in eine Situation bringen würden, in der es nicht gewinnen konnte. Hätte Assad nicht entschlossen gegen die Rebellion in Hama reagiert, hätte sich diese auf weitere Städte ausbreiten können. Die Anwendung schwerer Waffen seitens der syrischen Armee zur Brechung des Widerstandes in Hama hinterließ allerdings in breiten Schichten der syrischen Gesellschaft ein Trauma.

An anderer Stelle berichtet die DIA von der vollen Absicht der Muslimbrüder, die syrische Regierung immer mehr in eine Spirale der Gewalt zu treiben, um auf diese Weise einen Krieg der Religionen zu entfachen, nämlich der sunnitischen Mehrheit gegen die alawitische Minderheit. Auch dieses Konzept wurde seit 2011 in einer düsteren Neuauflage versucht, in Syrien doch noch umzusetzen (49).

Als die Muslimbrüder zwei Jahre vor den Ereignissen in Hama die Gewalt nach Aleppo, der zweitgrößten Stadt Syriens trugen, verfolgten sie genau das gleiche Ziel und sie verwendeten die gleichen Methoden. Ein Bericht der CIA aus dem Jahre 1980 wusste damals außerdem zu berichten (b5):

Schon damals riefen also Sektierer aus den Reihen der Muslimbruderschaft nach einem Islamischen Staat, einem Kalifat. Ihr „Pflegepersonal“ im angeblich voll und ganz der Demokratie verschworenen Wertewesten wusste das. Man möchte meinen: Alles schon mal da gewesen. Nur um das nicht aus den Augen zu verlieren: Wie formulierte doch gleich der deutsche Verfassungsschutz die Ziele der MB für genau jene Zeit?

„Ziel der MB [Muslimbruderschaft] ist die Errichtung eines „bürgerlichen Staates mit islamischen Werten“. Seit den 1970er-Jahren formuliert die MB den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele.“ (50)

Ist das ideologische Blindheit, Vorsatz, Opportunismus, vielleicht auch Angst? Ist es eine Mixtur aus allem?

Die Toten von Hama

Keine Frage: In Hama sind damals viele Menschen gestorben, auch viele Zivilisten. Das war eine erbitterte, militärische Auseinandersetzung der Staatsmacht mit militanten Glaubenskriegern, die sich in einer Großstadt verschanzt hatten. Diese Erkenntnis wiederzugeben, ist aber etwas anderes als die Opfer des Konflikts – in Vorbereitung der Lancierung des nächsten Konflikts – zu instrumentalisieren.

Propaganda ist zweckbezogene Beeinflussung der Hirne von Menschen.

Das trifft natürlich auch auf das „Massaker von Hama“ zu. Anfangs wurde schlicht von einem Aufstand gesprochen, ohne sich besonders daran zu stören, welche extremistischen Gruppen diesen Aufstand anzettelten und anführten. Schließlich genoss auch ein Anführer dieser terroristischen Vereinigung Asyl im westdeutschen Aachen und führende Muslimbrüder konnten auflagenstarken westdeutschen Zeitungen Interviews geben (51,52).

Westliche Massenmedien verbreiteten des weiteren Berichte von mit den Muslimbrüdern liierten Informanten – hießen die damals vielleicht auch schon „Aktivisten“? – in den von abertausenden toten syrischen Soldaten die Rede war, von ebenso vielen zu den „Aufständischen“ übergelaufenen, von Exekutionen an syrischen Sicherheitskräften und gekaperten U-Booten der syrischen Marine. Bis auf einige terroristische Bombenanschläge in Damaskus und Umgebung, breitete sich der Aufstand jedoch nie über Hama hinaus aus (53,54).

Mit Niederschlagung des Aufstandes entstand übergangslos „das Massaker von Hama“. Aus tausenden toten Soldaten wurden nunmehr zehntausende tote, unschuldige Zivilisten. Lesen Sie heute den entsprechenden Wikipedia-Artikel stellen Sie fest, dass die Toten auf Regierungsseite – wie sagt man so schön – „verschwunden“ und die Opferzahlen schlicht erfunden sind. Es sind durch nichts belegte, aber emotional berührende Gerüchte.

Lesen wir, was die DIA zu den Opferzahlen ermittelt hatte:

„The total casualties for the Hama incident probably number about 2.000. This includes an estimated 300 – 400 members of the Muslim Brotherhood’s elite Secret Apparatus or about third of their total Secret Apparatus strength in Syria.“ (55)

Wir erfahren nichts von einem „Massaker“ sondern von einem „Incident“, einem Vorfall und wir lesen von insgesamt 2.000 Opfern. Von diesen zählte die DIA etwa 300 bis 400 zum geheimen Apparat der Muslimbruderschaft. Wir reden von einer erbitterten gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen zwei bewaffneten Konfliktparteien. Daher sind unter den 2.000 Opfern auch weitere Extremisten, aber auch Angehörige der syrischen Sicherheitskräfte in dreistelliger Höhe zu zählen. Realistisch ist es also, davon auszugehen, dass auch mehrere hundert Zivilisten in den Kämpfen zu Tode kamen.

Von einem Massaker in Hama aber kann nach dem Dossier der DIA – und mir fällt kein Grund ein, den Jahrzehnte unter Verschluss gehaltenen Bericht anzuzweifeln – keine Rede sein.

Fazit

Einen Volksaufstand hat es auch im Syrien des Jahres 1982 ebenso wenig gegeben wie ein „Massaker in Hama“. So sehr ihn auch die westlichen Massenmedien damals herbeischreiben wollten (56). So – wie drei Jahrzehnte später auch – gab es ohne Zweifel soziale und politische Spannungen in Syrien. Aber ein politisches System, geführt von den Muslimbrüdern, das wollte die syrische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit ganz sicher nicht. Lassen wir dazu erneut das Dossier der DIA sprechen:

„Nonetheless, Assad’s strategy continues to be based on the realization that most Syrians, regardless of their difference with the present government, do not want the Muslim Brotherhood in power, although they would undoubtly prefer one dominated by Sunni Muslims. Furthermore, the Syrians are pragmatic and realize that Assad has given Syria greater stability during his rule than it has had at any other time since achieving independence in 1946. This is not to say that Assad’s government is popular with all segments of Syrian society, but under the present circumstances it is doubtful any alternative government could do better.“ (57)

zu deutsch:

„Nichtdestotrotz basierte Assads Strategie auf der Erkenntnis, dass die meisten Syrer – ungeachtet ihrer Differenzen mit der Regierung – keine Muslimbruderschaft an der Macht wünschten, auch wenn sie zweifellos eine von sunnitischen Muslimen dominierte Regierung bevorzugen würden. Außerdem sind die Syrer pragmatisch und anerkennen, dass Assad Syrien während seiner Amtszeit größere Stabilität verschafft hat, als zu jeder anderen Zeit seit Erlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1946. Damit ist nicht gesagt, dass Assads Regierung in allen Schichten der syrischen Gesellschaft beliebt ist, aber unter den gegebenen Umständen ist es zweifelhaft, dass andere Regierungen es besser machen würden.“

Das DIA-Dokument wurde (Stand Dezember 2018) vor sechs Jahren deklassifiziert. Dieser Fakt und die einhergehende vollständige Nichtbehandlung durch Medien und Politik zeigt das ganze Dilemma derer Unfreiheit. Die gesteuerte Medienfront hatte im Jahre 2012 ganz andere Weisungen zur Meinungsbildung über Syrien umzusetzen. Sie gerierten sich als Lakaien des geheimen Komplotts gegen Syrien – sie füllten ihren Part im Rahmen einer Verschwörung aus.

Da kam ein deklassifizierter DIA-Bericht, der mit einer grundlegenden Syrien-Lüge aufräumte, zur absoluten Unzeit. Auch der Syrien-Kenner Volker Perthes, der seit Jahren tief in die Schweinerei gegen einen UN-Mitgliedsstaat verwickelt ist, verbreitete sechs weitere Jahre lang unverdrossen seinen tiefen Glauben an die ideologisch eingebrannte Geschichte vom „Massaker in Hama“, die – weil ideologisch – eben nicht mehr logisch sein muss. So läuft das nun einmal: im Krieg und in den Krieg.

Bleiben Sie bitte schön aufmerksam.

Bildhinweis: Norias in Hama during the night (Syria)

Anmerkungen

(a1) Schon die pure Zahl an Mitarbeitern in den US-amerikanischen Geheimdiensten legt nahe, dass diese Organisationen Strukturen in der Gesellschaft herausgebildet haben, die ihnen eine weitreichende gesellschaftliche Einflussnahme erlauben.

(a2) Wie dieser Artikel des Spiegel aus dem Jahr 1983 belegt, unterscheidet sich die Propaganda heutiger Tage, um Kriege zu legitimieren, nur wenig von jener Jahrzehnte zuvor.

(a3) Wenn die Politik des Tiefen Staates zu schmutzig wird – so schmutzig, dass sie die Fassade der repräsentativen Demokratie zu sehr einreißt – dann wird mit der Offenlegung von Geheimdienstdokumenten auch gern mehr als 100 Jahre gewartet. Das wurde der demokratischen Öffentlichkeit zuletzt beim sogenannten NSU-Prozess zugemutet (58).

(a4) Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) – als staatsnahe Institution – kennt sehr wohl den Begriff Tiefer Staat. Das lässt sich beispielhaft an einem Artikel zu politischen Prozessen in der Türkei erlesen – auch wenn die bpb sich ziert, tatsächlich alle in den Tiefen Staat involvierten Akteure zu benennen  (59).

(a5) Die Verwicklung westlicher Geheimdienste in die gesellschaftlichen Umwälzungen im Iran des Jahres 1979 und danach, wie auch die Motive, verstärkt in die Souveränität der Staaten im Nahen und Mittleren Osten einzugreifen, bleibt späteren Artikeln vorbehalten.

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Quellen

(1) 19.3.2013; http://spiegelkabinett-blog.blogspot.com/2013/03/journalisten-der-atlantikbrucke-in.html

(2) https://lobbypedia.de/wiki/Atlantik-Br%c3%bccke; entnommen: 20.11.2018

(3) 13.4.2006; http://www.bpb.de/themen/NL5R8W,0,Politik_unter_Einfluss.html

(4) 26.7.2016; http://www.anonymousnews.ru/2016/07/26/korrumpiert-das-sind-die-deutschen-mitglieder-der-us-lobbyorganisation-atlantikbruecke/

(5) https://www.politische-bildung.de/syrien.html?&L=1; entnommen: 1.12.2018

(6) Thomas Speckmann; 22.6.2011; https://www.zeit.de/2011/26/Syrien-Hama/komplettansicht

(7) 2.2.2012; https://www.aljazeera.com/indepth/inpictures/2012/02/201222105813281649.html

(8) 1.12.2018; https://www.politische-bildung.de/impressum_politische_bildung.html

(9) 1.12.2018; https://www.planet-schule.de/sf/filme-online.php?reihe=1511

(10) 5.10.2011; https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/medienbeitraege/111005_HB_Syrien_Prt_KS.pdf

(11) Das Scheitern einer Erbrepublik; Volker Perthes; Januar 2012; https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/januar/syrien-das-scheitern-einer-erbrepublik

(12) 15.8.2006; https://www.deutschlandfunkkultur.de/flaneur-im-nahen-osten.950.de.html?dram:article_id=134288

(13) 23.9.2015; http://www.berliner-zeitung.de/volker-perthes-wird-friedensvermittler–der-syrien-krieg-dauert-schon-viel-zu-lange–22832632

(14) Die unsichtbare Hand des Meinungsmarktes; Reinhardt Gutsche; 2014-12-19; https://www.freitag.de/autoren/reinhardt-gutsche/die-unsichtbare-hand-des-meinungsmarktes

(15) Concerning Criticism of the Warren Report; http://www.jfklancer.com/CIA.html

(16) Conspiracy theory in America, DeHaven-Smith, Lance; 2013; first edition; University of Texas Press; ISBN 978-0-292-74379-3

(17) Conspiracy theorists sane; government dupes crazy, hostile; 2013-02-12; http://www.presstv.ir/detail/2013/07/12/313399/conspiracy-theorists-vs-govt-dupes/

(18,30,50) VSB; 2017; Verfassungsschutzbericht; S. 210; https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2017.pdf

(19) 2.12.2012; http://www.spiegel.de/politik/ausland/geheimdienst-dia-pentagon-will-auslandsspionage-massiv-ausweiten-a-870484.html

(20) 12.8.2012; veröffentlicht:10.4.2015; https://www.judicialwatch.org/wp-content/uploads/2015/05/Pg.-291-Pgs.-287-293-JW-v-DOD-and-State-14-812-DOD-Release-2015-04-10-final-version11.pdf

(21) 12.7.2013; Ernesto J. Sanchez; https://nationalinterest.org/commentary/washingtons-long-history-syria-8717

(22) 14.9.1983; Dossier der CIA über mögliche Angriffe auf die syrische Regierung; deklassifiziert am 27.5.2008; https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA-RDP88B00443R001404090133-0.pdf

(23) 27.9.2003; Ben Fenton; https://www.theguardian.com/politics/2003/sep/27/uk.syria1

(24) 9.10.2012; https://www.cleveland.com/opinion/index.ssf/2012/10/the_secret_memo_on_syrias_1982.html

(25) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dia-syria-muslimbrotherhoodpressureintensifies-2.pdf?uselang=fr; entnommen: 13.12.2018

(26) 6.10.2011; http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68701/attentat-auf-aegyptens-praesident-sadat-06-10-2011

(27) 23.3.2007; Saul Landau; https://www.counterpunch.org/2007/03/23/return-to-syria/

(28) Under the Black Flag: At the Frontier of the New Jihad.; Sami Moubayed; 2015; I.B.Tauris; S. 38-39; https://en.wikipedia.org/wiki/June_1980_assassination_attempt_on_Hafez_al-Assad; entnommen: 13.12.2018, 19:35 Uhr

(29) Dossier der DIA zum Aufstand der Muslimbrüder im Januar und Februar 1982; 22.4.1982; https://syria360.files.wordpress.com/2013/11/dia-syria-muslimbrotherhoodpressureintensifies-2.pdf ; im folgenden kurz: D-DDIA-MB; S. viii

(31) The CIA’s Intervention in Afghanistan, Interview with Zbigniew Brzezinski, President Jimmy Carter’s National Security Adviser. Le Nouvel Observateur, Paris, 15.-21. January 1998; Veröffentlichung in Englisch: Centre for Research on Globalisation: http://www.globalresearch.coa/articles/BRZ110A.html

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