Haben Muslime oder Menschen mit muslimischem “Migrationshintergrund” ein frauenfeindlicheres Menschenbild als Nicht-Muslime?

Und sollte man kriminelle Asylsuchende abschieben?

Von Kaveh Ahangar.

Zur 1. Frage: Es gibt natürlich kulturelle Unterschiede zwischen Ost und West. Aber was wir oftmals vergessen ist, dass Kulturen sich im Laufe der Zeit verändern und nicht statisch daherkommen. Z.B. waren Frauen in der „Islamischen Welt“ bis ins 18. Jahrhundert in vielen Lebensbereichen besser gestellt als diejenigen im Westen. Sowohl unverheiratete als auch verheiratete muslimische Frauen der Oberschicht durften freier Reisen und hatten mehr Rechte in Bezug auf Eigentum als ihre westlichen Pendants. Unverheiratete englische Frauen des späten 17. Jahrhundert durften beispielsweise nur mit Zustimmung eines männlichen Vormunds ihr Hab und Gut verkaufen. Wenn sie dann heireiteten wurde ihr ganzer Besitz in die Obhut des Mannes gelegt. Anders als muslimische Frauen waren französische und englische Frauen rechtlich gesehen nur „halbe Personen“ oder sogar „Nicht-Personen“. Im Gegensatz zu muslimischen Frauen, die als „Personen“ im rechtlichen Sinne des Wortes galten, waren Frauen in vielen Regionen des Westens vom Gesetz her also keine vollwertigen Menschen. Erst seit dem 18 Jahrhundert fanden Frauenrechte in Europa zunehmend Berücksichtigung.

Was wir nicht selten vergessen ist zudem, dass es häufig mehr Gemeinsamkeiten gleicher sozialer Klassen unterschiedlicher Länder gibt als Gemeinsamkeiten innerhalb unterschiedlicher Klassen derselben Kultur. Z.B. teilen saudische Prinzen mit westlichen Topmanagern ein ähnlich sexistisches Weltbild gegenüber Frauen. Sie werden von beiden Seiten oftmals zu bloßen Waren und Objekten degradiert. Gleichzeitig teilen viele Lehrer*innen und Professor*innen in Syrien oder Deutschland mehr gemeinsame Werte, z.B. in Bezug auf Geschlechtergleichheit, als die Bildungsschicht beider Länder mit den Bauarbeitern oder Bauern ihrer eigenen Staaten. Kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede hängen also zu einem nicht unerheblichen Grad von der Klassenzugehörigkeit ab.

Vergewaltigungen, sexistische Sprüche und Übergriffe, häusliche Gewalt und die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen sind kein muslimisches, sondern ein globales Problem. Und wenn es tatsächlich so wäre, dass „orientalische“ Männer frauenfeindlicher sind, dann hängt das weniger mit dem Islam zusammen als mit den sozio-ökonomischen Verhältnissen in denen diese Menschen Leben und aufwachsen. Die Art der religiösen Auslegungen hängt in erster Linie von den gesellschaftlichen Umständen ab. Je ungebildeter, ärmer und perspektivloser die Menschen sind, desto mehr neigen sie zu rückständigen Ideologien. Und dass einige Muslime zu rückschrittlichen Interpretationen des Islams tendieren, ist wohl kaum verwunderlich, nachdem der Westen die Länder des „Mittleren Ostens“ seit knapp 15 Jahren permanent bombardiert und in den Chaos gestürzt hat, während die Muslime im Westen immer mehr marginalisiert und ausgegrenzt werden.

Zur zweiten Frage: Ich lese immer wieder Sätze wie:

„Aber wenn wir hier jemanden aufnehmen, dann hat dieser die Bringschuld sich auch an die Regeln zu halten.”

Dabei wird außer Acht gelassen, dass diejenigen, die als erstes internationales Recht gebrochen haben, die NATO-Staaten waren als sie ohne UN-Mandat den Irak bombardierten und jetzt dasselbe in Syrien tun. Weil Deutschland aufgrund seiner Kriegsbeteiligung eine nicht unbedeutende Mitschuld für die Flucht von Afghanen, Irakern und Syrern trägt, wäre es wohl das Mindeste, dass man kriminelle Geflüchtete nach deutschem Recht bestraft und nicht in die Staaten zurückschickt, die Deutschland mitzerstört hat.

Diese Doppelstandards, welche den Wert eines Menschen nach seiner Herkunft und seinem Aufenthaltsstatus messen, sind der Kern jeder rassistischen Ideologie. Häufig wird auch das Argument herangezogen, dass es einfach nicht genug Mittel für die Geflüchteten geben würde. Dass aber nur ein kleiner Bruchteil des Kapitals, welches für Bankenrettungen, Rüstungsausgaben usw. verwendet werden, nötig wäre, um den Asylsuchenden ein würdevolles Leben zu ermöglichen, kommt diesen Leuten nicht in den Sinn. Kritisiert wird immer nur der Flüchtlingszustrom, während die Geflüchteten gerne gegen die Armen ausgespielt werden. Den Armen in Deutschland würde es allerdings auch ohne Asylsuchende schlecht gehen. Daran ist die neoliberale Politik schuld, aber nicht die Geflüchteten. Und selbst nach kapitalistischer Verwertungslogik sind die Geflüchteten eine Bereicherung für die deutsche Wirtschaft. Sie kurbeln den Konsum und Arbeitsmarkt an, sichern Steuern und Rentenbeiträge. Aber deren Aufnahme widerspricht der Blut-und-Boden-Ideologie der Mehrheitsbevölkerung, die lieber den weißen Charakter der deutschen Gesellschaft beibehalten möchte. Und auch viele Menschen mit Migrationshintergrund sprechen bereits von Obergrenzen, weil sie ebenfalls einen Verteilungskampf fürchten und die rassistische Logik eines einheimischen “Wir” und ausländischen “Ihr” schon bestens internalisiert haben.

Quelle: https://www.facebook.com/kavehtracks/?fref=ts

Die Sexistischen Übergriffe in Köln und Hamburg

Es besteht wohl kein Zweifel darüber, dass die Übergriffe in Köln und Hamburg vollkommen inakzeptable Angriffe sexistischer Natur waren, für die es keinerlei Rechtfertigung gibt. Es ist lächerlich, wie manche nun versuchen den Frauen eine Mitschuld daran zu geben oder dass die Oberbürgermeisterin den Frauen eine Handlänge Abstand empfiehlt. Entweder spiegeln solche Aussagen die Frauenfeindlichkeit der Männer wider oder den verinnerlichten Sexismus gewisser Frauen. Aber besonders krass ist die Heftigkeit der rassistischen Reaktionen. Typen, die seit Jahren ihre oder auch andere Frauen schlecht behandeln und sich nie um Frauenrechte geschert haben, entdecken plötzlich ihre „feministische“ Ader, und zwar nicht deshalb, weil es ihnen um die Frauen gehen würde, sondern weil sie Frauen lediglich als Projektionsfläche benutzen um ihren Rassismus offen zur Schau zu stellen. Auch Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte, machen auf einmal einen eurozentrischen Unterschied zwischen den „machistischen Muslimen“, den „wilden Arabern“ und „testosterongeladenen Flüchtlingen“ – die angeblich stärker zum Sexismus neigen – und den „aufgeklärten“ und „zivilisierten Europäern“. Dieser Essentialismus ist nichts neues, aber immer wieder erschreckend, denn Klischees, Vorurteile und die Reproduktion anti-muslimischer Rassismen ersetzen dabei viel zu oft eine Analyse sozialer Umstände, die zu solchen Taten führen können.

Falls das tatsächlich überwiegend Menschen mit muslimischem Hintergrund oder Geflüchtete gewesen sind, dann muss man sich die Frage stellen, warum dies der Fall ist. Aber bevor man das tut, sollte man sich erst mal vergegenwärtigen, dass Sexismus und Patriarchalismus nichts neues sind, kein Problem von Muslimen, sondern von Männern im Allgemeinen darstellen und dass es auch viele weiße deutsche Männer gibt, die Frauen begrapschen und vergewaltigen. Aber über die Typen auf Mallorca, auf dem Karneval oder Oktoberfest regen sich die Menschen in Deutschland nicht so sehr auf, weil sie voller Doppelstandards stecken, so dass immer nur bei den „Kanaken“ und „Schwarzköpfen“ die Alarmglocken angehen.

Aber wenn man über die Ursachen spricht, sollte man eines nicht vergessen. Der Alltags- und strukturelle Rassismus, z.B. auf dem Arbeitsmarkt, bei der Ausbildung, in der Schule, bei der Wohnungssuche und vor der Disco, führen dazu, dass sich Asylsuchende oder Jugendliche mit muslimischem Migrationshintergrund immer stärker ausgegrenzt fühlen. Dies führt manchmal zu starken aggressiven Handlungen, einer Besinnung auf rückständige Ideologien oder zu einer nationalistischen und religiösen Identitätssuche. Gleichzeitig wird ihnen tagtäglich der Sexismus von den „Vorbildern“ in Medien und Werbung vorgelebt. Diese Jugendlichen sind also vor allem eines:

Sie sind entweder Produkte der rassistischen, frauenfeindlichen und kapitalistischen Gesellschaft in der sie leben oder im Falle der Geflüchteten auch noch Opfer westlicher Interventionskriege, Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik.

Das soll aber wie gesagt nicht bedeuten, dass sie keine Verantwortung für ihre abscheulichen Taten tragen, sondern nur, dass man diese kontextualisieren sollte, bevor man mit „orientalistische“ Stereotypen um sich schmeißt. Aber leider schon zu spät, denn auch die Mainstreampresse wie SZ zeigt sich ungeniert von ihrer rassistischen Seite. Selbst Heribert Prantl spricht sich für die Abschiebung von kriminellen Flüchtlingen aus. Der Rassismus steckt den meisten Deutschen anscheinend noch tief in den Knochen. Und davon sind leider nicht einmal die Linken ausgenommen, wie regelmäßige Äußerungen von Oskar Lafontaine über notwendige Obergrenzen für Geflüchtete deutlich machen.

Quelle: https://www.facebook.com/kavehtracks/?fref=ts

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