Finis Germania oder: Deutschlands Demokratie ist verloren – Teil 5

Warum wir zurück in der Zeit der Monarchien und der Aristokratie sind

von Jochen Mitschka.

Dies ist der fünfte Teil einer Artikelserie, die Auszüge aus dem gleichnamigen E-Book(1) enthält. Im ersten Teil sprach ich über die Entstehung des Grundgesetzes, und über „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Der zweite Teil handelt, logisch darauf aufbauend, von der „Verantwortung des Eigentums“, die im Grundgesetz gefordert wird. Im dritten Artikel beleuchte ich die angeblich vorhandene „Gleichheit vor dem Gesetz“, die ebenfalls ein wichtiger Teil des Geistes des Grundgesetzes ist. Im vierten Artikel weise ich nach, dass eine der wichtigsten Forderungen des Grundgesetzes, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen darf, mit Füßen getreten wird. Im fünften Teil nun zeige ich auf, was aus der versprochenen Privatsphäre im Grundgesetz in der Praxis wurde und was aus dem Sinn von Verfassungen, den Bürger vor dem Staat zu schützen, im Jahr 2019 wurde.

Sicherung der Privatsphäre

Einer der wichtigsten Vorteile der westlichen Welt zur Zeit des Kalten Krieges, so wurde uns gesagt, war der Schutz der Privatsphäre, die im Westen angeblich perfekt wäre, während sie unter der Knute der Sowjets nicht existieren würde. Was passierte nun, nachdem der erste Kalte Krieg beendet war? (2)

Nehmen wir das Beispiel Briefgeheimnis. Seit dem 17. Jahrhundert schützte man die Menschen davor, ausspioniert zu werden. Wobei die Möglichkeiten des Spionierens seinerzeit beschränkt waren. So bedurfte es eines großen Aufwandes, einen Brief „zu verletzen“ oder eine Person sogar systematisch zu überwachen. Nachdem diese Hürden aber im 21. Jahrhundert gefallen waren, seit es also viel leichter ist, E-Mails, die heute normale Briefe ersetzen, also quasi die Rechtsnachfolger von Briefen sind, systematisch und flächendeckend zu überwachen, werden die Vorschriften nicht verschärft – was dem Geist und Sinn der Vorschrift entsprochen hätte – sondern praktisch außer Kraft gesetzt. (3)

Nochmal: Jetzt wo die Totalüberwachung des Bürgers technisch möglich wurde, wird das was Bürger vor hunderten von Jahren erkämpften aus dem Weg geräumt. Was bedeutet, dass wir heute weniger Privatsphäre haben als die Menschen im 18. Jahrhundert. Und das mit einer großen Selbstverständlichkeit, als hätte es den Geist und Sinn des Briefgeheimnisses niemals gegeben.

Aber die Parteien verteidigten das Grundgesetz noch nicht einmal gegen fremde Mächte. Das Abhören und Auspionieren durch den US-Geheimdienst NSA findet nach wie vor statt – eine Aufarbeitung von Enthüllungen sucht man vergeblich.(4)

Naja, es gibt schon Privatsphäre. Die der Politiker und ihrer Zuarbeiter. Ansonsten wären die Akten über die rechtsradikalen Anschläge der NSU nicht bis ins Jahr 2134 geheim. (5)

Um davon abzulenken, dass der einzelne Bürger für den Staat zum gläsernen Bürger wurde, werden Gesetze erlassen, die andere Privatpersonen und Firmen zwingen, restriktiver mit der Privatsphäre von Menschen umzugehen. Was dann zu so lächerlichen Dingen führt, wie tausendfach wegzuklickende Mitteilungen auf Internetseiten oder Beschwerden, an den Klingeln von Mehrfamilienhäusern doch bitte die Namen wegzulassen oder beim Arzt nicht mehr den Namen des wartenden Patienten aufzurufen.

Unter diesem Schein der Wahrung der Privatsphäre, die laut UNESCO „eine wichtige Rolle für die Stärkung der Meinungsfreiheit und der politischen Rechenschaftspflicht“ darstellt (6) wird in Wahrheit für den Staat jede Barriere abgebaut, die ihn daran hindert den Bürger vollkommen zu durchschauen.

So sind Grund- und Menschenrechte im so genannten “Kampf gegen den Terror” zunehmend unter Druck geraten.(7) Zum Beispiel in Deutschland, wo die NSA und der britische GCHQ millionenfach Kommunikationsdaten deutscher Bürger abfangen und somit massiv in die Grundrechte von Millionen Deutschen eingreifen. Eine entschiedene Reaktion der Regierung darauf steht bis heute aus.“(8)

Vielleicht wird der Grund deutlicher, wenn man betrachtet, welchen Gesetzen die deutschen Parteien zugestimmt haben.

Da gab es zunächst das Besatzungsstatut. Nun hatte nach dem Krieg Deutschland nicht viel zu melden. So war es verständlich, dass sich die Regierungen nicht gegen das Ausspionieren Deutschlands wehren konnten.

Aber die Siegermächte des zweiten Weltkrieges haben nach wie vor das Recht, die Briefe der Deutschen zu lesen. Zunächst, als das Grundgesetz den Besatzungsstatus ersetzte, gab es dann die Alliierten Vorbehaltsrechte. Die waren geheim, deshalb wusste der normale Deutsche nichts davon.

1968 kam in Deutschland das G10-Gesetz, das das Briefgeheimnis einschränkte, und die Verfassung wurde so geändert, dass man nicht einmal mehr dagegen klagen konnte. Dadurch erübrigte sich eigentlich das eigene Abfangen von Mitteilungen durch die Alliierten, sie benutzten jetzt hauptsächlich deutsche Behörden. Deshalb fielen die geheimen Verwaltungsvereinbarungen mit den USA weg. Sie wurden durch die Alliierten Vorbehaltsrechte ersetzt.

Im Jahr 2013 wurden diese geheimen Verwaltungsabkommen dann hinfällig. Aber das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut ist nun ein gleichwertiger Ersatz. Und so kommt es, dass die drei Siegermächte des zweiten Weltkrieges auch heute noch in Deutschland das Grundgesetz außer Kraft setzen können, ohne dass die Politiker sich wagen, es den Wählern einzugestehen.

Siehe auch „Die Anstalt“(9), falls Sie den Erklärungen nicht folgen wollen. Die ganze Sendung findet man auf der Archivseite von Claus von Wagner (10). Den Faktencheck (11) ebenfalls.

Wenn demnächst dann auch noch die Vorratsdatenspeicherung hinzu kommt, wird man auch rückwirkend noch jederzeit jeden, und ohne vorliegenden Anlass, in jeder Lebenssituation beobachten können. Sicher, das ist derzeit zumindest offiziell und nach deutschem Recht noch nicht möglich, wird aber durch die amerikanische Geheimdienstorganisation längst durchgeführt. Wie wir schon aus den Dokumenten des Whistleblowers Snowden gelernt hatten. (12)

Und während man immer häufiger bei Auskunftsersuchen hört „das darf ich Ihnen nicht sagen… Datenschutz“ gibt es in Wahrheit auch im privaten Bereich eine Erosion des grundgesetzlichen Schutzes, wie eine Untersuchung der UNI Trier herausarbeitete:

„Die beschriebene Rechtsprechung tendiert indes trotz der geschilderten Faktenlage dazu, den Persönlichkeitsschutz mehr und mehr einzuschränken im Interesse einer unbeschränkteren Meinungsfreiheit, offenbar auf Grund der bereits festgestellten normativen Kraft des Faktischen, also der technischen Entwicklung und den Feststellungen, dass immer mehr Menschen Privatsphärenschutz für sich nicht mehr in Anspruch nehmen wollen.“(13)

Eng verbunden mit dem Schutz der Privatsphäre ist der Schutz des Individuums vor dem Staat.

Schutz des Individuums vor dem Staat

Verfassungen wurden einmal von Untertanen erkämpft. Es ging darum, der Willkür eines Herrschers ein Ende zu setzen und ihn zu zwingen, sich an Regeln zu halten, die er anfangs allerdings selbst bestimmte. Später sollten die Regeln, an die sich der Herrscher zu halten hat, in Verhandlungen vereinbart werden.

Im Laufe der Zeit war eines der Hauptanliegen von Verfassungen, den Einzelnen, das Individuum, vor dem Staat zu schützen. Es war das Anliegen der ersten Verfassungen, den privilegierten Bürger vor der Willkür des Staates zu schützen. Später kamen Regelungen der Menschenrechte dazu.

Aber mit Beginn der ersten Notstandsgesetze 1968 wurden Einschränkungen des Grundgesetzes in bestimmten Situationen vorgesehen, die von den Kritikern als Einstieg in die Aushöhlung des deutschen Grundgesetzes bezeichnet wurden. Wie man heute sieht, hatten sie recht. Und man muss nur das neueste Polizeiaufgabengesetz Bayerns anschauen, um zu erkennen, dass die Warner von damals Recht hatten.

„Eine so umfassende Eingriffs- und Kontrollbefugnis in die Lebensweise und Privatsphäre habe keine deutsche Behörde seit 1945 besessen, schreibt ein von der Opposition beauftragter Gutachter. Das neue Gesetz wird es der bayerischen Polizei erlauben, tief in die Grundrechte der Bürger einzugreifen – und zwar lange bevor eine konkrete Gefahr besteht.“ (14)

Und dieses bayrische Gesetz wird noch weitreichende Folgen haben, denn es ist ein Musterpolizeigesetz, das trotz föderaler Struktur der Bundesrepublik von den anderen Bundesländern übernommen werden wird.

Damit sind wir Bürger wieder genau dort angekommen, wo wir schon einmal waren. Diesmal nicht verursacht durch einen wahnsinnigen Diktator, sondern durch die neue Aristokratie aus Politik und Wirtschaft. Heute wird die Aristokratie wieder vor dem Pöbel geschützt, nicht umgekehrt.

Ein Indiz, dass es sich um eine neue Form der Aristokratie handelt unter vielen die folgen werden, ist die Tatsache, dass die Vertreter der politischen Parteien in den Parlamenten heute zum allergrößten Teil Berufspolitiker sind. Werden sie hier abgewählt, tauchen sie als Kandidaten dort wieder auf oder werden plötzlich Manager eines staatlichen Unternehmens, einer Behörde oder einer Stiftung. Wie Wolfgang J. Koschnik sagt:

„Die Vertreter der politischen Parteien in den Parlamenten haben sich als Staat im Staat eingerichtet und den Staat zum Parteienstaat umgebaut. Dieses Machtkartell entscheidet über alles, was im Staat vor sich geht: über die Staatsschulden, das Bildungs- und Gesundheitswesen, über Steuern und Abgaben, Gerichtsstandorte und den Straßenbau. Fast unmerklich hat sich der Parteienstaat zum Machtmonopol entwickelt, das sich dem Volk – immerhin dem Verfassungssouverän – völlig entfremdet hat.“ (15)

Der deutsche Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim sieht ebenfalls die Kaste der Berufspolitiker als größtes Problem der Demokratie an. Die Größenordnung derjenigen, die von mir als neuer Hochadel tituliert werden, beträgt nach Koschnik ungefähr 10.000 – 20.000 Personen. (16)

„Die politische Klasse, das sind die Berufspolitiker, entscheidet hier ja über die Fraktionsgrenzen hinweg – das ist also nicht nur die eine Partei, sondern auch die anderen, die im Parlament sitzen – in eigener Sache. Das heißt, sie entscheiden über das Wahlsystem, in dem sie vielleicht wiedergewählt werden oder auch nicht. Das ist also keine Verschwörungstheorie, sondern das habe ich ja in meinen Büchern alles ausführlich beschrieben: Das ist also nichts irgendwie Vages, nein, das ist ganz stark durchkomponiert: Im Einzelnen habe ich das in verschiedenen Büchern dargestellt.“(17)

Von Armin glaubt, entgegen meiner Meinung, dass das System reformierbar wäre. Zum Beispiel, indem der Einfluss der Parteien zurückgedrängt werden könnte, in bestimmten Situationen Vorwahlen über Kandidaten eingeführt werden könnten und überhaupt die Wähler mehr Einfluss auf die Politik erhalten sollten. Selbst falls es zu solchen Reformen kommen sollte, werden damit noch lange nicht die grundlegenden Problemen des Parteienstaates beseitigt.

Vorwahlen würden wohl auch einem Verdikt des Bundesverfassungsgerichtes am Nächsten kommen, hatte dieses doch geäußert „während sie (Anmerkung: die Parteien) sonst in sicheren Wahlkreisen den Wählern ihren Wahlkreisbewerber faktisch diktieren könnten.“(18) Im Umkehrschluss gilt, dass im derzeitigen System die Parteien in sicheren Wahlkreisen ihren Bewerber dem Wähler diktieren.

Allgemein bekannt ist, dass im Prinzip die Zweitstimme die wichtigere Stimme ist. Und diese wird von der Partei „interpretiert“. Das heißt, wer durch die Partei auf einen sicheren Listenplatz gesetzt wird, braucht die Wahl nicht mehr abzuwarten. Und so konstatiert Koschnik nüchtern:

„Analysen zahlreicher Wahlen haben gezeigt, dass gut drei Viertel aller Abgeordneten feststehen, bevor die Wahl überhaupt stattgefunden hat. Durch die eigentliche Wahl segnen die Wahlberechtigten nur noch ab, was die inneren Führungszirkel der politischen Parteien längst vor ihnen – und zum überwiegenden Teil hinter verschlossenen Türen – beschlossen haben.“(19)

Ausblick

Im sechsten Teil der Artikelserie berichte ich darüber, was man uns nach dem Krieg versprach, um eine „soziale Marktwirtschaft“ aufzubauen, und was daraus geworden ist.

Quellen und Anmerkungen:

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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