Es gibt NICHTS zu feiern!

Kommentar von Evelyn Hecht-Galinski.

Wenn am 9. November zum 78. Mal an die Kristallnacht erinnert wird und deutsche Politiker zusammen mit jüdischen Funktionären die immer wiederkehrenden Phrasen wie „Nie wieder“ oder „Der Holocaust ist einmalig“ und „Gegen das Vergessen“ von sich geben werden, dann ist das eine Erinnerung ohne Tiefgang. Schließlich gibt es im besetzten Jerusalem für das palästinensische Volk fast täglich „Kristallnacht“!

Wie kann man diesen Gedenktag ohne Gedanken an das heutige unrechtmäßige Geschehen in Palästina begehen? Wie ist es möglich, dass gerade die Erziehung auch in Deutschland zu recht den Holocaust als eines der größten Verbrechen der Menschheit einbezieht, aber die Verbrechen in Palästina so verleugnet. Nichts liegt mir ferner, als die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren, aber es schnürt mir das Herz ab, wenn ich sehe, wie Nachkommen der Verfolgten dieses Shoah-Verbrechens damaliges Unrecht mit heutigem Unrecht rechtfertigen. Unrecht ist niemals zu rechtfertigen und es gibt auch keine Entschuldigung für dieses Verhalten.

Ich kann es nur immer wiederholen, dass ich zu Unrecht nicht schweigen kann, und so hat mich mein Vater als Auschwitz-Überlebender auch erzogen. Als er beschloss, nach Berlin zurückzukehren und das jüdische Leben in Berlin und Deutschland wieder aufzubauen, gegen ALLE Widerstände aus Israel, wurde sein Lebensmotto auch zur Triebfeder meines Handeln „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen“. Ich schweige nicht zu den Verbrechen, die heute im Namen eines „Jüdischen Staates“ begangen werden und mit dem Holocaust gerechtfertigt werden.

Viel schlimmer allerdings ist es, wenn sich gerade Deutschland aus falsch verstandenen Schuldgefühlen bemüßigt fühlt, sich mit diesen Verbrechen zu solidarisieren. Damit wird die alte Schuld nochmals zu einer neuen, niemals wiedergutzumachenden Schuld.

Die Bundesrepublik der alten Prägung von Adenauer, Oberländer und Globke, dem „Kommentator“ der Rasse- und Arisierungsgesetze, und die Zeit des „schönen, braunen“ FDP-Mende waren durchsetzt von alten Nazis, die als Beamte übernommen wurden, weil sie wieder gebraucht wurden, und haben das Land bis in die 70er Jahre geprägt. Sie waren durch die Alliierten mit einem „Entnazifizierungsschein“ wieder in Amt und Würde gekommen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich meinen Vater darum kämpfen sah, zuerst als Verfolgter anerkannt zu werden und später als jüdischer Funktionär bei deutschen Politikern und Medien Gehör zu finden.

Es war auch die Zeit, als die USA in den Korea-Krieg verstrickt waren und die Deutschen als beständiges Bollwerk im kalten Krieges benutzt und gebraucht wurden, was sich bis zum heutigen Tag nicht geändert hat.

Ich kann mich auch noch sehr gut daran erinnern, wie mein Vater 1947 half, ehemalige KZ-Häftlinge  und jüdische Heimkehrer in leerstehende Häuser unterzubringen. Noch heute wird das von dem „Stahlhelmjuden“, dem ehemaligen Bundeswehr-Professor Michael Wolffsohn, als Antrieb genommen, um Heinz Galinski durch seinen „verklärten“ Großvater und Häuserbesitzer in seinen diversen Büchern mit „Hass über Generationen“ hin zu verfolgen. Wolffsohn versuchte alles, um meinen Vater zu diskreditieren, allerdings zum Glück ohne Erfolg.

Auch ich fühlte mich zu den sogenannten 68ern hingezogen und wandte mich angeekelt von der Verlogenheit gewisser Politiker und Parteien ab. Für mich war der „Deutsche Herbst“ ein Aufbruch in eine neue Zeit. Gerade in Berlin war diese Stimmung ein Hoffnungsschimmer in Zeiten „Springernder Hetzpresse“. Rudi Dutschke war ein Glücksfall für uns, der aber gegen dieses System keine Chance hatte. Auch faszinierte mich besonders, wie sich diese engagierten jungen Menschen für Palästina interessierten. Es war eine Abkehr von der schuldbeladenen Solidarität mit Israel. Ja, wir bäumten uns auf und wollten nicht mehr an der braunen Schuld beteiligt sein, die immer noch in Universitäten und Ministerien  vertreten war.

Tatsächlich war Jassir Arafat für mich ein Held und ist es bis heute geblieben, im Gegensatz zu seinen heutigen Nachfolgern wie Präsident Abbas.

Am 2. November, als  die britische Ministerpräsidentin May und Kollege Netanjahu bei einem festlichen Dinner das 100 Jahre-Jubiläum der Balfour Deklaration feierten, da  konnte man sich nur angewidert von diesen Feierlichkeiten fühlen. Oppositionsführer Jeremy Corbyn tat das einzig richtige und wollte sich nicht daran beteiligen und sagte ab. Es ist schon eine traurige Vorstellung gewesen, die in Großbritannien und im „Jüdischen Staat“ gefeiert wurde. Ganz bewusst wurde die „Gründung einer „nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes“ gefeiert, aber die Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern aus ihrer angestammten Heimat und dem heutigen Elend von Millionen von Palästinensern ausgeblendet. Hier wurde auch der Grundstein dafür gelegt, dass sich der Mythos vom „jüdischen Volk“ bildete, indem die religiöse jüdische Gemeinschaft zu einem jüdischen „Volk“ deklariert wurde, um die „nationale Heimat“ zu legitimieren. Damit hatte sich auch der schreckliche Traum Theodor Herzls vom „Judenstaat“ und der „modernen“ Lösung der Judenfrage erfüllt.

Lord Lionel Walter Rothschild, das zionistische Aushängeschild Großbritanniens, schwärmte von dem Abkommen als das „größte Ereignis“ in der jüdischen Geschichte der letzten 1.800 Jahre. Erkaufte Rothschild mit der Unterstützung von Balfour im Wahlkampf dessen politische Zukunft und der Preis war die Deklaration?

Während also die Araber als Bollwerk gegen die Osmanen der britischen Zusage aus dem Jahre 1915 vertrauten, als „Belohnung“ einen eigenen Nationalstaat zu erhalten, wurde mit der Balfour-Erklärung Palästina dem „Jüdischen Volk“ als „nationale Heimstätte versprochen. Heute haben wir das gleiche Phänomen, indem der „Jüdische Staat“ als Bollwerk des Westens im Nahen Osten gilt und die „jüdisch -christlichen Werte“, gegen den Islam verteidigen soll.

Die Balfour-Deklaration umfasste zwar nur 67 magere Worte, dazu noch so schwammig formuliert, dass diese Erklärung Raum für zionistische Interpretationen ließ, die heute in illegaler Besatzung, ethnischer Säuberung und zu der „modernen Endlösung“ der Palästinafrage wurde. Von Anfang an wurden die Rechte der „bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina“ missachtet. Schließlich hatten die britischen Kolonialherren genau die gleichen Ideen wie die jüdischen Kolonialisten. Diesen Zionisten sollte es ermöglicht werden, Palästina zu kolonialisieren, um die arabische Bevölkerung zu „zivilisieren“. Das entspricht übrigens genau meinen Erfahrungen, die ich bei Israel-Besuchen erlebte, wenn jüdische  Reiseführer oder Bekannte sich immer abfällig über die „schmutzigen Araber“ äußerten. Es war dieser jüdische Hochmut gegenüber den Palästinensern, den ich schon damals verabscheute.

Die Briten sollten sich für dieses Desaster endlich entschuldigen, anstatt es zu feiern. Tatsächlich wurde mit der Balfour-Deklaration der Grundstein für die ethnische Säuberung und illegale Besatzung Palästinas gelegt.  Lord Balfour, der damalige britische Außenminister, ist im „Jüdischen Staat“ fast überall präsent, schließlich haben fast alle der ehemaligen palästinensischen Dörfer, die heute zum illegal besetzten Palästina in jüdischer Hand gehören, einen Platz oder eine Straße nach ihm benannt, während die ursprünglichen arabischen Namen von den Zionisten getilgt wurden. So gab es nicht nur eine physische, sondern auch eine kulturelle ethnische Säuberung, die sich bis heute noch steigerte, indem das Netanjahu-Regime auch noch die arabische Sprache in den Hintergrund drängt.

Was im geheimen Sykes-Picot-Abkommen von den Briten und Franzosen ausgeklüngelt wurde, nämlich falsche Versprechungen, verstärkte sich in der Balfour-Erklärung.  Warum wird heute immer wieder der entscheidende Satz nicht erwähnt.“ Nichts soll getan werden, was die zivilen und religiösen Rechte der existierenden nicht-jüdischen Bevölkerung in Palästina infrage stellen könnte“.

Alles, was bis heute nach dem Holocaust geschah, ist unzertrennbar mit der Gründung des „Jüdischen Staates“ 1948 verbunden, die mit der Nakba, der Katastrophe für das palästinensische Volk endete, die mit dem Balfour-Abkommen begann. Das palästinensische Volk ist bis heute nicht entschädigt worden für die Verbrechen der Vertreibung und der Konfiszierung ihres Besitzes und ihrer Ländereien. Der „Jüdische Staat“ hat sich als völlig friedensunfähig bewiesen, unterstützt von der heuchlerischen Staatengemeinschaft. Eine Entschuldigung für das Unrecht wäre nur ein kleiner, erster Schritt auf dem Weg zu einer Anerkennung Palästinas in den Grenzen von 1967. Tatsächlich scheinen diese Schritte genauso weit entfernt wie ein Frieden. Also bleibt uns nur die Hoffnung auf eine späte Gerechtigkeit in einem gemeinsamen Staat Palästina für alle seine Bewohner, Ethnien und Religionen.

Daran sollte gedacht werden, wenn der 78. Jahrestag der Kristallnacht begangen wird und die Balfour-Erklärung  von vor 100 Jahren gefeiert wird. Ein Gedenken ohne diese Gedanken ist ein leeres Ritual und nicht mehr zeitgemäß!

Solange gibt es NICHTS zu feiern!

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Danke an die Autorin für das Recht der Zweitverwertung.

Dieser Text erschien zuerst auf der Seite „Sicht vom Hochblauen“: “Es gibt nichts zu feiern!”

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