Ein Symbol für rein gar nichts | Von Roberto De Lapuente (Podcast)

Das wäre so ein tolles Zeichen gewesen, wenn man die Münchner Versicherungsarena in Regenbogenfarben ausgeleuchtet hätte. Nachdem die UEFA das verboten hatte, las man das allerorten. Zeichen: Nur darum geht es der Identitätspolitik.

Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente.

Nachdem der europäische Fußballverband politische Statements beim Vorrundenspiel zwischen Ungarn und Deutschland verboten hat, die Regenbogen-Ausleuchtung des Stadions abgelehnt wurde, formierte sich bei vielen Zeitgenossen der Trotz. Sie ließen wissen: Das Spiel gegen Ungarn werde dennoch ein Schaulaufen der Toleranz. Die Münchner Grünen schwenkten bei Twitter Regenbogenfahnen, der Stern färbte seine Website bunt und Markus Söder gab sich enttäuscht. Er erschien dann zum Spiel mit einer FFP2-Maske in Regenbogenoptik. Sein Generalsekretär Blume tat es ihm nach – letzterer sprach sich noch vor vier Jahren gegen die Ehe für alle aus, weil sie christliche Werte angreife.

Selten zuvor wurde das Spiel einer Nationalmannschaft so weltanschaulich aufgeladen, wie in jenem Spiel. Mit einiger Berechtigung könnte man behaupten, dass das zuletzt 1942 geschah – beim letzten Länderspiel des DFB in jenen dunklen Jahren. Es gab immer streitbare Spieler, aber dass man ein ganzes Team als Repräsentant einer Weltanschauung deklarierte: Das hat bei dieser Europameisterschaft eine ganz neue Dimension angenommen. Sie ist bei allen spielerischen Defiziten, trotz phantasielosen Kicks von der Stange, zu dem mutiert, was in Zeiten von Identitätspolitik zur Normalität wurde: Zu einem Symbol.

Symbole, Zeichen und Sinnbilder

Exemplarisch ist dafür jenes Foto, das vor dem Turnier das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Abgebildet sind sämtliche Spieler, wie sie vor einem Monitor posieren, auf dem Angela Merkel zu sehen ist. Alle tragen vorbildlich FFP2-Maske. Dass das kein Statement sein soll, ist kaum zu glauben in diesen Zeiten. Dahinter steckt politisches Kalkül, “die Mannschaft”, wie sie sich einige Jahre lang nannte, wird mit mehr aufgeladen als mit fußballerischen Attributen. Sie soll Identifikations- und Integrationsbeauftragte sein, den politischen Kurs jener Frau stützen, die sie ab und an bei großen Turnieren in der Kabine besucht.

Sie greift dabei auf Symbolik zurück, lässt ihren Kapitän eine Regenbogen-Kapitänsbinde tragen oder ein Torschütze formt mit den Fingern ein Herz. Fußballerisch lässt das Team seit einigen Jahren zu wünschen übrig, man spielt taktisch relativ homogen, Individualisten gibt es jedoch keine. Angeboten wird ein uniformer Fußball vom Wühltisch, jener Weltfußball, den es mittlerweile überall gibt und der keinen Raum mehr für kreative Impulse lässt. Es ist ein bisschen so, als habe der DFB das Hauptaufgabenfeld eines Fußballteams verdrängt, um es zu einer Art Zeichen für Hehres zu stilisieren.

Damit spielt man den Zeichen der Zeit in die Hände. Symbole, Zeichen und Sinnbilder sind heute stetige Begleiter des politischen Diskurses, der recht billig auf kritisch und progressiv macht. Denn Toleranz gegenüber Trans- und Homosexualität zu betonen und irgendwelche Feindbilder anzugreifen, die mit jenen Formen der Sexualität auf Kriegsfuß stehen, kostet ja zunächst nichts. Tiefer als Zuspruch zu erteilen oder Solidarität zu betonen, geht man im Regelfall nicht. So geht Identitätspolitik: Sie will einschwören, suggerieren, aber nichts hinterfragen, verstehen und sachlich aufklären – und schon gar nicht an die Wurzel gehen.

Die Schaufenster-Politik der Selbstgerechten

Identitätspolitik packt jenes Instrument aus, das auch die Nationalmannschaft zuweilen benötigt: Die Brechstange. Der Identitätsdiskurs wird nicht zögerlich, nicht mit Demut geführt. Er will nicht aufklären, er will hineinhämmern, Andersdenkende ausgrenzen und Desinteressierte zu den eigentlichen Sündenböcken simplifizieren. Denn nur weil sie sich der Toleranz nicht annehmen, sie nicht in aller Welt verbreiten, bleibt die Welt ein dunkler Ort. Man müsse nämlich immer und überall Botschafter eines aufgewachten, dieses woken Geistes sein.

Man schmückt gewissermaßen das eigene Schaufenster aus, in dem man Befindlichkeit und Haltung ausstellt. Und das nicht nur ab und an, wenn es der Sache dienlich ist, sondern immer und überall. Ungefragt und penetrant. Die Apologeten dieser Wokeness modifizieren ihr Leben zu einem einzigen sichtbaren Zeichen gegen all jene, die Dinge anders sehen als sie. Sie bedienen sich dazu der Symbolik, schmücken sich mit Regenbogen-Fahnen, nutzen Gendersternchen und tragen neuerdings immer Maske, auch dann, wenn es besonders sinnlos erscheint. Das ist ja auch nicht als Beitrag zum Seuchenschutz gemeint, sondern als Sinnbild: “Wir sind die Guten.”

Die Politik hat dieses woke Schaufenster für sich entdeckt. Nicht aus Überzeugung. Noch nicht mal, weil man einen großen Bezug zu den Themen der Identitätspolitik aufweisen kann. Aber sie ist eben kostengünstig, ein Surrogat für Progressivität, für das man kein Geld, nur einige warme Worte aufbringen muss. Der Sozialpolitiker alten Schlages wollte dauernd an die Geldtöpfe, Programme auflegen, die benachteiligten Menschen helfen sollten. Der Identitätspolitiker ist ein Sparbrötchen. Er greift nur sehr selten nach dem schnöden Mammon: Er predigt einfach, findet immer Worte der Solidaritätsbezeugung und lässt es dabei bewenden. Mehr ist ja auch gar nicht vonnöten, das reicht ja zuweilen, um ein halbes Land in Regenbogen-Stimmung zu versetzen, um sich gegen den bösen Ungar zu formieren.

Toleranz als Exportschlager

Im Laufe der letzten Jahre hat sich in Deutschland eine recht arrogante Haltung gegenüber anderen Nationen etabliert. Ständig schielte man auf die politischen Protagonisten anderer Länder, um sie wahlweise zu Diktatoren, Idioten oder Verbrechern zu erklären. Phasenweise schien es, als sei die Insel der Seligen, der Einfachheit halber Deutschland genannt, der letzte Platz auf Erden, wo noch aufrichtige, anständige Politiker die Geschicke des Landes steuerten. Aber im Rest der Welt, ob in Großbritannien, Polen, Ungarn, der Türkei, in Russland, den Vereinigten Staaten, Italien oder Österreich: Nur Rechte, Spinner, Rückwärtsgewandte am Werk. Dann Kameraschwenk auf Deutschland: Ehrbare Leute machen hier Politik, Menschen, die ihren Wählern verpflichtet sind.

Die Selbstgerechten haben sich moralisch am Ausland schadlos gehalten. Trump oder Johnson sind der größte Segen für eine politische Kaste im Lande, die blass, ahnungslos und dreist ist, diese Attribute aber gerne hinter Erbauungsgeschwätz verstecken. Die Toleranz ist ein Stilmittel dieser Kaste. Mit ihr kann man gegen illiberale Staatsmänner punkten. Sie ist der Exportschlager einer Politik, die sonst nichts mehr vorzuweisen hat. Einzig die moralische Überlegenheit gegen den Rest der Welt stellt noch etwas dar, was man ausstellen kann.

Wir haben es bei der Identitätspolitik mit der schlimmsten Art von Symbolpolitik zu tun, die überhaupt vorstellbar ist. Sie ist pedantische Befindlichkeitspolitik, die mit dem Anspruch über die Menschen kommt, sie zu erziehen, sie auf einen glatten Kurs zu bringen, bei dem es nicht mehr möglich sein soll, auch mal links oder rechts daran vorbeizudenken. Obwohl sie sich tolerant gibt, ist sie doch das Gegenteil davon. Sie ist ein Symbol für rein gar nichts: Nicht für eine bessere Welt, nicht für bessere Menschen. Diese Identitätspolitik steht für Einengung und sie erzeugt Diskurse, die Bekenntnisse einfordern, nicht aber Debatten. Und sie hat einen religiösen Kern und degradiert Institutionen zu Priestern – siehe Nationalmannschaft.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Artikel erschien zuerst am 5. Juli 2021 bei neulandrebellen.de

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Bildquelle: esfera / shutterstock

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