Die Zuhälter der Globalisierung und wir

Von Dirk C. Fleck.

Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Loretta Napoleonie sprach angesichts der vermeintlichen Weltenlenker von Zuhältern der Globalisierung. Gemeint war die kleine Kaste der machtvollen Manager und Politiker, die mit ihren begrenzten Interessen gar nicht in der Lage sind, eine nachhaltige Zukunft zu garantieren. Ich habe allerdings meine Schwierigkeiten mit dem Begriff global. Die globale Umweltverschmutzung entsteht im Lokalen. Alles Globale hat lokale Wurzeln.

Selbst die eben genannten Manager und Politiker sind nur ein elitärer kleiner Männerverein, der im weltweiten Maßstab agiert und sich verhält, als sei er der globale Stamm. Das Ergebnis dieser Anmaßung können wir heute überall besichtigen. Die Menschen wollen es aber nicht mehr hinnehmen, dass jede ihrer produktiven Handlungen in ein globales Wirtschaftssystem gepresst wird, um einen Wert zu bekommen. Sie sehnen sich nach Identität. Ihre Identität finden sie nur, wenn sie ihre Probleme vor Ort angehen. Der einzige Weg, das globale Desaster in den Griff zu kriegen, sind weltweite lokale Lösungen.

Wie ist es möglich, dass alle zerstörerischen Handlungen, die wir erleben müssen, von den Machteliten und deren Medien als kreative Taten gefeiert werden? Die Bombardierung anderer Länder, der Bau von Staudämmen, das Versprühen von Insektiziden, die Erschaffung genmanipulierter Organismen – dies alles wird als notwendig, fortschrittlich und kreativ empfunden. Wir begreifen Gesundheit als Leistung der pharmazeutischen Industrie, wir verstehen soziale Sicherheit als etwas, was Polizei und Justiz herstellen. So ist es auf fast allen Gebieten: wir glauben ausschließlich an ordnungspolitische oder technische Lösungen – wir vertrauen uns selbst nicht mehr.

Ich möchte an dieser Stelle einen aktuellen Ausspruch eines Mapuche-Häuptlings zitieren. Die Mapuches, deren angestammtes Gebiet sich auf Chile und Argentinien erstreckt, hatten nicht nur der spanischen Kolonisation erbitterten Widerstand entgegengesetzt, sie stritten bis in unsere Tage um ihr Land und ihre Kultur. Geschätzte 600.000 Mapuche leben noch im Süden Chiles, dazu mehrere hunderttausend, weitgehend kulturell entwurzelt, in der Hauptstadt Santiago. Umso erstaunlicher nun, was ihr Sprecher vor kurzem auf einem Kongress der indigenen Völker zum Besten gab: “Wir Mapuches kämpfen nicht länger um einen eigenen Staat. Angesichts der ökologischen Bedrohung, die den ganzen Planeten zu vernichten droht, kämpfen wir um eine andere Lebensführung, die mit den Reserven der Natur im Geiste unserer Vorfahren verfährt.”

Es gibt inzwischen viele Menschen auf der Welt, die diesen Bewusstseinswandel vollzogen haben, und täglich werden es mehr. All das passiert in einem ungeheuren Tempo, und es passiert jetzt. Die Vertreter des alten Systems wissen das. Sie wissen, dass ihre Richtlinien, Normen und Werte nicht mehr funktionieren. Ein solcher Wertezusammenbruch macht zunächst einmal Angst. Wir haben Angst vor Chaos und Anarchie, Angst davor, unterzugehen in diesem Endzeitszenario, in dem sich jeder gegen jeden zu behaupten versucht.

Aber nicht wir sind dem Tode geweiht, es sind unsere alten Sicht- und Handlungsweisen, die sterben. Wenn es uns gelingt, eine positive Zukunftsvision in uns erblühen zu lassen, dann werden wir sie in der praktischen Politik auch umsetzen können. Denn es wird nichts Neues durch uns in die Welt kommen, was nicht vorher in unserem Bewusstsein Gestalt angenommen hat. Die politische Demarkationslinie verläuft schon lange nicht mehr zwischen links und rechts, auch nicht – und das mag manche empören – zwischen oben und unten. Sie verläuft zwischen zukunftsfeindlich und zukunftsfreundlich.

Es geht nicht darum, wer recht hat, wer gewinnt oder verliert. Es geht darum, dass entzweite Parteien wieder zueinander finden und Frieden schließen. Es geht um das Vergnügen, Frieden zu schließen! Es muss doch Spaß bringen, unseren verschmutzten Wohnraum Erde gemeinsam aufzuräumen. Je mehr Menschen das verstehen, desto größer ist die Chance, die scheinbar unverrückbaren Strukturen eines alten Machtgefüges von innen heraus zu unterminieren und zu Fall zu bringen.

In meinem Roman MAEVA! sagt die Protagonistin: „Wir befinden uns an einem Wendepunkt der Geschichte. An solchen Wendepunkten nehmen wir Abschied von der Persönlichkeit, die wir waren. Wir begrüßen die Person, die wir gerade werden. Unsere Ängste entsprechen denen, die wir vor dem Sterben entwickeln. Aber wir müssen begreifen, dass wir nicht alleine sind mit unserer Furcht, dass die Angst uns alle erfasst, aber dass wir sie miteinander teilen können. Wir müssen erkennen, dass die Erschütterungen der alten Ordnung ein gewaltiges Potenzial an gebundener Lebenskraft freisetzt, das uns nun befähigt, etwas völlig Neues zu schaffen. Wenn wir aber vor dem Unbekannten zurückschrecken, wenn wir uns vor der Verantwortung für das Neue drücken und nur zögerlich die nächsten Schritte gehen, dann deprimieren wir die Person, die wir werden zugunsten der Persönlichkeit, die wir waren.“

Der Schweizer Diplomat, Essayist und Historiker Carl J. Burckhardt (1891 -1974) glaubte nicht an eine Wende zum Besseren und ich bin geneigt, ihm recht zu geben. Er sagte: „Es gehört zum Schwierigsten, was einem denkenden Menschen auferlegt werden kann, wissend unter Unwissenden den Ablauf eines historischen Prozesses miterleben zu müssen, dessen unausweichlichen Ausgang er längst mit Deutlichkeit kennt. Die Zeit des Irrtums der anderen, der falschen Hoffnungen, der blind begangenen Fehler wird dann sehr lang.

Auf der anderen Seite steht die unumstößliche Wahrheit, die Ernesto Che Guevara einst so formulierte: „Sie können alle Blumen abschneiden, den Frühling aber können sie nicht aufhalten. Dieses Wissen macht uns verantwortlich.“

Fühlen wir uns also verantwortlich, das ist wohl das Mindeste, was man von uns verlangen kann.

 

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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