Die Planeten-Zerstörer

Zur Verteidigung ihrer Pfründe und Privilegien ist den herrschenden Eliten jedes Mittel recht. So flossen allein in den letzten Jahren mindestens 500 Millionen US-Dollar in Propaganda-Kampagnen zur Leugnung der globalen Erwärmung und profitgetriebenen Umweltvernichtung. Wenn die Menschheit überleben und ihren Lebensraum erhalten will, muss sie nicht nur den globalen Kriegstreibern Paroli bieten, sondern auch diesen Machenschaften einen Riegel vorschieben, erklärt Kognitionsforscher Prof. Rainer Mausfeld anlässlich der heute stattfindenden weltweiten Klimaproteste.

Exklusivabdruck aus „Die Öko-Katastrophe: Den Planeten zu retten, heißt die herrschenden Eliten zu stürzen“.

Die herrschenden Eliten haben es geschafft: Im ganzen Land wird nur noch über Kohlendioxid und Greta Thunberg diskutiert, die wesentlichen Tatsachen und Fragen werden unterdrückt, die Bevölkerung ist gespalten und in Ablenkungsdebatten verstrickt. Tatsache ist, dass die Menschheit den einzigen Planeten, den sie hat, durch ihre profitorientierte Produktionsweise zerstört und dieser in naher Zukunft unbewohnbar sein wird. Tatsache ist, dass unter den Machteliten, Geheimdiensten und Militärs weltweit keinerlei Zweifel hieran besteht und diese sich bereits darauf vorbereiten, ihr Überleben gegen das der 99 Prozent zu verteidigen. Tatsache ist, dass der Kampf um die wenigen Tickets auf der neuen Arche längst begonnen hat und daher gilt, was Pulitzer-Preis-Träger Chris Hedges auf den Punkt brachte, als er schrieb: „Den Planeten zu retten, heißt die herrschenden Eliten zu stürzen.“ Da die anderen Medien bei der Analyse und Aufklärung zum Thema versagen, leistet der Rubikon sie. Sein Herausgeber Jens Wernicke sprach mit dem Kognitionsforscher und Elitenkritiker Rainer Mausfeld zur Lage und zum Klima im Land.

Jens Wernicke: Herr Mausfeld, keine soziale Bewegung der vergangenen Jahre hat so viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und eine solche Breitenwirkung entfaltet wie die Fridays for Future-Bewegung. Sehen Sie darin etwas, das uns Hoffnung auf wirkliche Veränderungen geben kann?

Rainer Mausfeld: Die Fridays for Future-Bewegung und andere Klimabewegungen sind notwendig, erfreulich und begrüßenswert! Es erscheint mir wichtig, das zunächst festzuhalten, weil sich das, was sich im Moment in einigen sozialen Medien gegen diese Bewegung entlädt, nur als Diskursverrohung bezeichnen lässt.

In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, die durch eine große ideologische Homogenisierung, eine Entleerung des politischen Raumes und einen massiven Abbau mühsam errungener demokratischer Substanz gekennzeichnet ist, ist jede Form außerparlamentarischer emanzipatorischer Bewegungen zu begrüßen.

Bei dem lange verdrängten Thema einer drohenden Klimakatastrophe haben die Fridays for Future- und die Extinction Rebellion-Bewegung überhaupt erst wieder für die erforderliche mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Zugleich haben sie in der jüngeren Generation eine erfreuliche Repolitisierung bewirkt.

Bereits das gibt Anlass zur Hoffnung. Denn immer größere Teile der Bevölkerung haben das Gefühl, dass ihre gesellschaftlichen Veränderungsbedürfnisse keine Adressaten mehr in der Politik haben. Dass nun gerade die jüngere Generation mit ihrer Revolte Wege zu einer demokratischen Selbstermächtigung sucht, sollte eigentlich nicht überraschen.

Nie zuvor war einer Generation die Entscheidung darüber aufgebürdet, ob die menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen, weiter bestehen kann oder nicht.

Natürlich wird diese Art der Revolte — wie bei allen sozialen Bewegungen — aus sehr unterschiedlichen Quellen gespeist. Sie ist im Moment nur ein erster Impuls und muss sich erst noch politisch stabilisieren und in ihren Zielen konturieren. Daher sind die Klima-Bewegungen teilweise noch diffus und fragil.

Erst wenn es ihnen gelingt, sich durch Einbettung in eine emanzipatorische Rahmengeschichte ein gedankliches Fundament zu geben, haben sie eine Chance auf Stabilität und politische Wirksamkeit. Das braucht Geduld. Wir dürfen daher an die Klimabewegungen im Moment keine überzogenen Ansprüche an ihre gedankliche Kohärenz stellen.

Jens Wernicke: In den Debatten in sozialen Medien zum Thema stehen sich zwei Positionen zunehmend unvereinbar gegenüber. Die einen sind begeistert von Greta Thunberg und wünschen, dass nun endlich etwas für die Umwelt getan wird. Auf der anderen Seite steht eine sehr diffuse und viele politische Milieus umspannende Bewegung, die in Summe wohl vor allem das Folgende argumentiert: 1. Greta Thunberg sei eine Marionette der Machteliten, die sie und ihre Bewegung nur nutzen, um mit Angsterzeugung Geschäfte zu machen; eine anthropogene globale Erwärmung gäbe es gar nicht. 2. Wer heute emanzipatorisch wirken und wirklich etwas gegen Unterdrückung und Diktatur tun wolle, der müsse sich gegen die deswegen drohende „Öko-Diktatur“ und also die aktuellen Jugendbewegungen zur Wehr setzen. Was halten Sie von dieser Gemengelage?

Rainer Mausfeld: Bei dem, was Sie beschreiben, handelt es sich ja gar nicht um Aspekte einer ernsthaften Debatte, also um einen halbwegs rationalen Austausch von Argumenten. In diesem Sinne ist es auch wenig sinnvoll, davon zu sprechen, dass sich hier zwei Positionen gegenüberstehen, zwischen denen man in rationaler Weise vermitteln könnte. Man würde ja auch nicht davon sprechen wollen, dass sich mit Vernunft und Unvernunft zwei vermittelbare Positionen gegenüberstehen.

Bei der Sache, um die es hier geht, nämlich unser gegenwärtiges wissenschaftliches Verständnis geophysikalischer Prozesse, die einer Klimadynamik zugrunde liegen, gibt es nur einen geringen Beurteilungsspielraum — zumindest, was die großen Linien betrifft.

Die Befundlage ist eindeutig. Und auch die wissenschaftliche Interpretationslage ist für einen so extrem komplexen Bereich geophysikalischer Phänomene außergewöhnlich einhellig. Zweifellos gibt es, wie stets in der Grundlagenforschung zu hochkomplexen Systemen, beliebig viele Unsicherheiten, sowohl im theoretischen Verständnis der beteiligten Prozesse als auch in spezifischen Details. Und damit selbstverständlich auch in den genauen Prognosen.

Doch was die Einschätzung der qualitativen Situation zivilisationsrelevanter Parameter und Prozesse betrifft, gibt es keinen vernünftigen Grund, am Konsens der relevanten Forschergruppen zu zweifeln.

Das, was Sie als Gemengelage bezeichnen, betrifft also in erster Linie etwas ganz anderes als eine innerwissenschaftliche Diskussion über mögliche Interpretationen relevanter Befunde. Hier geht es wohl vor allem um die Bewältigung von starken Affekten, die durch eine krisenhafte gesellschaftliche Situation ausgelöst werden.

Das wird schon daran erkennbar, dass die Affekte des Hasses, die sich im Moment gegen die Klimabewegungen entladen, ihren rohesten Ausdruck in Teilen der US-amerikanischen Rechten finden. Leider haben sie sich in einer Art Affektansteckung auch in alternativen Medien des sich progressiv fühlenden Milieus verbreitet.

Noam Chomsky, Chris Hedges, Jonathan Cook, Nafeez Ahmed, Caitlin Johnstone und andere renommierte Intellektuelle und Journalisten aus dem emanzipatorischen Spektrum haben mittlerweile diese Verirrungen und Affekteintrübungen des politischen Denkens thematisiert und analysiert …

Jens Wernicke: … und kontextuell, das Gesamtbild , nicht nur die Debatte analysierend, haben insbesondere Murtaza Hussain, Douglas Rushkoff, George Monbiot, Lynn Margulis, Roger Hallam sowie der große Kulturphilosoph Charles Eisenstein längst schon wichtige Arbeiten vorgelegt. Zeigt die Tatsache, dass es dennoch zu einer derartigen Situation kommen konnte, nicht ebenso und vor allem, wie groß auch im sich progressiv fühlenden Teil des politischen Spektrums die gedankliche Entwurzelung von historischen emanzipatorischen Traditionen de facto ist? Die Eliten halten ein Stöckchen hin — in diesem Falle „Greta ist eine Euch alle unterdrückende Autorität!“ — und selbst sogenannte Aufgeklärte und Humanisten vergessen ihre Werte, Moral und Utopie, verkennen die faktische Lage und springen über das Stöcken, über das die Propaganda der Machteliten sie springen lassen will, und auf dem das Logo klebt „Kämpft gegen die Umweltbewegung, nicht gegen uns! Diskutiert über Unwichtiges, verkennt die Lage und die wahren Verantwortlichen! Zerstreitet und bekämpft euch gegenseitig!“

Rainer Mausfeld: So kann man das zusammenfassen, ja. Durch die historische Entwurzelung fehlt vielen ein stabiler innerer politischer Kompass. Das ist natürlich von den Zentren der Macht intendiert, und sie verfügen über ausgefeilte Mittel, diese Verluste politischer Orientierung zu erzeugen und zu fördern.

Auch neoliberale Mechanismen einer sozialen Fragmentierung und Atomisierung haben sicherlich dazu beigetragen, da sie unsere gesamte Kultur und unseren Lebensalltag tief durchdringen. Doch scheint mir die rasche mediale Verbreitung dieser Hass-Affekte auch ein journalistisches Problem alternativer Medien zu sein. Denn diese Affekte konnten ihre spaltende und zersetzende Wirkung erst durch eine mediale Verstärkung entfalten.

Was die hiesigen Debatten betrifft, hat erfreulicherweise Dirk Pohlmann in journalistisch vorbildlicher Arbeit die Fäden entwirrt und die Hintergründe politischer Bemühungen von Machtgruppierungen beleuchtet, die zur Verfolgung ihrer ökonomischen Interessen aus individuellen Ressentiments des Hasses eine politische Gegenbewegung zu formen suchen.

Eigentlich sollten auch derartige Herrschaftstechniken, die sich ein systematisches Erzeugen von affektiver und kognitiver Verwirrung zunutze machen, aus der Geschichte hinlänglich bekannt sein.

Nur wenn wir uns nicht durch pseudo-geophysikalistische und personalisierte Ablenkthemen verwirren lassen, können wir auf die gesellschaftspolitischen Fragen fokussieren, um die es bei diesem Thema tatsächlich geht.

Jens Wernicke: Die Diskussion um die Rolle von Greta Thunberg ist für Sie ein Ablenkthema?

Rainer Mausfeld: Ja, diese personalisierte Diskussion ist völlig irregeleitet. Durch sie wird ein im Grunde berechtigtes Misstrauen gegen politische Handlungsmotive der Zentren der Macht gegen ein psychologisches Ablenkziel umgelenkt. Tatsächlich zeigt diese Personalisierungsdiskussion noch einmal, wie erfolgreich die Zentren der Macht bewährte Spaltungstechniken einsetzen, mit denen sich Erfolg versprechende, das heißt für sie möglicherweise bedrohliche emanzipatorische Bewegungen zersetzen und neutralisieren lassen.

Bei der Klimadebatte können wir zwei bewährte Spaltungstechniken erkennen: Eine besteht darin, ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem auf so hochgradig technische Teilaspekte zu verengen, dass ein erheblicher Teil der öffentlichen Veränderungsenergie in Pseudodiskussionen dieser technischen Aspekte absorbiert und somit neutralisiert wird. Die zweite Technik macht sich unsere natürliche Vorliebe für Personalisierungen zunutze.

Diese Vorliebe ist gleichsam eine ‚Schwachstelle‘ unseres Geistes, die sich für alle möglichen Manipulationen wirkungsvoll nutzen lässt; auch die Regenbogenpresse lebt von ihr. Um sie für Spaltungszwecke zu nutzen, muss man zunächst darauf zielen, dass eine soziale Bewegung mit einzelnen öffentlich besonders sichtbaren Vertretern identifiziert wird.

Man muss also gezielt einzelnen Personen große mediale Resonanz und Prominenz verleihen. Wenn dann die Bewegung aus Sicht der Herrschenden zu erfolgreich wird, lässt sich die gesamte Bewegung leicht spalten, indem man ihre prominenten Vertreter durch einen geeigneten Rufmord diskreditiert. Und genau dies ist gegenwärtig, gerade auch in einigen alternativen Medien, massiv der Fall. Beispiele hatten Sie ja schon genannt, etwa wenn Greta Thunberg als „Marionette des Kapitals“ oder als „Ikone“ einer Elitenverschwörung bezeichnet wird, die nur dazu diene, die arbeitende Bevölkerung auf die Ziele der Eliten einzuschwören.

Die Konfusion beginnt hier schon bei der unterstellten Rolle von Greta Thunberg: Denn die Klimabewegung hat zwar in der momentanen medialen Breitenwirkung etwas mit Greta Thunberg zu tun. In ihren objektiven Ursprüngen, im Klimaproblem ist sie jedoch von Greta Thunberg völlig unabhängig. In der Sache, um die es geht, ist also Greta Thunberg, wenn man es überpointiert formuliert, irrelevant. Und zwar in gleicher Weise, wie etwa Martin Luther King als Person nicht mit dem objektiven Problem der Rassentrennung identifiziert werden darf.

Daher in aller Klarheit: Personalisierungen sind ein bewährtes Spaltungsinstrument. Das hat auch jüngst noch einmal der Rufmord an Julian Assange gezeigt. Doch leider ist der kollektive Gedächtnisverlust auch im sich progressiv fühlenden Milieu mittlerweile so groß, dass das Wissen darüber verlorengegangen ist.

Das gilt übrigens allgemein. Ein Trump-Hass und eine Obama-Begeisterung sind lediglich zwei Seiten derselben Verblendungsmedaille. Beide Personalisierungs-Affekte machen blind für die Art und für das Funktionieren tatsächlicher Machtstrukturen. Für eine Analyse politischer Machtverhältnisse ist es ebenso wenig relevant, ob ihre Repräsentanten in kultivierter oder in vulgärer Maske auftreten, wie es für die Opfer eines Verbrechers relevant ist, ob der Täter bei seiner Tat bürgerlich-kultivierte Manieren gezeigt hat oder nicht. Personalisierungen erzeugen stets eine Art Affektverschiebung auf Ablenkziele und sind genau aus diesem Grund ein bewährtes Mittel zur Spaltung und Zersetzung von emanzipatorischen Bewegungen.

Jens Wernicke: Wenn es nach Ihrer Meinung eine natürliche, also spontane menschliche Neigung zu Personalisierungen gibt, was spricht dann dafür, dass es sich hier vor allem um eine gezielte Spaltungsstrategie der Herrschenden handelt?

Rainer Mausfeld: Nun, allgemein sprechen historische Erfahrungen dafür, dass die jeweils Herrschenden grundsätzlich versuchen, alle an die Wurzeln ihrer Machtverhältnisse gehenden Lösungen zu verhindern und damit insbesondere alle demokratischen. Daher zielen sie seit jeher darauf ab, soziale Bewegungen, die sich möglicherweise einmal zu einer kritischen Masse formen und somit politisch wirksam werden könnten, gleichsam präventiv zu spalten und zu neutralisieren.

Die Techniken dazu wurden in vielen Jahrzehnten verfeinert und perfektioniert. Das ist ja alles ausführlich analysiert und dokumentiert.

Bei der Klimabewegung ist die berechtigte Sorge der Machteliten, dass diese Bewegung sich irgendwann nicht mehr auf einen spezifischen Aspekt der Folgen unserer Gesellschaftsordnung beschränkt, sondern zunehmend den Blick über die Symptome hinaus auch auf die eigentlichen Ursachen richten könnten. Dies deutet sich ja tatsächlich schon in dem Slogan „System Change, not Climate Change!“ an.

Daher betreiben die ökonomischen Machtzentren schon jetzt einen erheblichen Aufwand, um zu verhindern, dass der Klimadiskurs „aus dem Ruder läuft“ und die wirklichen Ursachen in den Blick geraten könnten. Wie stets werden sie dabei von den großen Medien und willfährigen Intellektuellen massiv unterstützt.

Das Muster dieser Methoden, mit denen sich die Nutznießer des Status quo vor einer Fundamentalkritik zu schützen suchen, ist immer das selbe: Jede Kritik müsse „verantwortungsvoll“ und „vernünftig“ bleiben und müsse sich vor „Utopismus“ und „ideologischer Radikalität“ hüten. Kritik darf also auf keinen Fall an die eigentlichen Wurzeln der Probleme gehen, also unsere zerstörerische Wirtschaftsordnung thematisieren.

So überschlagen sich auch jetzt wieder in vorauseilendem Opportunismus intellektuelle Höflinge der Mächtigen und linke Salonintellektuelle darin, die Anhänger der Klimabewegung beispielsweise als „denkfaule Demokratieverächter“ zu diffamieren, die nicht verstünden, dass eine „Gesellschaft, die schon da ist“, „nur mit ihren eigenen Mitteln reagieren kann“ — eine ungeschminkte Apologie der herrschenden Machtverhältnisse.

Jens Wernicke: Könnte man einer Verschiebung der Veränderungsenergie auf Ablenkziele und den damit verbundenen Spaltungen vorbeugen, wenn man das berechtigte Misstrauen der Menschen ernst nimmt, ihnen aber aufzeigt, dass es sich hier gegen das falsche Ziel richtet? Dass sich ihr Misstrauen vielmehr gegen diejenigen richten muss, die ursächlich die Hauptverantwortung für die gegenwärtige Situation tragen?

Rainer Mausfeld: Selbstverständlich muss es genau darum gehen. Dazu ist es nötig, die tatsächliche Situation und Interessenlage für die allgemeine Öffentlichkeit einsichtig und transparent zu machen.

Manchmal ist das recht einfach. Etwa, wenn sich Barack Obama als Fan von Greta Thunberg bezeichnet und bei einem Treffen mit ihr bekundet: „Du und ich, wir sind ein Team.“ Hier sollte eigentlich offenkundig sein, dass ein solches Treffen allein nicht als Begründung verwendet werden kann, um Greta Thunberg oder gar die Klimabewegung zu diskreditieren.

Ebenso wenig wie, um nur ein historisches Beispiel zu nennen, das Anliegen und die Person von Martin Luther King dadurch diskreditiert werden kann, dass sich Obama zu dessen Fan erklärt.

Beide Fälle belegen lediglich, dass hier durch eine politische Vereinnahmung eine für die Zentren der Macht potentiell bedrohliche Bewegung von radikalen Elementen bereinigt werden soll.

Im Fall von Martin Luther King ist mittlerweile gut dokumentiert, wie sein gesellschaftliches Anliegen und sein Erbe im öffentlichen Bewusstsein der USA von allen radikalen Elementen bereinigt wurde, um ihn auf diese Weise ikonenfähig und damit ‚unschädlich‘ zu machen. Tatsächlich jedoch sah Martin Luther King kapitalistische Gewalt als wesentliche Wurzel rassistischer Gewalt an. Er kritisierte den Kapitalismus scharf und sprach sich für einen demokratischen Sozialismus und eine radikale Transformation der Gesellschaft aus.

Die Vereinnahmung von King durch Obama lässt sich also keineswegs gegen King verwerten. Vielmehr zeigt sie nur ein weiteres Mal den Macht-Opportunismus und die moralische Leere von Obama, wie sie im Detail in der Obama-Biographie des renommierten Harvard-Historikers David J. Garrow aufgezeigt wurden.

Berechtigt und daher ernst zu nehmen ist hingegen ein Misstrauen, das sich gegen „von oben“ verordnete Denk- und Handlungsweisen richtet. Und sehr ernst zu nehmen ist auch die Sorge vor autoritär durchgesetzten Lösungen.

Es gibt mittlerweile Beispiele genug, die zeigen, dass von oben verordnete Kämpfe — sei es gegen Populismus, gegen fake news, gegen rechts, gegen den Terror — in Wirklichkeit nicht der Bekämpfung dessen dienen, was sie zu bekämpfen vorgeben, sondern vielmehr zur Stabilisierung von Machtverhältnissen.

Wenn nun von oben ein Kampf gegen den Klimawandel ausgerufen wird, so kann man annehmen, dass die ökonomisch und politisch Mächtigen weniger das Gemeinwohl als ihr eigenes im Auge haben. Jede soziale Bewegung, die sich für Lösungen des Klimaproblems einsetzt, tut daher gut daran, stets genau zu schauen, wer aus den Zentren ökonomischer und politischer Macht sich in einer vorgeblichen Partnerschaft zu ihr ins Boot setzt und welche Ziele derartige ‚Mitstreiter‘ dabei verfolgen.

Etwa wenn hunderte von Großkapitalgebern und Finanzkonzernen, die gemeinsam ein Vermögen von 34.000 Milliarden US-Dollar verwalten, in einem gemeinsamen Aufruf die Politik auffordern, Pariser Klimaziele zügig und konsequent umzusetzen. In solchen Fällen ist es erforderlich, sehr genau hinzuschauen und die genauen Beweggründe für derartige Allianzen zu identifizieren.

Bei einer angemessenen Analyse lässt sich aus solchen vergifteten Partnerschaftsangeboten viel lernen, weil sie uns genau zu den politischen Problemen führen, um die es tatsächlich geht.

Die Finanzinvestoren wie auch die ökonomischen Zentren der Macht allgemein sind nämlich darauf angewiesen, dass sie die für ihre ökonomischen Interessen relevante Realität in hinreichender ideologischer Nüchternheit wahrnehmen. Daher ziehen sie auch aus den vorliegenden geophysikalischen Befunden zum Klimawandel den korrekten Schluss, dass in absehbarer Zeit mit gewaltigen klimabedingten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen zu rechnen ist.

Zugleich sind sie mit der Realität politischer Entscheidungsmechanismen so gut vertraut, dass sie die Wahrscheinlichkeit für äußerst gering einstufen, in den uns verbleibenden, geophysikalisch diktierten Zeitspannen die erforderlichen Änderungen zu bewirken. Auf der Basis einer in Think Tanks und Universitäten gekauften Vorhersagerationalität rechnen sie also in absehbaren Zeiträumen mit einer Destabilisierung der Weltwirtschaft, die ihre eigenen Geschäftsmodelle gefährdet und unkalkulierbar macht.

Die Frage, wie sich eine Klimakatastrophe abwenden lässt, ist also für sie eher nachgeordnet, weil sie die Chancen hierfür eher gering einschätzen. Was sie jedoch hier und heute interessiert, sind die wahrlich paradiesischen Möglichkeiten, aus den wachsenden gesellschaftlichen Ängsten vor einer Katastrophe Gewinne nie gekannten Ausmaßes zu erwirtschaften.

Der Kapitalismus versteht sich darauf, aus wirklich allem Gewinn zu schlagen. Und Krisen, gerne auch gezielt herbeigeführte, sind seit jeher eine Kraftnahrung für ihn. So wird ihm auch die zu erwartende Panik, die letztlich das unvermeidbare Resultat des gegenwärtigen reformistischen Klima-Gewurstels der Politik sein wird, eine willkommene Gelegenheit hierzu sein.

Und eine weitere Frage beschäftigt schon jetzt die Machteliten: Sie wollen schon jetzt so gut es geht sicherstellen, dass sie dann, wenn es schließlich zu einer Klimakatastrophe kommt, immer noch sehr viel besser dastehen als der Rest der Bevölkerung. Es geht also um Probleme einer relativen Nutzenoptimierung unter extremen Krisenbedingungen. Diese Probleme werden in Think Tanks intensiv diskutiert.

Es gibt ein breites Spektrum von Mechanismen, wie sich auch unter solchen Bedingungen relative Nutzenvorteile erreichen lassen. Der bei weitem wichtigste Mechanismus ist natürlich der weitere radikale Abbau verbliebener demokratischer Substanz. Denn den ökonomischen Zentren der Macht ist natürlich nur allzu bewusst, dass sich bei der ohnehin schon gegebenen gigantischen sozialen Ungleichheit auf demokratischem Wege keine Maßnahmen durchsetzen lassen, die die Kosten einer drohenden Klimakatastrophe überwiegend den nicht-besitzenden Schichten auferlegen.

Den ökonomischen Zentren der Macht geht es daher darum, heute schon die gesellschaftlichen Plätze für die durch eine Klimakatastrophe hervorgerufenen schweren sozialen Verwerfungen zu ihren Gunsten festzuzurren und entsprechend Platzkärtchen für Gewinner und Verlierer zuzuweisen. Diejenigen, die heute schon zu den Verlierern gehören, sollen auch dann — und zwar in verschärfter — Weise wieder zu den Verlierern gehören.

Jens Wernicke: Douglas Rushkoff, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Welt, berichtet hierzu in seinem bemerkenswerten Essay „Überleben der Reichsten“ aus eigenem Erleben über den Diskussionsstand unter den herrschenden Eliten: „Ihnen war klar, dass sie bewaffnete Wachleute brauchen würden, die ihre Anwesen vor dem wütenden Mob schützten. Aber wie sollten sie diese Wachen bezahlen, wenn Geld wertlos war? Was würde die Wachleute davon abhalten, ihre eigene Anführerin zu wählen? Die Milliardäre überlegten, die Nahrungsvorräte mit speziellen Schlössern zu sichern, deren Zahlenkombination nur sie kannten. Oder die Wachen als Gegenleistung für ihr Überleben mit irgendeiner Art von disziplinierendem Halsband auszustatten. Oder vielleicht Roboter zu bauen, die als Wächterinnen und Arbeiterinnen dienen — falls sich diese Technologie rechtzeitig entwickeln ließe.“ Der übliche „Klassenkrieg“ also, wie Warren Buffet es nannte, nur eben auf einer neuen Stufe der Eskalation, da die Mischung aus Umweltkatastrophe und nicht adäquatem Handeln der Kampf um Lebenschancen weiter verschärft… Es entbrennt also gerade ein ganz realer Kampf um die letzten Plätze auf der neuen Arche, der bereits heute geplant und vorbereitet wird; die immensen und beständig wachsenden totalitären Tendenzen sind ja nicht mehr zu leugnen. Wie kann da eine Umweltbewegung aussehen, die nicht zum Vehikel des Klassenkampfes von oben wird und für den die normalen Leute nicht von Wert und Bedeutung sind? Unter welchen Voraussetzungen bestünde Hoffnung, dass sowohl die Bewegung als auch die aktuelle Debatte im Sinne der Menschheit und hier vor allem der Armen in eine zielführende Richtung verläuft?

Rainer Mausfeld: Nun, ich denke, wir müssen zuerst einmal klarstellen, dass es keineswegs die Umweltbewegungen sind, durch die autoritäre Entwicklungen drohen. Sie drohen vielmehr als unmittelbare Folge gegenwärtiger Formen des Kapitalismus selbst, insbesondere durch die Zerstörung unserer ökologischen Lebensgrundlagen, die eine Folge der Funktionslogik des Kapitalismus ist.

Dann müssen wir die wirklichen Hauptursachen der zu erwartenden Klimakatastrophe identifizieren und bekämpfen. Wenn man dabei den Blick weg von Oberflächenphänomenen auf die grundlegenden Probleme richtet, wird man auf ein sehr komplexes Gewebe von Problemen stoßen, die von der Eigentumsordnung und den gegenwärtigen Arten ihrer globalen Verrechtlichung über die fatale Externalisierungslogik des Kapitalismus bis hin zu den Mechanismen der Schaffung gewaltiger transnationaler Machtstrukturen reichen, die grundsätzlich jeder demokratischen Legitimation und Kontrolle entzogen sind. Kurz:

Wir müssen an die Wurzeln der gegenwärtigen Machtverhältnisse gehen.

Hoffnung auf eine wirkliche Lösung des Klimaproblems kann es de facto nur geben, wenn wir die Probleme wieder dort lokalisieren und behandeln, wo sie liegen: auf der politischen Ebene, insbesondere der Ebene unserer Wirtschaftsordnung und ihrer zerstörerischen Auswirkungen.

Nur auf dieser Ebene haben wir eine Chance, uns wieder selbst dazu zu ermächtigen, über die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Lebensgrundlagen zu entscheiden. Wie groß die Bereitschaft dazu ist, kann ich nicht beurteilen. In jedem Fall sollten wir aber nicht vergessen, dass der Kapitalismus einen großen Magen hat und sich wirklich alles einverleiben kann, selbst den Widerstand gegen ihn. Auch Hoffnung und Optimismus sind ja längst etwas, das sich für machtpolitische Zwecke gezielt manipulieren lässt — Barack Obama verstand sich ja in besonderer Virtuosität darauf, Hoffnung in eine Stabilisierung von Macht zu verwandeln.

Es bedarf einer großen Kreativität, Formen eines Widerstandes zu entwickeln, der weniger anfällig für diese Formen einer kapitalistischen Einverleibung sind.

Auch müssen wir uns klarmachen, dass wir emanzipatorische Kämpfe für spezifische Einzelziele, seien es Klima, Frieden oder Menschenrechte oder sei es gegen ökologische Zerstörungen, gegen Hunger, gegen Rassismus oder gegen Neokolonialismus, nicht voneinander isoliert betrachten dürfen. In dem Maße, in dem die genannten Probleme mit der Funktionslogik des Kapitalismus verbunden sind, müssen sie auch als verbunden behandelt sowie bekämpft werden, sonst bleibt der Kampf letztlich wirkungslos.

Der gegenwärtige globalisierte Finanz- und Konzernkapitalismus verschont in seinen neokolonialen Aneignungs- und Ausbeutungsbedürfnissen keinen Winkel der Erde mehr. Dieser kapitalismusgetriebene Raubbau an unseren ökologischen Lebensgrundlagen — Wasser, Luft, Land und das gesamte Ökosystem — ist ein Raubbau an unserer Zukunft.

Hier haben wir wirtschaftliche Stellschrauben, also Entscheidungsspielräume, die wir radikal nutzen müssen. Es wäre fatal, diese Bereiche, die durch menschliche Entscheidungen zu gestalten sind, für tabu zu erklären und stattdessen in den geophysikalischen Systemen, die sich weitgehend unserer Kontrolle entziehen, nach technologischen Reparaturmöglichkeiten Ausschau zu halten.

Die Externalisierungslogik, die den Kern kapitalistischer Produktionsformen bildet, ist heute an ihre natürliche und eigentlich längst absehbare Grenze gekommen. Aus dieser Externalisierungslogik entsprang seit je die zutiefst destruktive und letztlich selbstzerstörerische Dynamik des Kapitalismus. Der Klimaaspekt ist davon nur ein kleiner, wenn auch besonders folgenschwerer Teil.

Die Externalisierungslogik ist nicht mehr zu erhalten und muss dringend beseitigt werden. Das geht natürlich an den Kern des Kapitalismus. Hier helfen keine reformistischen Therapien, hier geht es um die völlig absehbaren Folgen einer zerstörerischen Wirtschaftsform. Raubbau an den ökologischen Lebensgrundlagen ist Raubbau an der Zukunft künftiger Generationen sowie der menschlichen Zivilisation insgesamt. Daran muss tagtäglich erinnert werden, um die Öffentlichkeit für die notwendigen Transformationen zu gewinnen.

Jens Wernicke: Ich möchte gerne noch aus etwas anderer Perspektive einen Blick auf die Bewegung der „Klimaskeptiker“ werfen. Zwei Dinge sind sicherlich klar: 1. in der Sache gibt es keinerlei wissenschaftlichen Spielraum für eine solche Gegenbewegung und 2. eine solche Gegenbewegung ist im Wesentlichen eine Astroturf-Bewegung, das heißt, sie gibt vor, von unten zu kommen, ist tatsächlich jedoch als Bewegung von oben erst konzipiert und schließlich produziert und orchestriert worden. Damit bleibt für mich die psychologische Frage, warum sie dann überhaupt — jedenfalls nach Klickzahlen und Kommentaren in sozialen Medien zu urteilen — eine solche Resonanz gefunden hat …

Rainer Mausfeld: Die Heftigkeit und auch die momentane Breitenwirkung dieser Gegenbewegung lassen sich sicherlich nur unter Beachtung zusätzlicher psychologischer Faktoren verstehen. Zwei Aspekte scheinen mir besonders interessant, weil sie von allgemeinerer Bedeutung sind. Zum einen der hohe Grad an subjektiver Überzeugtheit, mit dem Teilzeit-Hobby-Geophysiker ihre Intuitionen gegen wissenschaftliche Einsichten geltend zu machen suchen. Der zweite psychologische Aspekt betrifft das schon genannte Misstrauen gegen die Machteliten, das grundsätzlich in der Sache berechtigt ist, in der Klimadebatte jedoch in einer Affektverschiebung systematisch auf Ablenkziele gerichtet wird.

Der psychologische Punkt des hohen Grades subjektiver Überzeugtheit ist letztlich ein kognitionswissenschaftlicher und nicht ganz einfach zu erklären. Vielleicht hilft es, wenn wir uns zunächst klarmachen, dass es unter allen Herausforderungen der Natur, mit denen der Mensch in der Zivilisationsentwicklung konfrontiert war, keine gegeben hat, für deren Bewältigung wir in unseren evolutionär geformten Möglichkeiten so schlecht mental ausgestattet sind wie für eine Bewältigung einer anthropogenen Klimakatastrophe.

Nie zuvor in der Zivilisationsgeschichte des Menschen ergab sich eine Notwendigkeit, unsere ökologischen Lebensbedingungen in der dynamischen Ganzheit ihres Zusammenspiels theoretisch zu erfassen und zu verstehen — um als menschliche Zivilisation oder gar als Spezies überleben zu können.

Erst recht gab es keinen Grund, sie global gezielt beeinflussen zu müssen. Erst der durch unsere Wirtschaftsordnung herbeigeführte Raubbau an unseren Lebensgrundlagen führte zur gegenwärtigen Bedrohungssituation.

Unser psychischer Apparat ist für die Bewältigung von zeitlich und räumlich lokalen Systemen vergleichsweise geringer Komplexität gemacht und verfügt daher weder über brauchbare Intuitionen noch über geeignete Handlungsheuristiken, wenn es um unsere globalen Lebensgrundlagen geht.

Das bedeutet konkret, dass wir unsere entsprechenden natürlichen geistigen Beschränkungen nur durch kollektive intellektuelle Anstrengungen, also mit den Mitteln der Wissenschaft überwinden können. So, wie wir auch bei unseren Versuchen, den Makrokosmos oder Mikrokosmos zu verstehen, die natürlichen Beschränkungen unserer Sinnesorgane nur mit den Methoden und einem geeigneten konzeptuellen Apparat der Wissenschaften überwinden können, so sind wir auch bei einem theoretischen Verständnis unserer globalen Lebensgrundlagen auf den mühsamen kollektiven Weg der Naturwissenschaft angewiesen.

Für diesen Weg, zu dem es keine bequemen Abkürzungen gibt, gibt es etablierte Standards und Methoden. Und die lassen sich nun einmal nicht durch etwas Google-Aktivität und ein paar eigene Lesefrüchte erwerben.

Hier liegt also eine grundlegende Quelle für Probleme, mit denen die Klimadebatte behaftet ist. In den Naturwissenschaften haben sich Standards der Hypothesenbildung und der Evidenzbewertung — und damit auch normative Standards für Diskurse und Diskussionen — etabliert, die aus einer Alltagsperspektive oft nicht oder nur schwer verständlich sind.

Nun sind Probleme dieser Art nichts Außergewöhnliches, und wir haben in der Zivilisationsgeschichte gelernt, mit ihnen umzugehen. Denn sie ergeben sich in unvermeidbarer Weise bei allen Themen, bei denen es zu Konflikten zwischen wissenschaftlichen Einsichten und Alltagsintuitionen kommen kann. Historische Beispiele sind die Bewegung der Erde oder die Evolutionstheorie. Auch die naturwissenschaftlichen Studien von Kopernikus und Galilei wurden ja von Einwürfen kirchlicher Hobbyphysiker begleitet, die meinten, scharfsinnige Experimente und Beweise entwickelt zu haben, die bezeugen würden, dass die Erde sich unmöglich bewegen könne.

So wird nun auch in der Gegenwart die Klimadebatte von zahlreichen Stimmen begleitet, die überzeugt sind, mit ihren eigenen geophysikalischen Intuitionen und ihrem ‚gesunden Menschenverstand‘ in Konkurrenz zum etablierten naturwissenschaftlichen Diskurs treten zu können. Auch das ist eine verständliche und vertraute Situation, und die Naturwissenschaften haben gelernt, durch entsprechende Vermittlungsbemühungen mit ihr umzugehen.

Jens Wernicke: Bei den psychologischen Aspekten scheint mir auf beiden Seiten der Klimadebatte Angst ein wichtiger psychologischer Faktor zu sein. Die einen haben Angst vor einer Zerstörung der Lebensgrundlagen. Die anderen haben Angst vor einer „Ökodikatur“. Ich teile im Kern beide Befürchtungen und bin daher auch der Meinung, dass beide Seiten, auf je spezifische Art, zum Teil recht haben, dabei jedoch zugleich das Wesentliche, des Pudels Kern also, übersehen …

Rainer Mausfeld: Ja, Angst ist in jedem Fall ein Faktor von besonderer Bedeutung, auch bei den Zentren der Macht selbst. Die durch das Thema einer drohenden Klimakatastrophe ausgelösten Ängste und Ohnmachtsgefühle sind existentielle Ängste und Ohnmachtserfahrungen, da sie sich auf die Stabilität unserer eigenen Lebensgrundlagen und der unserer Kinder und Enkel beziehen.

Solche Ängste können dann auf vielfache Weise politisch wirksam werden. Sie können im besten Fall emanzipatorische Handlungsenergien freisetzen. Oder sie können eine demokratische Partizipation lähmen und eine Gegenwehr gegen autoritäre Lösungen blockieren. Auch eignet sich das Klimathema in besonderer Weise für Herrschaftstechniken einer systematischen Angsterzeugung.

Die ökonomischen Zentren der Macht werden bei einer kommenden Klimakrise in jedem Fall ein breites Spektrum von Techniken eines Angstmanagements nutzen, um ihre Interessen zu verteidigen.

Ein wichtiges Schutzmittel für uns dagegen liegt darin, diese Ängste nicht zu verleugnen, sondern sie sich bewusst zu machen. Dies ist auch deswegen wichtig, damit sich diese Ängste nicht als verschobene intensivierte Affekte für Spaltungen nutzen lassen. In jedem Fall ist gerade beim Klimathema Angst ein ganz zentraler psychologischer Faktor, mit dem wir uns intensiv befassen müssen.

Jens Wernicke: Was sind die Worst Case-Szenarien der weiteren Entwicklung aus Ihrer Sicht?

Rainer Mausfeld: Dazu kann ich natürlich keine Prognosen wagen, schon deswegen nicht, weil die Skala von Worst Case-Szenarien leider nach oben offen ist.

Zwei Entwicklungen sind jedoch bereits jetzt erkennbar und werden sich verschärfen. Die eine ist der schon genannte weitere massive Abbau an historisch mühsam gewonnener demokratischer Substanz. Der Grund hierfür liegt schlicht darin, dass sich alle von den ökonomischen Eliten gewünschten Maßnahmen um so weniger demokratisch legitimieren lassen, je mehr sich eine Krise verschärft. Denn eine demokratische Legitimation bedeutet ja gerade, dass Lösungen nicht durchsetzbar sind, die zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung gehen.

Die zweite damit eng verbundene Prognose bezieht sich auf die schon mehrfach angesprochenen autoritären Entwicklungen, also darauf, dass auf allen Ebenen gesellschaftlicher Organisation, insbesondere auf allen Ebenen der exekutivischen Apparate, zunehmend autoritäre Strukturen eingeführt und verrechtlicht werden.

Dieser Prozess wird bereits seit längerem intensiv, wenn auch für die Bevölkerung kaum wahrnehmbar, vorangetrieben — von Polizeigesetzen über alle möglichen Arten exekutivischer Ausführungsgesetze bis hin zu einem autoritären Konstitutionalismus. Er ist eine zwangsläufige Folge davon, dass Kapitalismus und Demokratie trotz ihrer zeitweiligen Symbiose letztlich miteinander unverträglich sind und dass die neoliberalen Spätformen des Kapitalismus nur in Verbindung mit einem autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat lebensfähig sind. Die Frage, wie dieser genau ausgestaltet werden könnte, lässt viel Spielraum für dystopische Fantasien.

Jens Wernicke: Noch ein letztes Wort?

Rainer Mausfeld: Gerne noch einen grundsächlicheren Punkt. Wir benötigen in mehrfacher Hinsicht eine breitere Perspektive, da der Klimawandel lediglich ein Symptom ist und wir daher auch bei den Mitteln zu seiner Bewältigung sehr viel grundsätzlicher vorgehen müssen.

Was die Auswüchse und die ökologischen und sozialen Folgen des real existierenden Kapitalismus betrifft, so müssen wir uns klarmachen, dass die vergangenen Jahrzehnte unzweifelhaft gezeigt haben, dass zwei Gesellschaftskonzeptionen, die mit großen emanzipatorischen Versprechen angetreten waren, als gescheitert betrachtet werden müssen.

Die eine Gesellschaftskonzeption war der real existierende Sozialismus. Die zweite Gesellschaftskonzeption betrifft die Idee einer reformistischen Zivilisierung des Kapitalismus, also die Vorstellung eines ‚Kapitalismus mit menschlichem Antlitz‘. Die Erfolgsaussichten einer solchen Konzeption wurden aus grundsätzlichen Gründen schon früh bezweifelt, prominentes Beispiel ist Rosa Luxemburg.

Der Siegeszug der neoliberalen Ideologie, die der Sozialhistoriker Perry Anderson als die erfolgreichste Ideologie der Weltgeschichte bezeichnet, zeigt heute endgültig, dass angesichts der vom Neoliberalismus hervorgebrachten gigantischen Asymmetrie von Machtverhältnissen die Hoffnung auf eine reformistische Transformation des Kapitalismus als illusionär betrachtet werden muss.

Der große Sozialphilosoph und Theoretiker einer politischen Ökologie André Gorz hatte 1968 noch einmal darauf hingewiesen, dass ein sozialer Kampf, der „nur gegen die Wirkungen der kapitalistischen Entwicklungen“ kämpft und der „innerhalb der kapitalistischen Logik“ bleibt, letztlich nur „selbst zur Verstärkung des kapitalistischen Systems“ beiträgt.

Gerade beim Klimaproblem wird in absehbarer Zeit sehr konkret offenkundig werden, dass der übliche politische Reformismus einer wilden Mixtur von Oberflächenmaßnahmen zwangsläufig in einem Desaster enden muss. Denn diese Maßnahmen resultieren gerade als politische Kompromisse aus dem, was innerhalb der durch unterschiedliche Elitengruppierungen und ökonomische Lobbygruppen bestimmten Machtkoordinaten möglich ist.

Wie tief die notwendigen Änderungen an die Grundfesten einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung gehen müssen, ist bereits daran zu erkennen, dass die Politik ihre Versprechen grundlegender Änderungen allein schon deswegen gar nicht einlösen kann, weil die erforderlichen Änderungen Eigentumsverhältnisse berühren, die mittlerweile durch nationales und internationales Recht nahezu unantastbar sind.

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung beruht auf einer „Sakralisierung des Eigentums“, wie Thomas Piketty es nannte. Diese Sakralisierung des Eigentums hat ihre Wurzeln bereits in der römischen Antike, ist also weit älter als der Kapitalismus. Sie bildet geradezu das Fundament unseres gesamten Rechtssystems. Der globalisierte Kapitalismus hat ihre Verrechtlichung zu einem Extrempunkt getrieben und sie ein für allemal einer demokratischen Kontrolle entzogen. Damit hat er sich selbst gleichsam auf Ewigkeit verrechtlicht, sich also eine Art Ewigkeitsgarantie verschafft.

Dies zeigt noch einmal, dass wir das Klimaproblem dringend aus einer Verengung auf geophysikalische Aspekte befreien müssen und in den Kontext derjenigen politischen Faktoren stellen müssen, die es hervorgebracht haben:

Das Klimaproblem ist untrennbar mit der Frage verbunden, in welcher Art von Gesellschaft und in welcher Wirtschaftsordnung wir nicht nur überleben, sondern auch menschenwürdig leben können. Dabei geht es buchstäblich um alles, nämlich die menschliche Zivilisation.

Jens Wernicke: Ich bedanke mich für das Gespräch.

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Rainer Mausfeld, Jahrgang 1949, studierte Psychologie, Mathematik und Philosophie in Bonn. Er ist Professor für Allgemeine Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und arbeitet im Bereich der Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung. Zuletzt erschienen von ihm „Warum schweigen die Lämmer?“ sowie „Angst und Macht“.

Jens Wernicke, Jahrgang 1977, ist Diplom-Kulturwissenschaftler und arbeitete lange als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Politik und als Gewerkschaftssekretär. Er verantwortete mehrere Jahre das Interviewformat der NachDenkSeiten, Deutschlands meistgelesenem politischen Blog. Heute ist er Autor, freier Journalist und Herausgeber von „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“. Zuletzt erschienen von ihm als Mitherausgeber „Netzwerk der Macht – Bertelsmann“ und „Fassadendemokratie und Tiefer Staat“, als Herausgeber „Der nächste große Krieg“ sowie als Autor „Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung“.

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