Wie die Corona-Lockdowns in den schlimmsten Wirtschaftsabsturz der Neuzeit führen
Ein Standpunkt von Christian Kreiß.
Der Wirtschaftsabsturz
In den letzten Tagen wurden die neuesten Zahlen zur Wirtschaftsentwicklung in den USA und Europa veröffentlicht. Der Internationale Währungsfonds spricht von einer „Krise wie noch nie“ und das Institute for International Finance betitelte eine Studie „Covid-19 zündet die Lunte an“.
Die US-Wirtschaft schrumpfte im zweiten Quartal (April bis Juni) 2020 um 9,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das war „die größte Kontraktion, die es jemals gab“. Europa traf es noch deutlich schlimmer. Der Euroraum schrumpfte im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem zweiten Quartal 2019 um 15 Prozent. Das heißt: Mehr als ein Siebtel der Wirtschaftsleistung ist einfach verschwunden. Jedes siebte Produkt oder Dienstleistung sind heute nicht mehr da. Dabei traf es in der Regel diejenigen Länder mit den härtesten staatlichen Corona-Zwangsmaßnahmen auch am härtesten beim Wirtschaftsabschwung: Die Wirtschaft Spaniens schrumpfte um 22 Prozent, Frankreich um 19 Prozent, Italien um 17,3 Prozent. Die deutsche Wirtschaft ging um 11,7 Prozent zurück, die schwedische um 8,2 Prozent.
Gleichzeitig haben die Industrienationen ihre Staatsausgaben zur Abmilderung des tragischen Wirtschaftsgeschehens über Neuverschuldung in einem geschichtlich noch nie dagewesenen Ausmaß erhöht. Auf dem Arbeitsmarkt sind daher die katastrophalen ökonomischen Entwicklungen erst zu einem kleinen Teil angekommen. Praktisch alle Regierungen der westlichen Welt geben gewaltige Geldsummen aus, um betroffene Arbeitnehmer vor dem Abschwung abzuschirmen, beispielsweise durch Kurzarbeitergeld. Daher werden die offiziellen Arbeitslosenzahlen in fast allen Ländern sehr viel niedriger ausgewiesen als die tatsächliche Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung in Wirklichkeit ist. De facto betrug in den meisten Industrieländern im zweiten Quartal die Arbeitslosigkeit mindestens 20 Prozent, das heißt mindestens jeder fünfte erwerbsfähige Mensch hatte keine oder zu wenig Arbeit.
Schulden auf neuem Höchststand
Gleichzeitig sind die Schulden auf neue Rekordhöhen gestiegen. Bereits im Januar 2020, vor den staatlichen Corona-Zwangsmaßnahmen titelte der US-Sender CNN: „Die Welt ertrinkt in Schulden“. Im ersten Quartal 2020 beliefen sich die Schulden weltweit auf 258 Billionen US-Dollar bzw. 331 Prozent vom Welt-Sozialprodukt. Im zweiten Quartal haben sie sich nochmals dramatisch erhöht, vor allem der Schuldenstand im Verhältnis zum stark gesunkenen BIP. Die bis Juni angekündigten Erhöhungen der schuldenfinanzierten Staatsausgaben beliefen sich laut IWF auf 11 Billionen US-Dollar. Bei Ausbruch der Finanzkrise 2008 betrugen die weltweiten Schulden 168 Billionen US-Dollar bzw. etwa 282 Prozent vom Welt-BIP. Das war damals bereits viel zu viel, sodass dadurch eine Finanzkrise ausgelöst wurde, weil die Schulden nicht mehr in voller Höhe bedient werden konnten. Heute ist die Lage noch weitaus schlimmer, genauer: noch viel weniger tragbar als 2008. Momentan dürften die Schulden deutlich über 350 Prozent vom Welt-BIP betragen, also die Schuldenlast gut ein Viertel höher liegen als 2008. Genau das ist mit dem oben zitierten Spruch „Covid-19 zündet die Lunte an“ gemeint: Die Lunte unter dem Sprengsatz der Schuldenbombe, die nun hochgeht.
In meinen Augen als ehemaliger Investmentbanker ist es ausgeschlossen, dass der derzeitige Schuldenberg jemals real zurückgezahlt werden kann. 350 Prozent vom BIP bedeutet, dass die gesamte Erdbevölkerung dreieinhalb Jahre ohne Lohn ausschließlich für die Gläubiger arbeiten müsste. Das sind im Wesentlichen die oberen ein Prozent der Erdbevölkerung, denen gut die Hälfte des Erdvermögens gehört, bzw. die oberen 10 Prozent, denen 85 Prozent gehört. Dazu kommt: Wie soll ein neuer Schuldenhöchststand durch eine Wirtschaft zurückgezahlt werden, die durch staatliche Zwangsmaßnahmen so stark erwürgt wurde wie noch nie in der Geschichte? Die eigentliche Schuldenbereinigung steht erst noch bevor. Entweder kommt ein Crash im Finanzsektor bzw. an den Finanz-, insbesondere an den Anleihemärkten mit zahlreichen Staatsbankrotten, massenweisen Unternehmenspleiten, internationalen Handelsverwerfungen und einem Heer von Arbeitslosen.
Oder es kommt eine kräftige Inflation. Wenn die Preise im Dollar- und Euroraum sich binnen drei bis fünf Jahren verdoppeln würden, wäre die Schuldenlast von heute real halbiert. Inflation wäre also tatsächlich eine Lösung für die untragbar hohen Schulden. Allerdings führen starke Inflationsprozesse zum Aushebeln der Steuerungsfunktion der Preise, weil die Preise ganz unterschiedlich stark steigen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sie werden also ganz durcheinandergewürfelt. Unternehmen und Konsumenten befinden sich dann im Blindflug, weil der (Preis-) Kompass fehlt oder falsch ist. Deshalb kommt es nach Inflationsprozessen praktisch immer zu realwirtschaftlichen Verwerfungen. Vermutlich kommt in den nächsten Jahren eine Mischung aus beidem: Masseninsolvenzen von Unternehmen und Staaten plus Inflation.
So oder so: Ein Blick auf die ökonomischen Fundamentaldaten zeigt, dass die kommende Finanz- und Wirtschaftskrise um einiges schlimmer werden dürfte als die „Great Recession“ von 2008/2009 und unabsehbares Leid und Elend vor allem in den ärmeren Ländern der Welt bringen wird, aber auch für die ärmeren Bevölkerungsschichten in den Industrieländern. Soziale Unruhen, Aufstände, Plünderungen und vielfaches Chaos weltweit sind vorprogrammiert, auch in den Industrieländern, wenn wir nicht schleunigst umsteuern.
Vergleich Deutschland – Schweden
Was tun? Die Situation ist nicht alternativlos. Es gibt sehr wohl eine Alternative. Um diese aufzuzeigen, soll nun die Situation von Deutschland und Schweden verglichen werden. Wie oben erwähnt, schrumpfte die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal 2020 um 11,7 Prozent, die schwedische um 8,2 Prozent. Im ersten Quartal 2020 ging die deutsche Wirtschaft um 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, die schwedische wuchs um 0,4 Prozent. Addiert man die beiden Quartale zusammen, ergibt sich für das erste Halbjahr in Deutschland eine Wirtschaftsschrumpfung um etwa 14 Prozent, in Schweden um etwa 7,8 Prozent. Die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpfte also beinahe doppelt so stark wie die Schwedens. Das ist kein Zufall. Die staatlichen Zwangsmaßnahmen, Zwangsschließungen und das Aushebeln der Menschenrechte waren in Schweden nicht annähernd so schlimm wie in Deutschland.
Dazu kommt: Deutschland pumpt derzeit ungleich mehr schuldenfinanziertes Staatsgeld in die Wirtschaft als Schweden. Die Ratingagentur Fitch rechnet mit einem Anstieg der deutschen Staatsschulden um 14 Prozentpunkte vom BIP 2020 und einem weiteren Anstieg des Schuldenberges 2021. In Schweden sollen die Staatsschulden laut Fitch 2020 um 11 Prozentpunkte vom BIP steigen, aber 2021 bereits wieder sinken.
Schuldenfinanzierte Staatsausgaben, sogenanntes deficit spending, bewirkt normalerweise einen Anstieg des Sozialproduktes ungefähr in Höhe des Defizits, weil sie unmittelbar die Nachfrage ankurbeln. Obwohl also Deutschland eine deutlich stärkere schuldenfinanzierte Politik der Wirtschaftsankurbelung betreibt und pro Kopf deutlich mehr Geld in die Wirtschaft pumpt, ist der Wirtschaftseinbruch fast doppelt so stark wie in Schweden. In Wirklichkeit, unter Einbeziehung der Konjunkturpolitik, ist also die Wirtschaftsentwickelung in Deutschland noch erheblich schlechter als die offiziellen Zahlen bisher ausweisen und noch viel schlechter als die Schwedens. In Wirklichkeit ist die deutsche Wirtschaft – entgegen einem falschen bzw. irreführenden Bericht im staatseigenen Deutschlandradio – im ersten Halbjahr 2020 mehr als doppelt so stark abgestürzt wie die schwedische.
Im Übrigen ist die Zahl der Corona-Infektionen in Schweden seit Ende Juni sehr stark gesunken und die Zahl der Corona-Toten seit 25. Juli nahe Null. Also auch im Kampf gegen Corona ist Schweden in jüngerer Zeit deutlich erfolgreicher als viele andere Länder, wo die Fallzahlen wieder steigen. Was wir anders machen sollten als Schweden ist, unsere gefährdeten Zielgruppen, insbesondere die Alten- und Seniorenheime, besser zu schützen. Das sieht selbstkritisch auch Anders Tegnell, der schwedische Staatsepidemiologe so, während man selbstkritische Töne in der deutschen Politik oder in unseren Medien leider weitgehend vergeblich sucht.
Deutsche Corona-Politik in der Sackgasse
Kurz: Der deutsche Umgang mit Corona ist eine Sackgassenpolitik. Sie ist ökonomisch vollkommen unhaltbar und führt uns direkt in ein ökonomisches Desaster. Nicht so in Schweden. Die schwedische Wirtschaft könnte mit einem blauen Auge davonkommen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und die durch den Lockdown verursachten verschiedensten negativen sozialen Entwicklungen, wie steigende häusliche Gewalt, zunehmender Alkohol- und Zigarettenkonsum, starke Zunahme des Medienkonsums unserer Kinder, steigendes Übergewicht, steigende Mortalität wegen unterbliebener Arztbesuche und Operationen sowie zunehmende Selbstmorde dürften in Schweden insgesamt deutlich geringer ausfallen als bei uns. Dass die schwedische Ökonomie überhaupt so deutlich in Mitleidenschaft gezogen wird, liegt auch stark an der hohen internationalen Verflechtung der schwedischen Wirtschaft mit der Welt und nicht so sehr an den spezifisch schwedischen Corona-Maßnahmen.
Was können wir daraus lernen? Noch ist es nicht zu spät. Wir bräuchten einen ganz anderen Umgang mit Corona. Statt ständigem unberechtigten Angst-Schürens seitens der deutschen Regierung und durch die Massenmedien bräuchten wir einen sachlichen Umgang, eine tolerante Diskussionskultur und sinnvolle Corona-Maßnahmen statt Diffamierung Andersdenkender und angstgetriebenen Aktionismus. Angst vor Corona ist für den Großteil der Bevölkerung unbegründet. Angst vor Quarantäne, vor Reisen, vor Kontakt mit anderen, vor Schulschließungen usw. bewirkt weniger Einkäufe, weniger Arbeit, weniger Produktion. Angsterzeugung und eine weitverbreitete Maskenpflicht erwürgt unsere Wirtschaft immer weiter.
Am Rande sei bemerkt, dass dasjenige Bundesland mit den strengsten Corona-Maßnahmen und besonders großer Angsterzeugung auch die höchsten Fallzahlen hat: Bayern. Das spricht nicht gerade für eine erfolgreiche Corona-Eindämmungspolitik durch Markus Söder. Warum gerade der erfolgloseste Corona-Eindämmer in den Mainstream-Medien besonders gelobt wird, ist ein Rätsel für sich.
Ein Lösungsvorschlag: Segmentierung als Schutz der gefährdeten Zielgruppen
Angesichts der derzeitigen emotional und politisch aufgeheizten Stimmung in unserem Land könnte man folgenden Kompromiss machen. Um die gefährdeten Zielgruppen, also alte, schwer vorerkrankte oder auch ängstliche Menschen zu schützen und einen Senizid zu verhindern, könnten wir bei Einkäufen eine Maskenpflicht und social distancing zu bestimmten Tagesstunden einführen, z.B. „von 10 bis 12 ist Sicherheitszeit“. Das Gleiche gilt für kulturelle oder ähnliche Veranstaltungen: An bestimmten Wochentagen gibt es für ängstliche oder gefährdete Menschengruppen spezielle Sicherungsvorkehrungen. Statt Lockdown und Zwang unterschiedslos für alle wäre ein differenzierter Schutz deutlich effektiver und sehr viel gesellschafts- und sozialverträglicher. Und er würde unsere Wirtschaft nicht ruinieren, sondern ihr Luft zum Atmen lassen.
Zum Autor:
Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sechs Büchern: Profitwahn – Warum sich eine menschengerechtere Wirtschaft lohnt (2013); Geplanter Verschleiß – Wie die Industrie uns zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt – und wie wir uns dagegen wehren können (2014); Gekaufte Forschung – Wissenschaft im Dienst der Konzerne (2015); Werbung nein danke – Warum wir ohne Werbung viel besser leben könnten (2016); BWL Blenden Wuchern Lamentieren – Wie die Betriebswirtschaftslehre zur Verrohung der Gesellschaft beiträgt (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD), Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen.
Homepage: www.menschengerechtewirtschaft.de
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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Bildquelle: Vincent Grebenicek / shutterstock
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