Die Gefahr: Altes Denken führt zum Fort-Schritt

Ein Beitrag von Bernhard Trautvetter.

Die Menschheit steht vor massiven Zukunftsgefährdungen, wie der drohenden ökologischen Katastrophe infolge der Zerstörung lebenswichtiger Bereiche der Biosphäre, infolge des Auseinanderdriftens der Schere zwischen superreich und verelendet, infolge der immer bedrohlicheren Gefahr der Eskalation der Gewalt und der Kriege weltweit in einer Spirale, die schon aufgrund der Nuklear- und Chemieanlagen in allen Erdteilen zu einem Inferno werden (können), infolge des Zerfalls ganzer Weltregionen, vor allem in der Folge der im Wesentlichen von Nato-Staaten initial ausgelösten Militarisierung der Weltpolitik und des Versinkens ganzer Kulturen in Todeszonen, aus denen dann viele Menschen fliehen, wie sie es auch aus ökologisch verwüsteten Gebieten tun.

In der angespannten Lage unserer Zeit kommt es vermehrt zu Wahlerfolgen von Feinden des Zusammenlebens, also des Lebens der Gattung Mensch auf dem Planeten Erde insgesamt; nationalistische Parolen wie “let‘s make America great again” führen direkt zu imperialen Wirtschaftskriegen und militärischer Gewalt weltweit. Auch Annegret Kramp-Karrenbauers Werbung für mehr militärisch durchgesetzte “Gestaltungsmacht” des größer gewordenen Deutschlands ist Ausdruck der Gefahr, die vom alten Denken ausgeht. (1)

Ultranationalismus und Militarismus sehen ihr Land, ihre Kultur und im Kern sich selbst als überlegen an, sie blenden bei Problemen die Systemfrage aus und lenken den Blick personalistisch auf bestimmte Menschengruppen mit Sündenbock-Theorien gegen Flüchtlinge, so genannte Gutmenschen, 68er und hinter allem die oder ein Teil der sogenannten Eliten…

An dieser Oberflächlichkeit arbeiten Meinungsmacher in den Mainstream-Medien und in der ultrarechten Öffentlichkeit systematisch. Sie personalisieren, ihre Kritik prangert Personen und Personengruppen an der Macht an, ohne den Kapitalismus mit seiner Ausrichtung auf Profit in der “Friss oder werde gefressen”-Ökonomie den Blick zu nehmen.

Der Kapitalismus generiert eine doppelte Blindheit, zum einen die gegenüber dem System als grundlegende Ursache vieler solcher existenzieller Zukunftsgefährdungen, wie dem Wachstumsdogma und der Konkurrenz, die als “Wettbewerb”, der das Geschäft beleben soll, geschönt wird, obwohl sie als Element der materiellen Basis der Ökonomie die Kooperation der Menschen untergräbt. Die zweite Blindheit ist die Blindheit gegenüber dieser Blindheit selbst. Wer Scheuklappen hat, der sieht diese nicht – außer er behilft sich mit einem Spiegel.

Diese vielfache Blindheit lässt sich dann abwenden und überwinden, wenn die Menschen die Realität als Prozess verarbeiten, der sich aus Gegensätzen speist. Wenn sie diese Herangehensweise an ihre Erfahrungen auf ihr Verhältnis zu sich selbst übertragen, dann gelingt die kritische und reflektierende Distanz, die dazu verhilft, das Denken und Handeln nicht oberflächlich auf der Ebene der Fassaden des Alltagslebens beharren zu lassen. Mit dieser Haltung kann der Mensch es auch vermeiden, zu vermeintlich einfachen Lösungen zu greifen und den Positionen der Rechten eine Bedeutung beizumessen, die sie nicht haben. Wer so an seine Erfahrungen herangeht, der überlegt sich auch, was gegen das sprechen kann, wovon er überzeugt zu sein scheint. Mit dieser offenen und in die Tiefe gehenden Haltung vertieft sich das Nachdenken, denn es bezieht auch alle möglichen Konsequenzen mit ein, die sich jeweils nach einer Handlung ergeben können. Das betrifft auch die unerwünschten und die sonst unbedachten Konsequenzen.

Der dialektische Blick auch auf sich selbst und davon ausgehend auf alle Wirkkreise des Lebens vom kleinsten bis zum größten begünstigt die Erweiterung der Horizonte, die es braucht, wenn die Menschheit die geistige Energie aufbringen soll, um die gordischen Knoten der Zukunftsgefährdungen doch noch rechtzeitig aufzulösen.

Die kritischen Nuklearwissenschaftler warnen, es sei für die Menschheit am Rande des Abgrunds zwei vor zwölf. Sie verweisen auf „die die gefährliche Lage durch globale Bedrohungen wie Atomwaffen, Klimawandel und gesellschaftlicher Polarisierung“. (2)

Zur gesellschaftlichen Polarisierung trägt neben dem Rassismus und dem Nationalegoismus ein Denken bei, das der Ellbogengesellschaft und in Mitmenschen Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt sieht. Der dabei entstehende egozentrische Blick auf die Welt lässt sich mit dem eines Passagiers auf einem Transatlantikschiff vergleichen, der auf die Schönheit und den Luxus der eigenen Kabine so stark konzentriert ist, dass Gefahren für die Sicherheit des gemeinsamen Schiffes aus der Aufmerksamkeit geraten. Dann kommt es zum Stocken des Motors, was zu spät auffällt, nämlich erst dann, wenn die Eisberge der Titanic immer näherkommen.

Im 21. Jahrhundert geht es darum, dass sich die Kräfte, die an einem Überleben des gesamten Planeten als Heimstadt der Menschheit interessiert sind, auf das Gemeinsame besinnen und nicht auf das Trennende. Und dass sie dabei das Andere in Anderen als Bereicherung zum einen für sich selbst und zum anderen für die Gesellschaft als Gemeinschaft Wert schätzen. Sie betrachten die Befreiung und die Freiheit des Einzelnen als grundlegende Bedingung für die Befreiung und Freiheit aller. Wir haben kein Recht dazu, die Chancen auf ein Überleben der Gattung Mensch dadurch zu verspielen, dass wir uns auseinanderdividieren lassen. Alle, auch die Ausgegrenzten und die Generationen nach uns brauchen eine Perspektive auf der Basis der Solidarität derer, die (anders) leben wollen. Die in solidarischem Engagement entstehende Nähe zwischen den Seit an Seit Handelnden wärmt zudem auch das eigene Herz.

Damit das auch noch in unserer Welt gelingen kann, dafür ist es ein Anfang, wenn die Friedens-, Ökologie-, Menschenrechts- und Gewerkschaftsbewegung sowie alternativen Kräfte zusammenfinden für ein zukunftsfähige Lebenskultur in Aktionen für Maßnahmen, die vom Kleinen im lokalen Rahmen vor Ort bis zum großen Globalen zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft führen können. Was ansteht, beginnt bei Abrüstung statt Ressourcenzerstörung, Bildung und Kultur statt neoliberaler Begünstigung Superreicher, erneuerbaren Energien, sozialer Gerechtigkeit, einem Gleichgewicht von Verbrauch und Nachwachsen natürlicher Ressourcen, einer Friedenskultur durch Interessensausgleich; in konzentrischen Kreisen breitet sich zukunftsverträgliches Zusammenspiel der Menschen national und dann auch international aus, es ersetzt die imperiale und teure sowie tödliche Machtpolitik der Militärs in den Nato-Staaten und darüber hinaus durch kollektive Sicherheit auf der Basis von verbindenden Strukturen statt (kapitalistischer) Konkurrenz. Ihr Diskurs kann die notwendige Solidarität begünstigen, wenn sie in Andersdenkenden keine Feinde sondern eine Bereicherung sehen. Dies alles auf der Basis der Würde, die jede/r durch sein Menschsein ohne Bedingungen in die Wiege gelegt bekommt.

Ich weiß, das klingt vor allem für Realpolitiker/innen naiv. Realpolitik sieht die Ellbogen als Bedingung des Überlebens an. Realismus des 21. Jahrhunderts ist allerdings die Erkenntnis, dass wir das erreichen müssen, können und wollen, was unerreichbar erscheint, und das in möglicherweise immer knapper werdender Zeit, denn mit der lebenszerstörenden Lebensweise des American and Western Ways of Life und mit der ausgrenzenden Art zu denken, zu reden und zu Handeln ist die Menschheit an den Rand ihrer Existenz gekommen.

Mit der alten Denk-, Interaktions- und Kommunikationsweise können wir die Probleme nicht lösen, zu denen das Alte uns geführt hat. Die Ablehnung einer sogenannten Political Correctness, die nur zu Unehrlichkeit führe und zu Langeweile, stellt dann – anders als viele es einwerfen – keine Meinungsdiktatur dar, wenn die Menschen gehalten sind, in ihrer Kommunikation die Menschenwürde und die Grundrechte einzuhalten. Es darf keine Türöffnung für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geben, da diese dem folgenden Irrtum aufliegt: Jemand hat eine extrem positive oder negative Meinung von jemandem, kennt ihn aber überhaupt nicht. Hölderlin wandte sich in Hyperion gegen jene, die sich für weise hielten, “weil sie kein Herz mehr haben”. (3)

Auch die indianische Weisheit hilft hier weiter: Bewerte niemals eines Menschen Handlungen ohne nicht mindestens eine Meile in seinen Mokassins gelaufen zu sein.

Ich höre schon jene, die jetzt intervenieren, wer mit 17 kein Kommunist war, hat kein Herz, wer es mit dreißig immer noch ist, der hat keinen Verstand. Die Antwort auf diese resignative Position vermeintlicher “Real”politiker/innen ist: Wir Menschen haben nur eine gemeinsame Zukunft oder keine.

Ohne das Herz als zentraler Sinn der Wahrnehmung und als Quelle der Motive zu Handeln werden die Menschen nicht zu einer anderen, zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft finden. Wir leben, um uns diese Welt so zu teilen, dass das Leben lebt. Auch nach uns, auch in den Teilen der Welt, die Opfer des Imperialismus sind, auch in den Familien, die keine Hoffnung haben, weil sie ausgegrenzt, ausgebeutet und ausgebootet werden. Es geht um eine Gesellschaft, die damit Schluss macht, damit Menschen gerne leben. Dann achten sie das Leben. Gerade angesichts der zeitlich gedrängten Zuspitzung ökologischer, sozialer, militärischer und politischer Zukunftsgefährdungen haben wir möglicherweise keine andere Wahl mehr, als den Versuch, uns von der Bewältigung der globalen Bedrohungen nicht länger abhalten zu lassen.

Der Verweis auf die Ohnmacht, der Verweis auf die mangelnde Macht des Einzelnen, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer, die mangelnde Achtsamkeit gegenüber der Lebendigkeit der Natur, all das sind mögliche Ausgangspunkte für einen Schatten, der das Leben eines jeden in der finalen Katastrophe der Zivilisation mit sich reißen kann. Das Bewahren der Schönheit des blauen Planeten und die Liebe als tätige Hinwendung zur Seele dessen, was uns alle verbindet, das kann sich als unsere einzige Chance erweisen, den Zukunftsgefährdungen zu entrinnen. Wer meint, die hier mitschwingende Angst sei ein schlechter Ratgeber, dem ist zu antworten, dass man auch noch um zwei vor zwölf Angst verdrängen kann. Dies ist der schlechte Ratgeber. Es kommt oft vor, dass ZeitgenossInnen vom positiven Denken direkt in die Depression verfallen. Zwischen Pessimismus und Optimismus gibt es die Verantwortung für die Vision eines lebensfähigen Lebens. Eine Menschheit ohne eine Vision verliert ihre Seele. Solange es Menschen gibt, ist Menschlichkeit die bessere Idee.

Die Kräfte des Überlebens werden nur dann Erfolg haben können, wenn sie eine attraktive Kultur des Miteinander entfalten, die andere ansteckt, die attraktiv ist. Das gilt nicht nur für die Form des Umgangs miteinander, sondern auch für den Diskurs, der die Dialektik Hegel’schen Denkens in Gegensätzen mit der Entschiedenheit der Kritik an Verhältnissen, mit dem Engagement für ein Gesellschaftssystem, in dem die Menschen nicht mehr aus Ausbeutungsinteresse einer kapitalen Klasse heraus erniedrigt wird. Dazu gehört der Mut “Nein” zu sagen, wenn Militaristen und ihre Geschäftspartner sagen, selbst auch noch Atomrüstung sei “Sicherheitspolitik”. Dieser Mut führt zur Anmut des Lebens. Unser “Nein” zur Zerstörung der Natur entspringt einem “Ja” zum Leben.

Trotz alledem.

Quellen:

https://www.jungewelt.de/artikel/366407.milit%C3%A4rpolitik-akk-l%C3%A4dt-nach.html
http://weltuntergangsuhr.com/
https://gutenberg.spiegel.de/buch/hyperion-264/6

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildhinweis: shutterstock/Peshkova

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