„Die Eroberung Europas durch die USA“ (3. Auszug)

Am 25. April hielt US-Präsident Barack Obama anlässlich seines Besuchs der Hannover-Messe eine peinliche, schwülstige und verlogene Rede. In den deutschen Leitmedien wurde sie als „gut inszenierte, emotional mitreißende Anti-Angst-Rede“ (SZ), als Appell an das historische Bewusstsein der Deutschen und Europäer (FAZ) oder als „deutlicher Fingerzeig Richtung Russland“ (WELT) abgefeiert. Geflissentlich überhört wurden dabei die dreisten historischen und politischen Fehlinterpretationen des US-Präsidenten und dass für ihn Russland offensichtlich nicht zu Europa gehört. Auch seine groteske Feststellung, wir lebten derzeit „im friedlichsten Zeitalter der Geschichte“, wurde kritiklos hingenommen. Neben einigen Witzchen, Lobhudeleien und vielen Worthülsen warb Obama u.a. für TTIP, er beschwor die Freundschaft mit Europa, lobte die „Willkommenspolitik“ für Flüchtlinge von Angela Merkel und er forderte wirtschaftliche Hilfe Deutschlands beim Wiederaufbau des von den USA zerstörten Irak sowie ein größeres militärisches Engagement. Aufrüstung statt Abrüstung ist angesagt, Konfrontation mit Russland statt Verständigung und Kooperation – alles wie gehabt, nur immer noch schlimmer.

Dritter Auszug aus dem Buch von Wolfgang Bittner. Erweiterte Neuausgabe, Westend Verlag, Frankfurt am Main, November 2015.

Ignoranz und Vasallentum

Bereits der Rede Putins vor dem Deutschen Bundestag am 25. September 2001 war zu entnehmen, dass die russische Regierung zu einer weitgehenden Kooperation mit Deutschland und der EU bereit war. Er sagte: »Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird. Die ersten Schritte in diese Richtung haben wir schon gemeinsam gemacht. Jetzt ist es an der Zeit, daran zu denken, was zu tun ist, damit das einheitliche und sichere Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt wird.«(2)

Es wäre vernünftig und existenziell wichtig gewesen, das zu überdenken. Doch CDU/CSU wie auch SPD schließen sich als willfährige Vasallen der Konfrontations- und Lügenpolitik der USA an, statt sich auf eigene Grundsätze zu besinnen, vielleicht sogar auf Willy Brandts These vom »Wandel durch Annäherung«.(3) Aber was ist von einer Regierung zu halten, die ständig die eigene Verfassung bricht, um die hochbrisante Kriegstreiberei der USA mitzumachen?

In Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.« Soll Deutschland jetzt, wieder unter Umgehung des Grundgesetzes, statt am Hindukusch weiter in der Ukraine »verteidigt« werden? Oder im Baltikum? Oder in Polen? Steht uns etwa wieder ein »humanitärer Einsatz« ins Haus, in den die NATO unter Führung der USA Deutschland hineinzieht?

Konsequenzen der Sanktionspolitik

Neben der militärischen Aggression ist der wirtschaftliche Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren. Der Euro steht im Verhältnis zum Dollar auf einem Tiefststand, und die deutsche Wirtschaft klagt über erhebliche Einbußen im Handel mit Russland. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft meldet (Stand Mai 2015): „Die deutschen Exporte nach Russland gingen 2014 um 18 Prozent auf 29,3 Milliarden Euro zurück … In den ersten beiden Monaten 2015 gingen die deutschen Russland-Exporte sogar um mehr als ein Drittel zurück. Für das Gesamtjahr 2015 ist ein Rückgang der deutschen Ausfuhren um 15 bis 20 Prozent möglich.“(4) Und das erscheint noch optimistisch.

Der Chefanalyst der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, sagte in einem Interview: „Der Schaden ist viel umfassender, als es die Statistik sagt. Beginnen wir bei der Ökonomie und den bisher aufgelaufenen Schäden. Der Blick auf den Rückgang der deutschen Exporte per 2014 um 18% oder in den ersten beiden Monaten 2015 um 34% im Jahresvergleich erfasst nur einen Primärausschnitt. Es gibt Sekundäreffekte… Deutschland und die EU haben gegenüber Russland ihre ökonomische Zuverlässigkeit zur Disposition gestellt.“(5) Abzuwarten bleibe, so Hellmeyer, inwieweit von den aufstrebenden BRICS-Ländern die Sanktionspolitik der EU und Deutschlands als Affront nicht nur gegen Russland interpretiert werde. Die Achse Peking-Moskau plane „im Rahmen der Shanghai-Corporation und der BRICS-Länder das größte Wachstumsprojekt in der modernen Geschichte, den Aufbau der Infrastruktur Eurasien von Moskau bis Wladiwostok, bis Südchina und Indien.“(6) Beunruhigend sei aber der Mangel an Weitsicht bei den europäischen Politikern, die offensichtlich nicht in der Lage seien, die definitiv eintretenden zukünftigen Schäden, die erheblich sein werden, einzuschätzen.

Hellmeyer weiter: „Es ist in der Tat irritierend. Menschen, die nicht nur auf „westliche Qualitätsmedien“ fokussiert sind, sind erstaunt über das mediale Ausblenden der Aggressionen Kiews und der durch die Regierung Kiews umgesetzten diskriminierenden Gesetze, die zu dem Anspruch westlicher Werte und Demokratie in einem krassen Missverhältnis stehen. Bei dem „Coup“ in der Ukraine sei „eine in der Tendenz gegenüber Moskau freundlich gesinnte Oligarchie durch eine jetzt den USA zugewandte Oligarchie ersetzt“ worden; das sei Geopolitik, die dritten Kräften, nicht aber Deutschland und der EU und auch nicht Russland und der Ukraine nütze. Fakt sei, dass sich die aufstrebenden Länder von der US-Hegemonie emanzipierten, und das werde gerade deutlich an den Gründungen von Konkurrenzinstitutionen zur Weltbank (AIIB)(7) und dem IWF (New Development Bank) seitens der Achse der aufstrebenden Länder.(8)

Für den Analysten Hellmeyer ist der Konflikt schon entschieden: “Die Achse Moskau–Peking–BRICS gewinnt. Dort hat man vom Westen die Nase voll. 1990 hatten diese Länder einen Anteil von circa 25% an der Weltwirtschaftsleistung. Heute stehen sie für 56% der Weltwirtschaftsleistung, für 85% der Weltbevölkerung. Sie kontrollieren circa 70% der Weltdevisenreserven. Sie wachsen pro Jahr im Durchschnitt mit 4% – 5%. Da die USA nicht bereit waren, internationale Macht zu teilen (z.B. Voten in IWF und Weltbank), baut man im Sektor der aufstrebenden Länder ein eigenes Finanzsystem auf. Dort liegt die Zukunft… Die EU wird derzeit in den Konflikt, den die USA verursachte, weil sie keine Macht teilen wollte und teilen will, hineingezogen und damit in ihren eigenen Entwicklungsmöglichkeiten sterilisiert. Je länger wir diese Politik in der EU verfolgen, desto höher wird der Preis, desto weniger wird man uns als Gesprächspartner ernst nehmen.“(9)

Auch andere Finanz- und Wirtschaftsexperten warnen inzwischen vor den gravierenden Folgen der Sanktionen und der Aggressionen gegenüber Russland, so beispielsweise der Investor Mattias Westmann in einem Gastbeitrag für Focus-Money: „Jetzt wirft sich aber die Frage auf: Unter welchen Bedingungen können die Sanktionen wieder aufgehoben werden? Geschieht dies nur dann, wenn Russland die Krim wieder an die Ukraine zurückgibt, dann würden sich die Strafmaßnahmen als immerwährend erweisen. Schließlich unterstützt die lokale Krim-Bevölkerung die Wiedervereinigung mit Russland zu über 90 Prozent. Und auch angesichts der Lage in der Ostukraine würden die Menschen auf der Krim eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen nicht akzeptieren. Darüber hinaus ist für Russland der Marinestützpunkt Sewastopol sehr wichtig – sowohl in strategischer als auch in nostalgischer Hinsicht.“(10)

Bemerkenswert, wie Westmann die russische Position einschätzt: „Aus russischer Sicht ist es nun einmal so, dass es durch einen Staatsstreich zum Handeln gezwungen wurde, der von ausländischen Mächten unterstützt wurde, und der sowohl Russlands wesentliche Sicherheitsinteressen bedrohte als auch das Wohl der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine. Russlands Vorgehen war in diesem Sinne defensiv, nicht offensiv. Hätte Russland vorgehabt, Kiew einzunehmen, dann hätte es das mit Leichtigkeit tun können. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass das jemals geplant war…“(11)

Quellenhinweise:

1) https://www.tagesschau.de/inland/obama-hannover-133.html
2) Wladimir Putin, a.a.O.
3) Dazu: Albrecht Müller, Die neue Konfrontation West-Ost. Wie geht es vermutlich weiter?; zit. n.: http://www.nachdenkseiten.de/?p=21147#more-21147 (22.09.14).
4) Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, http://www.ost-ausschuss.de/russische-f-deration (18.7.2015).
5) Folker Hellmeyer, zit. n.: Deutsche Wirtschafts Nachrichten, Top-Banker: USA werden gegen Achse Moskau-Peking den Kürzeren ziehen, 24.7.2015, http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/07/24/top-banker-usa-werden-gegen-achse-moskau-peking-den-kuerzeren-ziehen
6) Folker Hellmeyer, a.a.O.
7) Asian Infrastructure Investment Bank.
8) So Folker Hellmeyer, a.a.O.
9) Folker Hellmeyer, a.a.O.
10) Mattias Westmann: Sanktionen waren ein Eigentor: Die Bedrohung geht nicht von Russland aus, 16.7.2015, http://www.focus.de/finanzen/experten/russland-experte-warnt-sanktionen-waren-ein-eigentor-die-bedrohung-geht-nicht-von-russland-aus_id_4815110.html
11) Mattias Westmann, a.a.O.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Buchauszuges.

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Kommentare (2)

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