Die Erleuchteten

Führende Journalisten erklären die Mediennutzer für dumm.

Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

von Max Döring.

In den folgenden Sätzen von Isabell Hülsen steckt tatsächlich das (unbewusste) Eingeständnis des eigenen Versagens der Leitmedien:

„Muss man das ernst nehmen? Medien können die Welt nicht so einfach machen, wie es sich manche Zuschauer oder Leser offenbar wünschen. Die Unübersichtlichkeit und die Unordnung, die Zeitungen und Fernsehsender jeden Tag in die Wohnzimmer ihrer Nutzer tragen, überfordern offenbar nicht bloß die ‚Abgehängten‘ in dieser Gesellschaft.“

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Die Medien werden dafür kritisiert, dass sie komplexe Sachverhalte nicht umfassend erklären und diese nicht in übergeordnete Zusammenhänge einordnen. Frau Hülsen beschwert sich jedoch darüber, dass die Bemühungen der Leitmedien, über unübersichtliche und schwer verständliche Sachverhalte umfassend zu informieren, die Leser überfordern würden und sie stattdessen einfache Erklärungen verlangen. Die tatsächliche Sicht der Leser, denen das Dargebotene zu einfach, zu lückenhaft und zu interessengeleitet ist und die nicht weniger, sondern mehr Informationen verlangen, deutet sie in einen angeblichen Wunsch nach Vereinfachung um. Um es auf eine einprägsame Formel zu bringen:

Der Einäugige beschimpft den Sehenden, er sei blind.

Frau Hülsen denkt scheinbar wirklich, ihre Beschreibungen der Realität seien so umfassend, komplex und schwer verständlich, dass dies den Leser überfordere. Bereits der geäußerte Gedanke, den Leser zu überfordern, offenbart autoritäres, herrschaftliches Denken: „Du kleiner Wurm da unten, tut mir leid, dass ich dir nicht mehr Informationen zumuten kann, die würdest du nicht verkraften! Akzeptiere deine Beschränktheit und meine Überlegenheit!“ Und dies richtet sich wohlgemerkt an die „Gebildeten“ und „gut Verdienenden“. Dies sagt viel über den chauvinistischen Charakter der selbsternannten Elite aus.

Wenn dann in Gestalt dessen, was Paul Schreyer „linke Medienkritik“ nennt, das Publikum auch noch aufbegehrt und sagt: „Nein, das sind nicht zu viele Informationen, die uns überfordern. Im Gegenteil, wir haben das Gefühl, dass ihr uns für dumm verkauft. Wir wollen viel mehr wissen!“, dann gibt es ein Problem. Und gerade hinterhältig und anmaßend erscheint das Aufbegehren aus der Sicht der etablierten Medien, wenn es aus einer Ecke kommt, der mangels Bildung und Einkommen erst recht die Fähigkeit abgesprochen wird, die komplizierte Welt auch nur ansatzweise zu verstehen.

Die Situation ähnelt dann der eines Lehrers, der auf einen Schüler trifft, der mehr weiß als der Lehrer. Entweder nimmt der Lehrer dies als Herausforderung für sich selbst an und er freut sich empathisch darüber, dass er einen Schüler mit wachem, aufgeklärtem Geist unterrichten darf, von dem er selbst jede Menge lernen kann. Oder er sieht den Schüler als Gefahr für seine Autorität an und beginnt, ihn zu ignorieren oder – falls ihm dies nicht gelingt – zu bekämpfen. Wie der Lehrer reagiert, hängt maßgeblich davon ab, ob seine Lebensweise im Sein oder im Haben (Erich Fromm ist in dieser Hinsicht eine Offenbarung) verankert ist und wie er sein Fachgebiet beherrscht. Ein Mathelehrer, der schon Mühe hat, den vorgegebenen Rechenweg selbst zu verstehen, wird mit einem Schüler, der einen alternativen Rechenweg anbietet, nicht wirklich klarkommen.

Geistige Starre statt Neugier

Was also den Journalisten der Leitmedien oftmals fehlt, ist die Einsicht, selbst nicht alles zu wissen, sowie die Bereitschaft, dies auch offen einzugestehen und dabei das Eingeständnis nicht als im Konkurrenzkampf hinderliche Schwäche, sondern als menschlich wertvoll zu begreifen. Dies schließt die Bereitschaft ein, von anderen Menschen – unabhängig von ihrem Einkommen und ihrer formalen Bildung – zu lernen und sich auf unbekanntes Gebiet zu begeben. Tatsächlich herrscht geistige Starre statt Neugier. Was vom eigenen beschränkten Horizont, der aus tiefster innerer Überzeugung jedoch als umfassend und endlos angesehen wird, abweicht, muss aus dieser Perspektive als Irrlehre abgetan werden. Denn hinter dem, was man in völliger Überhöhung der eigenen Position als allumfassend ansieht, kann es schließlich nichts anderes mehr geben. Oder anders ausgedrückt: Es kann nicht sein, was nicht sein darf!

Und schon sind wir beim Diffamieren von Andersdenkenden als „Verschwörungstheoretiker“. Auch hier wieder dasselbe Muster, wie es Frau Hülsen gegenüber ihren Lesern anwendet: Man wirft dem „Verschwörungstheoretiker“ vor, er würde komplizierte Sachverhalte auf einfache Erklärungen zusammenschrumpfen und nur das akzeptieren, was in sein eigenes beschränktes Weltbild passt. Tatsächlich sind alternative Deutungen zum Kennedymord, zu 9/11 oder zum NSU alles andere als vereinfachend. Vielmehr versuchen Menschen, die sich intensiv mit diesen Ereignissen befassen, aus festgefahrenen Strukturen auszubrechen und die Ereignisse in größere, komplizierte Zusammenhänge zu stellen und sich nicht mit einfachen Erklärungen abspeisen zu lassen. Um zu den drei genannten „Verschwörungsklassikern“ nur jeweils einen Punkt anzureißen:

Allen Dulles, der alles andere als ein Demokrat war und die CIA zu einem schrankenlosen Monster formte, wurde von Kennedy entlassen, dirigierte von seinem Privathaus aus die CIA aber unbeirrt weiter, reiste wenige Wochen vor dem Attentat mit unbekannter Agenda nach Texas und wurde ausgerechnet in die Kommission berufen, die den Mord an Kennedy untersuchen sollte. Wer meint, dies genüge nicht, um vorurteilsfrei darüber nachdenken zu dürfen, wer das stärkste Motiv und die notwendigen finanziellen und organisatorischen Mittel für die Tat und deren Vertuschung hatte, sollte sich selbstkritisch hinterfragen, warum ihm weit weniger gesichertes Wissen genügt, um Putin im Fall Skripal schuldig zu sprechen.

Wer die physikalischen Zweifel beim Einsturz von WTC7 (Flugzeug, Flugzeug, Turm, Turm, Turm) ausblendet und der offiziellen Darstellung glaubt, wonach ausschließlich Feuer zum Einsturz des dritten Gebäudes geführt habe, sollte sich zumindest wundern, warum nach 9/11 nicht weltweit alle Wolkenkratzer eingehenden Sicherheitsüberprüfungen und statischen Nachbesserungen unterzogen wurden. Dem betroffenen Gebäude kann es schließlich egal sein, ob es durch ein Feuer einstürzen könnte, welches (mittelbar) durch Terror verursacht wird oder das auf einer „gewöhnlichen“ Ursache beruht. Und bei der statischen Planung eines Gebäudes kann man nicht unterstellen, dass Brandherde immer frei zugänglich sind und die Sprinkleranlage nicht ausfällt.

Und wenn die Waffe des angeblichen Selbstmörders nach dem tödlichen Schuss noch die Hülse auswirft, wird es komplett unglaubwürdig.

Diejenigen aber, die alles, was der offiziellen Darstellung widerspricht, als „Verschwörungstheorie“ abkanzeln, machen genau das, was sie den „Verschwörungstheoretikern“ fälschlich vorwerfen: Sie glauben an einfache Erklärungen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Kein Geheimdienst darf seinen eigenen Präsidenten ermorden, keine Regierung darf einen gigantischen Terroranschlag gegen seine eigene Bevölkerung verüben und ein Staat, der nur ansatzweise aus seiner eigenen belasteten Geschichte gelernt hat, darf niemals ein rechtes Terrornetzwerk betreuen und es beseitigen, wenn es aufzufliegen droht.

Umfassende Bildung und urteilsfähige Menschen

Die Frage ist: Was können wir dagegen unternehmen, dass die Einäugigen das Monopol auf die Wahrheit beanspruchen? An dieser Stelle drehen wir uns im Kreis. Wäre Frau Hülsen nicht einäugig, sondern würde sie mit beiden Augen perspektivisch sehen, wäre sie nicht dort, wo sie jetzt ist. Unsere am Haben orientierte und in der Konsumgesellschaft verankerte Lebensweise fördert Schaumschläger, die inhaltslose Phrasen dreschen, gezielt in höchste Positionen, weil sie dort den Mächtigen nicht gefährlich werden, aber im wahrsten Sinne des Wortes blendend daherkommen.

Umfassende Bildung und urteilsfähige Menschen sind eine Gefahr für die Macht. Das war schon zu Beginn der Aufklärung so, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Als jemand, der 1973 in der DDR geboren wurde und das dortige Bildungssystem durchlief, wage ich zu behaupten, dass ich am Leitbild des aufgeklärten Menschen etwas mehr schnuppern durfte als meine im Westen geborenen Altersgenossen. Allerdings maße ich mir nicht an zu behaupten, ich wäre dem Ideal auch nur ansatzweise nahe gekommen, denn dann würde ich mich selbst in der Weise über andere überhöhen, wie es Paul Schreyer seiner Kollegin Hülsen zu Recht vorwirft. Ich bin ein Neugieriger, der sich seiner eigenen Beschränktheit immer wieder bewusst ist.

Wechselseitiger Austausch

Wir müssen also, um aus dem Schlamassel herauszukommen, die Bildungsarbeit und die Aufklärung selbst in die Hand nehmen. Das heißt für jeden Einzelnen: Hört auf, euch vom Fernsehen berieseln zu lassen. Macht die Kiste aus und lest Bücher, die euch interessieren. Jedes gelesene Buch wird das Tor zu einer neuen Welt aufstoßen, sodass sich insgesamt ein umfassendes Bild ergibt. Das heißt für die Eltern: Redet mit euren Kindern. Sprecht mit ihnen darüber, was ihr wisst und bleibt neugierig, was eure Kinder bewegt. Ihr könnt von ihnen mehr lernen, als ihr glaubt, und es entsteht dabei das Schönste und Wichtigste, was es im Leben geben kann: gemeinsam empfundenes Glück.

Das heißt für die unzähligen engagierten Lehrer an der Basis: Klammert euch nicht an die Lehrpläne. In die sind die gedanklichen Leitplanken integriert, die eure Schüler zu einäugigen Fachidioten im Dienste der kapitalistischen Verwertungslogik formen sollen. Denkt über die Lehrpläne hinaus und redet mit euren Schülern im wechselseitigen Austausch über eure Gedanken und Erfahrungen. Ihr werdet staunen, welche phantastischen Potentiale jeder eurer Schüler entfaltet, wenn ihr sie nicht in vorgefertigte Formen presst. Das heißt im Verein und am Arbeitsplatz: Teilt euren Freunden und Kollegen mit, was euch bewegt, und tretet mit ihnen in einen gedanklichen Austausch, der sich nicht nur auf die Fußballergebnisse vom Wochenende und auf Helene Fischer beschränkt.

Denkt nicht, dass eure Gedanken über Krieg und Frieden, über Haben und Sein, über Staat und Herrschaft, über Schulden und Schuld, über exponentielles Wachstum und die Begrenztheit der Erde, über Nation und Heimat, über den großen Traum von Freiheit niemanden interessieren würden. Die Menschen da draußen sind interessiert, denn es entspricht ihrer Natur. Ohne Interesse und Neugier würden wir als Menschheit nicht dort stehen, wo wir jetzt sind, unabhängig davon, ob wir den derzeitigen Stand gut oder schlecht finden. Was Menschen aber nicht wollen, ist von oben herab als unwissend und dumm behandelt zu werden. Wenn ich so auftrete, dann hört mir irgendwann niemand mehr zu, egal ob ich als Vater, Ehemann, Freund, Kollege, Lehrer, Trainer oder eben auch als Journalist spreche.

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Dieser Beitrag erschien am 30.3.2018 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.

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