Der „Migrationspakt“ – ein globaler Pakt für eine sichere, geordnete, reguläre Migration

von Bernhard Trautvetter.

Mitte Dezember will die Bundesregierung dem “Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration” beitreten. Das Dokument fast aller UNO-Staaten, das dies verspricht, kann das selbst-deklarierte Ziel in unserer zunehmend von Zerstörung gezeichneten Welt nicht in greifbare Nähe bringen; es kann aber helfen, eine Politik zu fordern, die das erbringt, was es verspricht.

Die Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, entwickeln sich zunehmend zu einem Damoklesschwert und der seidene Faden, an dem er hängt, wird dünner und dünner, so wie auch das Eis, auf dem die Zivilisation steht. Die Klimaentwicklung birgt Gefahren in sich, die niemand absehen kann und zugleich ignorieren darf. Wenn der IPCC Recht hat, was sein kann, dann sind wir derzeit weltweit bei circa 1 Grad plus gegenüber der vorindustriellen Zeit mit einem Additionsfaktor von circa 0,2 Grad per Jahrzehnt.

Die Folgen sind nicht nur die Überflutungsgefahren von Küstenregionen, in denen sich zu allem Überfluss auch noch an einigen Stellen Atomkraftwerke befinden, da diese viel Kühlwasser brauchen, um stabil bleiben zu können. Die Entkoppelung von menschlicher Arbeit einerseits und von der Herstellung von Waren sowie der Bereitstellung von Dienstleistungen andererseits droht in Kombination mit der immer krasser und schneller auseinanderklaffenden Ungerechtigkeitsschere zwischen dem Club der extrem wenigen, unverschämt Reichen einerseits und den hoffnungslos verelendeten Massen andererseits die kapitalistischen Gesellschaften weltweit immer weiter zu destabilisieren. Die damit zusammenhängenden Abstiegserfahrungen und -ängste nutzen weltweit Rassisten mit Sündenbock-Theorien, mit denen sie den Blick vieler Menschen von den systembedingten Ursachen auf soziale Gruppen hin ablenken. Wir kennen das vom Mittelalter her, als die Juden für die Pest verantwortlich gemacht wurden, bis jemand die mangelnde Hygiene entdeckte und für die Kanalisation in den Städten plädierte.

Die Atomkriegsgefahr nimmt zu, wie das Bulletin der Nuklearforscher ausdrückt, das die Weltuntergangsuhr wegen des Zerfalls ganzer Weltregionen – vom Irak ausgehend – und wegen der Spannungen zwischen den Atommächten sowie wegen der meistenteils von NATO-Staaten herbeigeführten Kriege, und zusätzlich noch wegen der immer ausgefeilteren Technik militärischer Nuklearsysteme, auf zwei vor zwölf vorgestellt hat. Den gordischen Knoten dieser einzelnen und in der Kombination sich gegenseitig verstärkenden Zukunftsgefährdungen zu lösen, das ist die Aufgabe unserer Zeit. Das Zeitfenster dafür, dass wir das schaffen, wird täglich enger. Wir haben vielleicht noch Chancen, das Damoklesschwert zu entfernen, das Eis unter den Füßen der Zivilisation zu stabilisieren und einer zukunftsfähigen Gesellschaft, die nicht auf Gewalt und Konfrontation, nicht auf Konkurrenz, sondern auf Kooperation aufgebaut sein müsste, eine vielleicht letzte Chance zu geben.

Diese Chance wird nicht kapitalistisch sein können, da der Kapitalismus die notwendige Balance zwischen dem Nachwachsen von Ressourcen und Lebensmitteln einerseits und deren Verbrauch/Zerstörung und Schwächung andererseits nicht gewährleisten kann; er ist nun einmal auf dem Prinzip des maximalen Profits der Einzelkapitale im Rahmen der Konkurrenz um Marktanteile und Ressourcen, um Macht und Vorteile auf Kosten anderer ausgerichtet. Eine der Konsequenzen ist „America first“, was nichts anderes heißt, als dass alle anderen erst nachrangig kommen. Ähnlich verhält es sich auch mit „Deutschland den Deutschen“, „Buy Britisch“ usw.

Die zukunftsfähige Gesellschaft kann es nur geben, wenn sie über Bilanzzeiträume und Wahlperioden hinausdenkt, wenn sie sich als Weltinnenpolitik und nicht als Standortsicherung in der Konkurrenz gegen andere Standorte versteht. Der Überwindung internationaler Konkurrenz, die bis zum Wirtschaftskrieg geht und die Gefahr weitergehender Gewalt in sich birgt, muss eine Innenpolitik entsprechen, die die Menschen nicht mehr gegeneinander aufbringt und die die Interessen der Menschen je nach sozialem Stand unvoreingenommen wahrnimmt: Ein Milliardär, ein Kapital-Eigentümer ist an billigen Arbeitskräften und an Preisen interessiert, die einen maximalen Profit ermöglichen. Ein Lohnabhängiger ist daran interessiert, genug verdienen zu können, um seine Familie durchzubringen und auch im Alter nicht am Hungertuch zu nagen. Diese Interessen stehen gegeneinander. Dies führt z.B. dazu, dass es niemals so etwas wie eine nationale Identität über die Klassengrenzen hinweg geben kann.

Ein Bewohner der exklusiven Viertel am Taunusrand, nähe der Bankenstadt Frankfurt, hat mit seinen Privatjets habitusmäßig mehr mit seinesgleichen in der globalen Machtelite gemein, als mit den Hunderttausenden unterhalb der Armutsgrenze im eigenen Lande, denen beispielsweise der Strom abgestellt wurde, die Zwangsräumungen erleiden mussten und deren Kinder in der Bildung zurück bleiben.

In diesem Rahmen hat die Beurteilung des Migrationspaktes zu erfolgen, wenn sie mehr sein will, als Propaganda.

Der Text, den die UNO-Vollversammlung ungeachtet des Boykotts der USA im letzten Sommer beschlossen hat, weist Schwächen und Stärken auf. Er bezieht sich in der Präambel unter anderem auf die UNO-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie auf die Rahmenübereinkommen der UNO über Klimaänderungen; das Übereinkommen der UNO zur Bekämpfung der Wüstenbildung in den von Dürre und/oder Wüstenbildung schwer betroffenen Ländern, dem Übereinkommen von Paris und den Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation über die Förderung menschenwürdiger Arbeit und Arbeitsmigration sowie auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. (1)

Der Bezug auf die Menschenrechte ist eine Selbstverständlichkeit, da diese unverhandelbar sind. Wer sie in Frage stellt, reißt damit der Perspektive auf eine zukunftsfähige Gesellschaft den Boden unter den Füßen hinweg.

Punkt 7 der Präambel besagt: „Dieser Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar, der auf den Verpflichtungen aufbaut, auf die sich die Mitgliedstaaten in der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten geeinigt haben. In der Erkenntnis, dass die Migrationsproblematik von keinem Staat allein bewältigt werden kann, fördert er die internationale Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteuren im Bereich der Migration und wahrt die Souveränität der Staaten und ihre völkerrechtlichen Pflichten.“

Punkt 4 besagt: „Flüchtlinge und Migranten haben Anspruch auf dieselben allgemeinen Menschenrechte und Grundfreiheiten, die stets geachtet, geschützt und gewährleistet werden müssen. Dennoch handelt es sich bei ihnen um verschiedene Gruppen, die separaten Rechtsrahmen unterliegen. Lediglich Flüchtlinge haben ein Anrecht auf den spezifischen internationalen Schutz, den das internationale Flüchtlingsrecht vorsieht. Der vorliegende Globale Pakt bezieht sich auf Migranten und stellt einen Kooperationsrahmen zur Migration in allen ihren Dimensionen dar.“

Der Migrationspakt ist also kein Pakt, sondern eine Vereinbarung, die keinen Beteiligten auf mehr als das festlegt, was im Völkerrecht bereits zwingend vorgegeben ist. „In dem Vertrag geht es um ‚geteilte Verantwortung‘ sowie ‚gegenseitiges Vertrauen, Entschlossenheit und Solidarität‘.“ (2)

Der Text ist nicht, wie Kritiker einwenden, ein neoliberales Werk, das der weiteren De-Regulierung der Weltökonomie Tür und Tor öffnet: Staaten, die den Text unterschreiben, verpflichten sich „Arbeitsmigranten, die einer bezahlten und vertragsgemäßen Arbeit nachgehen, dieselben Arbeitsrechte und denselben Arbeitsschutz, (zu) gewährleisten, die allen Arbeitskräften im jeweiligen Sektor gewährt werden“ (3)

Migration wird weiter zunehmen, solange die rücksichtslose Subventionspolitik der EU für Produkte, die den afrikanischen Markt überschwemmen und ganze Branchen verelenden lassen, und durch das rücksichtlose Vorgehen von EU-Branchen wie dem industriellen Fischfang und dem Erz-Abbau sowie dem Lebensmittelhandel weiter zunehmen. Ein konsequent auf den Menschenrechten aufbauender Pakt der Völkergemeinschaft würde an den Migrationsursachen ansetzen und diese kapitalistische Rücksichtslosigkeit angehen müssen. Gleiches gilt für die Fluchtursache Krieg, die dadurch so viele Menschen entwurzelt, dass der Westen Kriege und Waffen exportiert, nicht zuletzt um Arbeitsplätze zu sichern. Dieser Zusammenhang ist beispielsweise auch mit dafür verantwortlich, dass die USA Saudi Arabien nicht mit einem Waffenembargo versehen. (4)

Ein weiterer Faktor, der gegen die Bekämpfung von Fluchtursachen gerichtet sein muss, ist nach Analyse der meisten Meteorologen der westliche Lebenswandel, der auch ‚American Way of Life‘ genannt wird, der für einen sprunghaften Anstieg von Verbrennungsabgasen seit dem Sieg des Kapitalismus vor circa 250 Jahren verantwortlich ist. (5)

Wenn in der Folge Gebiete am Rande von Wüsten wie der Sahara der Desertifikation zum Opfer fallen, da es über Jahre hinweg keinen Regen gibt, dann entstehen durch verkehrs-, produktions- und konsumbedingten Folgen des Ressourcenkonsums Fluchtgründe, gegen die man mit einer konsequenten Bekämpfung derselben vorgehen muss.

Dies ist auch deshalb vonnöten, da sich zu allererst die mobilen und leistungsfähigeren Bewohner der betroffenen Gebiete auf die Flucht begeben. Dies untergräbt die Chancen ihrer Herkunftsgebiete, wieder gesunden zu können.

Wer in Kenntnis der globalen Bedrohungen des Lebensraums Erde ihre nördlicheren Siedlungsgebiete gegen Flüchtlinge „schützen“ will, aber nichts gegen die wirklichen Fluchtursachen unternimmt, ist im Angesicht dieser Zusammenhänge mit einem Heuchler vergleichbar, der Menschen einen kurzfristigen Vorteil verspricht, wohl wissend, dass die langfristigen Folgen für diese Menschen von größerer Wucht sein werden. Schlimmer noch: Die globalen Zukunftsgefährdungen gefährden auch die kurzfristigen Profiteure, deren Aktienkurs Jubelsprünge an der Börse mit sich bringen können, während unter unser aller Füßen das Eis schmilzt, auf dem wir uns auf den Weg in die Zukunft zu begeben hoffen.

Quellen:

(1) http://www.un.org/depts/german/migration/A.CONF.231.3.pdf

(2) https://de.sputniknews.com/politik/20180714321556863-uno-migrationspakt-usa/

(3) http://www.un.org/depts/german/migration/A.CONF.231.3.pdf, S.13

(4) http://www.spiegel.de/politik/ausland/jamal-khashoggi-donald-trump-beschuetzt-saudi-arabien-a-1234309.html UND:

https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-waffen-oel-und-friedensplaene-1.4174751

(5) https://www.agrar.hu-berlin.de/de/institut/departments/dntw/agrarmet/research/fp/malibericht.pdf , s. z.B.: S.59

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