Corona-Warn-App: #IchAppMit – Neues von der Nudging Front – Tagesdosis 18.6.2020 (Podcast)

Ein Kommentar von Bernhard Loyen.

Millionen von Menschen, die sich nicht untypisch für hiesige Zeiten regelmäßig auf Social-Media-Portalen bewegen, werden bewusst und manipulierend auf Trends hingewiesen. Twitter grenzt bei Überforderung des schier endlosen Irrsinns praktisch über Algorithmen auf – Trends für Dich – ein. Daraus resultierend erfolgt der direkte Weg zu den Inhalten der vermeintlich angesagten Hashtags.

Wie entsteht ein Hashtag-Trend? U.a. durch entsprechende Werbeprofis, Agenturen mit wirksamen Tricks aus dem Marketing und der Psychologie. Sie bedienen entsprechende Kampagnen und liefern den dringend benötigten Slogan.

Unter Nudging versteht man ein Konglomerat an verschiedenen Techniken, ebenfalls aus der Psychologie und der Verhaltensökonomie, die Personen dazu bewegen, ein gewünschtes Verhalten mit höherer Wahrscheinlichkeit zu zeigen (1). In dieser Kombination finden sich dann Begrifflichkeiten, z.B. Hashtags, die wesentlichen Einfluss auf das Verhalten von Millionen Menschen bewirken sollen. Wie man die letzten Wochen beobachten konnte, mit Erfolg.

In Zeiten der Corona-Krise waren dies bis dato der Hashtag WirBleibenZuhause, gesponsert und gepusht durch das Bundesministerium für Gesundheit, unter freundlicher Mithilfe sogenannter Prominenter. Dieser zog schnell begeisterte Kreise und wechselte variabel in #StayAtHome, gipfelnd in der #stayhomechallenge. Dann gab es noch #flattenthecurve, die gemeinsame Vermeidung einer vermeintlich drohenden landesweiten Infektion eines Großteils der Bevölkerung mit dem Corona-Virus. Die tägliche Erinnerung an die Corona-Maßnahmen gipfelt im #Alltagsmaske.

Am Dienstag dieser Woche wurde die Corona-Warn-App landesweit zum freien Download beworben. Federführend durch den Auftraggeber, die Bundesregierung. Am 2. Juni 2020 versicherte der Regierungssprecher Steffen Seibert per Twitter nochmals, die finalen Ergebnisse beruhen auf rein freiwillige Nutzung der anvisierten unterstützenden Nutzer (2). Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt für Digitalisierung Dorothee Bär, CSU jubilierte daraufhin am gestrigen Mittwoch, Zitat: Wohoo! Jens Spahn berichtet gerade im Kabinett, dass wir von unserer Corona Warn App schon über 6 Millionen Downloads haben. Danke Euch für Eure Unterstützung! BMG_Bund (3)

Gemeint ist damit das Bundesministerium für Gesundheit. Herr Spahn ließ gestern wissen, Zitat: “Dieser starke Start sollte noch mehr Bürger motivieren mitzumachen. Denn Corona eindämmen, das ist ein Teamspiel,“ (4). Dieser Aufruf bräuchte jetzt nur noch einen entsprechenden Hashtag und sieh da, bei dem Mit-Entwickler-Unternehmen Telekom fand sich ebenfalls gestern folgender Tweet, Zitat: In nur 50 Tagen haben wir gemeinsam mit SAP die Corona-Warn-App für Deutschland entwickelt. Die App entspricht den wichtigsten Wünschen der Deutschen: Sicher, transparent & freiwillig…#IchAppMit. (5)

Wer darf denn rein ins IchAppMit-Team, bzw. wer erhält überhaupt Zugang zur Corona-Warn-App? Da fängt das Problem schon an, welches sich für restdenkende Bürger als nützlicher Planfehler darstellt. Die App funktioniert nicht auf Modellen, die 2015 oder früher produziert wurden. Es zeigt sich, regierungsnahe Planungsgruppen konnten sich nicht vorstellen, dass es Menschen in diesem Land gibt, die a) nicht jährlich sich das neueste Modell zulegen, bzw. überhaupt erwerben können und b) sogar die älteren Modelle bewußt über Jahre behalten und nutzen. Simulationsstudien gehen davon aus, dass etwa 60 Prozent der Bevölkerung die App installieren und aktiv nutzen müssen, damit die Corona-Warn-App wirksam, also sinnbringend ist. Die Anzahl der Smartphone-Nutzer in Deutschland beläuft sich im Jahr 2019 auf rund 58 Millionen Bürger. Nicht überraschend, in der Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen sind Smartphones mit einem Nutzeranteil von über 95 Prozent führend.

Rund 20 Millionen Euro hat die Entwicklung der Corona-Warn-App des Robert Koch-Instituts gekostet. Nun finden sich immer mehr Informationen zu den Folgekosten eines Aktionismus, der symptomatisch ist für den Verlauf der bundesdeutschen Corona-Krise. Wenig Plan, viele Mutmaßungen, nicht nachvollziehbare politische Entscheidungen, stetig wechselnde Informationspolitik. Dazu Chaos, aufgrund uneiniger Landespolitik, ausgehend einer wiederum rigiden Regierungspolitik. Dies alles erzeugt Effekte und Wirkungen bei immer mehr Menschen in diesem Land – Verunsicherung und Wut. Variabel Verzweiflung und Resignation.

Zum Thema Corona-Warn-App präsentierte die Tagesschau am 17.06 ihren Millionen Zuschauern vollkommen ungeniert folgenden Kommentar (6), Zitat:

Diese App ist keine Impfung, diese App ist kein Medikament, diese App ist ein Versuch. Ob sie am Ende etwas bringt? Wir wissen es nicht. Und trotzdem freue ich mich, dass sie endlich da ist. Zeigt sie doch, wie man Digitalprojekte in Deutschland organisieren kann, wenn man will: transparent und offen.

So transparent und offen, dass den meisten Steuerzahlern nicht bekannt ist, dass neben den 20 Millionen Euro für die Entwicklung noch weitere Kosten auf sie zukommen. Der Bund hat in diesem und im kommenden Jahr erstmal rund 45 Millionen Euro veranschlagt. Das geht aus Antworten des Finanzministeriums auf Fragen des Linke-Haushaltsexperten Victor Perli hervor. Es entfallen auf die Telekom-Tochter T-Systems 43 Millionen Euro, auf den Softwarekonzern SAP knapp zwei Millionen Euro. Zudem, sehr wichtig, werden für die Werbung eines Produkts, wo am Ende noch nicht schlussendlich wirklich klar ist, ob es überhaupt sinnbringend ist, vorerst 3,5 Millionen Euro anvisiert (7).

Es wird viel geschwärmt und geflunkert, um abzulenken. Matthias Koch vom Redaktionsnetzwerk Deutschland umschreibt das Ereignis der Woche mit beeindruckenden Zeilen. Man könnte es auch verzerrte Wahrnehmung benennen, Zitat: Die sympathische Philosophie der Corona-App. Deutschland hat nicht nur eine eigene Technik entwickelt, sondern auch eine eigene Anti-Virus-Philosophie: liberal, aber effizient. Die deutsche Politik geht tastend vor und kooperativ, sie erhebt sich nicht über die Menschen wie in China und macht ihnen auch nichts vor wie in den USA. Das hilft nicht nur bei der Virenabwehr, sondern stärkt auch die Demokratie (8). Ist dem so? Dazu später mehr.

SAP und Telekom haben die Corona-Warn-App im Auftrag des Robert-Koch-Instituts gemeinsam entwickelt. Telekom-Chef Timotheus Höttges bezeichnet die Corona-Warn-App als “Rockstar” unter den Digital-Projekten in Deutschland. “Alles ist Made in Germany. Und alle Daten liegen hier in Deutschland.“ (9). Das die entscheidenden Module nur und zwar nur durch Apple und Google funktionieren, muss ja nicht unbedingt erläutert werden. Google und Apple stellen wichtige technische Schnittstellen auf dem Smartphone bereit, damit die App überhaupt funktionieren kann.

Der SAP-Vorstand Jürgen Müller versicherte bei der Pressekonferenz, Zitat: “Jede Pizza-Bestellung veröffentlicht mehr Daten von mir.“ (9)

Technische Tücken

Nun wurde bekannt, dass Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt (TU), der Universität Marburg und der Universität Würzburg sehr wohl Schwachstellen im Sicherheitssystem der Corona-Tracing-Apps gefunden hatten. Zitat: Demnach könne ein Angreifer detaillierte Bewegungsprofile von Infizierten erstellen und unter Umständen die Betroffenen identifizieren. Zum anderen könnten die Kontaktinformationen manipuliert werden, was die Genauigkeit und Zuverlässigkeit des Kontaktnachverfolgungssystems beeinträchtigen könne. (10). Auf der verlinkten Seite der Universität Marburg können Interessierte, Unschlüssige und Skeptiker der Corona-Warn-App sich in weitere Informationen einlesen (11).

Zitat aus der Studie (12):

Wir zeigen, dass das aktuelle GAP-Design (Google-Apple-Protokoll) in realen Szenarien anfällig ist für die Erstellung von Profilen und möglicherweise die Deanonymisierung von infizierten Personen und relaisbasierte Wurmlochangriffe, die in erster Linie falsche Kontakte erzeugen können, die die Genauigkeit eines app-basierten Kontaktverfolgungssystems erheblich beeinträchtigen können.

Parallelwirkungen der Corona-Warn-App

Bundesverbraucherschutzministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte auf der gemeinsamen Pressekonferenz aller beteiligten Akteure, die Freiwilligkeit der Corona-Warn-App. Zu einem Zwang, die App zu nutzen, werde es nicht kommen (9).

Zur Erinnerung am 14.03.2020 bezeichnete die Bundesregierung Gerüchte über kommende Einschränkungen des Alltagslebens, eines drohendem Lockdowns als pure Fake-News (13). Wochen später sollten Millionen Bürger eigentlich etwas skeptischer geworden sein.

Axel Voss von der CDU, ein Europa-Abgeordneter gab symptomatisch in einem Interview am 08.05. Einblick in die  Gedankenwelten der Politik. Einer muss immer vorpreschen, Zitat: Wer eine solche App hat, sollte auch zuerst wieder ins Restaurant, ins Kino, ins Theater und ins Freibad dürfen (14).

Es kam in der Zwischenzeit zu Lockerungen, Reisemöglichkeiten und der finalen Corona-Warn-App. Kommen daher Forderungen der Download-Notwendigkeit nur aus der Politik? Die Haufe-Gruppe, eine Unternehmensgruppe informierte auf ihrer Seite – Was Arbeitgeber zum Einsatz der Corona-Warn-App wissen müssen (15). Zitat: Um eine breite Nutzung und Akzeptanz der App zu erreichen, spielen Unternehmen eine besondere Rolle. Im Sinne der Fürsorgepflicht und des betrieblichen Arbeitsschutzes sollten Arbeitgeber ihre Mitarbeiter dazu animieren und sie gleichzeitig dabei unterstützen, die Corona-Warn-App auf ihren (Dienst-)Smartphones einzusetzen – allerdings nur auf freiwilliger Basis.

Nun wird es dahingehend interessanter, welche Druckmöglichkeiten sich durch diese App, z.B. auf dem Arbeitsmarkt oder anderen gesellschaftlichen Ebenen ergeben, wenn nicht noch dynamisieren.

Das Handelsblatt fragte am 17.06, Zitat: Die Nutzung der Corona-App sei freiwillig, beteuert die Politik. Was aber, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter verpflichten will, die App zu installieren? (16). Dazu äußert sich ein Fachanwalt für Arbeitsrecht dahingehend, sollte der Arbeitgeber anordnen, dass der Mitarbeiter die Corona-App sich auf dem Diensthandy zu installieren und das Gerät während der Arbeitszeit bei sich zu führen hat, dies grundsätzlich eine verbindliche Arbeitsanweisung darstellt. Der Arbeitgeber kann darüber bestimmen, wie die von ihm angeschafften Betriebsmittel durch die Mitarbeiter genutzt werden. Interpretations-Freiräume oder eben auch Druckmittel der neuen Art.

Werden sich Vorteils – oder Bonusmomente für willige App-User ergeben? Konzertveranstalter Peter Schwenkow, warf schon mal Vorschläge ins Feld, Zitat: “Es wäre für die Veranstalter kein Problem, die Geschäftsbedingungen dahingehend anzupassen, das nur noch Besucher zugelassen werden, die die neue Corona-Warn-App auf ihrem Handy installiert haben.“ (17) .

Es obliegt der individuellen Phantasie, welche Maßnahmen in den nächsten Wochen ergriffen werden könnten, sollte sich der so wichtige Erfolg dieser Mission nicht ein, bzw. darstellen. Sanktionen, Verbote, Zutrittsverweigerungen, Ausschlussverfahren.

Die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst Ute Eichert teilte Sorgen einer weiteren Ebene mit. Vermeintliche Sicherheit ist das Eine, Verständlichkeit in der Nutzung das Andere. Eine Flut von telefonischen Anfragen überrolle die Mitarbeiter. Zitat: „Die Leute kommen mit der App nicht klar und sie kommen auch nicht klar mit der Telefonnummer, die da angegeben ist“…Weil die Hotline-Nummer der App so kompliziert sei, würden viele Ratsuchende stattdessen die Corona-Hotline der Gesundheitsämter lahm legen.

Mit der Dynamik, den Erfahrungen der letzten Wochen, sollten App-Nutzer, wie auch App-Verweigerer sich jeweilig nicht überrascht zeigen, hinsichtlich neuer Herausforderungen und Hindernissen für dieses Land und seine Menschen.

Die Erkenntnis könnte lauten – #MalWiederVeräppelt

Quellen:

  1. https://de.in-mind.org/blog/post/nudging-psychotricks-defaults-was-ist-das-und-tut-das-weh?gclid=CjwKCAjw_qb3BRAVEiwAvwq6VgnMlLjqBrVXMM0qyvADijcOPcLmEL9DnNyTa3EgGbYg7kYE64ot6BoCTTMQAvD_BwE
  2. https://twitter.com/RegSprecher/status/1267733741486641153
  3. https://twitter.com/DoroBaer/status/1273171670317125633
  4. https://twitter.com/BMG_Bund/status/1273215389980340224
  5. https://twitter.com/deutschetelekom/status/1272809179925958661
  6. http://www.tagesschau.de/kommentar/corona-warn-app-105.html
  7. https://www.heise.de/news/Weitere-Kosten-fuer-Betrieb-der-Corona-App-4786059.html
  8. https://www.rnd.de/politik/die-sympathische-philosophie-der-corona-app-WBMPTTOTEFAW3FKZZHGVSVRSFQ.html
  9. https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/br24live-spahn-stellt-corona-warn-app-vor,S23jjbA
  10. https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/forscher-entdecken-sicherheitsluecke-bei-corona-apps-16812694.html?fbclid=IwAR1_f3cclfocAOmANPJfvG1yNbSlNJk0MbLUei8KMv4d6RawcMoRqYAOXJE
  11. https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2020/corona-warn-apps-haben-defizite-bei-sicherheit-und-datenschutz
  12. https://arxiv.org/pdf/2006.05914.pdf
  13. https://twitter.com/bmg_bund/status/1238780849652465664?lang=de
  14. https://www.faz.net/aktuell/politik/wer-die-corona-app-hat-soll-zuerst-wieder-ins-restaurant-duerfen-16759932.html?GEPC=s3
  15. https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/corona-warn-app-was-arbeitgeber-zum-einsatz-wissen-muessen_76_518650.html
  16. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/arbeitsrechtsexperte-im-interview-darf-der-chef-die-corona-app-anordnen/25923060.html
  17. https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/coronavirus-und-veranstaltungen-konzert-organisator-tritt-fuer-app-pflicht-ein-71326420.bild.html

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Bildquelle:    Pavel Metluk/ Shutterstock

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