Corona: Friedlicher Protest muss Gehör finden können – Tagesdosis 30.5.2020

Der Leipziger Anwalt Ralf Ludwig geht den juristischen Weg und fordert die Gerichte auf, die teilweise Aufhebung des Versammlungsrechtes wieder rückgängig zu machen.

Ein Kommentar von Christiane Borowy.

Ich sage es gleich vorneweg: Ich habe im Grunde keine Lust, ständig über Corona zu schreiben. Das Problem ist jedoch, dass das mit jedem Tag notwendiger wird, an dem rechtlich eingeschriebene Ansprüche der Bürger zumindest teilweise zunichte gemacht werden und gleichzeitig der Protest dagegen so stark einschränkt wird.

Wer zur Zeit eine Veranstaltung organisieren will, hat grundsätzlich das Problem, dass die Teilnehmerzahl stark eingeschränkt wird und es darüber hinaus weitere strenge Auflagen gibt. Diese werden mit dem Schutz der Bevölkerung vor der Pandemie legitimiert. Allerdings wird damit auch das Recht auf Versammlung stark ausgehöhlt. Wenn nämlich auf einer Demonstration nur die Teilnahme einer ganz geringen Anzahl von Menschen erlaubt ist, dann kann der übliche Ausdruck für Kritik an der Regierung – eine Massendemonstration – gar nicht erst stattfinden. Dies wurde auch den Demonstrationen in Stuttgart zum Verhängnis, die durch immer neue Auflagen immer stärker in ihrer Teilnehmerzahl beschränkt wurden.

Allen Widrigkeiten zum Trotz finden aber dennoch in vielen Städten Deutschlands Proteste gegen die Corona-Maßnahmen statt. Heute am 30.05.2020 findet in der Bundeshauptstadt neben den Demonstrationen und Meditationen gegen die mit der Corona-Pandemie gerechtfertigten Einschränkungen des Grundgesetzes auch eine Versammlung zum Protest gegen die US-Airbase Ramstein statt – dies ist eine Relais-Station für Drohnenkriege des US Militärs.

Die Forderung von Anwalt Ralf Ludwig, die teilweise Aufhebung des Versammlungsrechtes wieder rückgängig zu machen, ist für Demonstranten und Veranstalter von Massendemonstrationen absolut relevant. Ludwig vertritt die Veranstalter der genannten Demonstrationen in Berlin und Stuttgart und fordert die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte auf, das teilweise Verbot des Versammlungsrechts durch pauschale Begrenzung der Teilnehmerzahl aufzuheben und damit „Jahrzehnte alte Grundlagen des effektiven Rechtsschutzes und die besondere Bedeutung des Versammlungsrechts in der Corona-Krise wiederherzustellen“, wie es in seiner Pressemitteilung vor wenigen Tagen heißt.

Der Rechtsanwalt unterstützt die Initiative „Kündigt Ramstein Airbase“ in Berlin und die Initiative „Querdenken 711“ in Stuttgart. Beide Initiativen möchten in Rahmen von Großdemonstrationen auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die erheblichen Beschränkungen der Grundrechte im Rahmen der Corona-Verordnungen der Bundesländer gelegt. Die Berliner Initiative „Kündigt Ramstein Airbase“ in Berlin hat beschlossen, trotz der Beschränkungen ihre Veranstaltung am 30.05.2020 durchzuziehen. Wir werden sehen, ob für die Politik trotz der Beschränkungen sichtbar werden kann, dass es eine große Anzahl von Menschen gibt, die mit den Entscheidungen der Regierung nicht einverstanden sind.

Denn es geht um Rechte des Bürgers, der einen Anspruch auf „möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle“ hat. Ludwig setzt seinen juristischen Angriff gegen die aktuelle Corona-Rechtsprechung an zwei Punkten an.

Erster juristischer Angriffspunkt: Durch die bisherigen Gerichtsentscheide wurde der effektive Rechtsschutz im Rahmen der Corona-Verordnungen eingestellt. Die Einschränkung der Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen ist zwar prinzipiell juristisch machbar, doch muss eine unmittelbare Gefährdung von Personen vorliegen und es muss gesichert sein, dass sich diese angenommene Gefährdung auch tatsächlich realisiert. In ihrer Argumentation für die Beschränkungen beziehen sich die Gerichte auf das Robert-Koch-Institut und gehen von einer Gefährdungslage durch eine Ansteckungsgefahr mit dem Sars-CoV-2-Virus aus, die diese Maßnahmen rechtfertigt. In der Pressemitteilung von Ludwig heißt es dazu aber:

„Das Robert-Koch-Institut halte sich nicht an seine eigenen Parameter zur Risikobewertung und verbreite weiterhin die Ansicht, dass trotz erheblich gesunkener und weiterhin sinkender Fallzahlen, einer geringen Belastung der medizinischen Kapazitäten und weitgehend milder Krankheitsverläufe, eine hohe Gefahr für die Allgemeinbevölkerung bestehe. Dieser Auffassung des Robert-Koch-Instituts tritt bereits seit Ende April das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle (ECDC) entgegen. Laut Auskunft des ECDC bestehe für die Allgemeinbevölkerung in Gebieten mit niedriger Verbreitung (weniger als 100 Fälle je 100.000 Einwohner) nur noch eine geringe Gefährdungslage für die Allgemeinbevölkerung und eine moderate Gefährdungslage für Risikogruppen.“

Sowohl die Verwaltungs- als auch die Verfassungsgerichte würden diese Tatsachen aber nicht zur Kenntnis nehmen, kritisiert Ludwig. Damit stehe man vor der äußerst problematischen Situation, dass das Versammlungsrecht „in seinem Kern“ nicht mehr vorhanden sei.

In einem Wort: Es ist überhaupt nicht klar, was sich verändern müsste, damit sich die Einschätzung der Gefährdungslage von hoch auf mittel oder niedrig verändert und das Versammlungsrecht wieder ohne Einschränkung in Kraft tritt. Dreimal niedrig in Bezug auf die Parameter Fallzahlen, Schwere der Erkrankung und Medizinische Kapazitäten ergibt beim Robert-Koch-Institut die Einschätzung hoch? Das ist zum einen nicht nachvollziehbar und außerdem problematisch, wenn es zur Einschränkung substantieller Grundrechte führt, und das bringt uns gleich zum nächsten Aspekt.

Der zweite juristische Angriffspunkt von Ludwig ist der, dass durch die Beschränkung der Teilnehmerzahlen ein neuartiger und schwerwiegender Eingriff in den Kernbereich des Versammlungsrechtes vorgenommen wird. Dies könnte zur Folge haben, dass das so genannte Widerstandsrecht in Kraft tritt, wenn es nicht möglich ist, dass die Gerichte dafür sorgen, dass ein substantielles Grundrecht wie das des Versammlungsrechtes gewahrt bleibt.

Was ist im Widerstandsrecht geregelt? Wenn alle rechtsstaatlichen Mittel der Kontrolle staatlichen Handelns nicht mehr greifen, wäre es dem Bürger erlaubt, zu Mitteln des Rechtsbruchs und der Gewaltsamkeit zu greifen, beispielsweise indem man sich gegen Polizisten wehrt, die Demonstranten abführen wollen. Genauere Informationen zum Widerstands-Artikel gibt es auch auf der Seite des Bundestages. Ein Eintreten des Widerstandsrechts wäre allerdings der absolute Ausnahme- und Notfall und es wäre gut, die Gerichte ließen es erst gar nicht dazu kommen.

In einem persönlichen Gespräch habe ich Ralf Ludwig gefragt, ob ein Inkrafttreten des Widerstandsrechts automatisch Bürgerkrieg bedeuten würde. Diese Frage beantwortet Ludwig mit einem deutlichen Nein. Das Widerstandsrecht sei ein „konservierendes Recht“, bei dem es darum geht, dass die Bürger die verfassungsgemäße Ordnung wiederherstellen. Ludwig betont, es sei kein Bürgerkrieg zum Sturz eines unliebsamen Systems.

Diese Differenzierung ist für alle die interessant, denen es wichtig ist, sich bei aller Kritik auf rechtsstaatlichem Boden zu bewegen. Es ist absolut relevant für die derzeitigen friedlichen Demonstrationen. Es ist aber eher nicht interessant für diejenigen die Gewalt wollen. Diese kritisieren dann gerade die Initiativen, die sich für den Rechtsstaat und für die Demokratie einsetzen als demokratiefeindlich.

Wenn die Gerichte aber keinen Weg zeigen, in die verfassungsgemäße Grundordnung zurückzukommen, dann laufen sie selber Gefahr, eine Anwendung des Widerstandsrechts zu provozieren. Ludwig will mit dem Verfahren sensibilisieren und die Debatte anregen, bevor es so weit kommt. Denn es ist nicht vorgegeben, was passiert, wenn das Widerstandsrecht Anwendung findet. Wenn im Rahmen der geltenden Ordnung kein grundrechtskonformes Ergebnis erzielt werden kann, sollten sich Juristen also Gedanken machen und sich im Sinne eines die Rechtsstaatlichkeit bewahrenden Diskurses äußern, so Ludwig im Gespräch: „Ich hoffe, dass ich anderen Juristen eine Sprache gebe, auch etwas dazu zu sagen“.

Was macht man, wenn man gegen die, die das Demonstrieren verbieten, nicht demonstrieren kann? Die Kraft und Intensität der Kritik kann nicht mehr nach Außen gebracht werden, was ist dann zu tun? Will man das Verfassungsgericht absetzen, oder gibt es nicht doch andere Möglichkeiten? Dies sind Fragen, mit denen viele Juristen sich auseinandersetzen könnten – und das ist, was Ludwig im Grunde anregt: Eine juristische und politisch-gesellschaftlich geführte echte Debatte um den Erhalt von Freiheit und Grundrechten.

Dass diese Debatte Erfolg bringen kann, zumindest teilweise, zeigt die Tatsache, dass der Verfassungsgerichtshof Berlin laut Gerichts- und Senats-Pressemitteilung (4), (5) vom 28.05.2020 dem Eilantrag zur vorläufigen Außerkraftsetzung verschiedener Regelungen der bis zum 5.Juni 2020 geltenden Berliner Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von Sars-CoV-2 in Teilen stattgegeben hat. Das bedeutet konkret, dass unter Einhaltung der Hygiene-Regeln beliebige Versammlungen wieder möglich sind. Dem Gesamtantrag wurde nicht stattgegeben, das bedeutet also, dass die Debatte weitergehen sollte.

Es bedeutet außerdem konkret für die heutige (30.05.2020) Veranstaltung „Kündigt Airbase Ramstein“, dass beliebig viele Teilnehmer kommen dürfen, wenn sie sich an die Hygiene-Regeln halten.

Quellen:

  1. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/47878421_kw50_grundgesetz_20-214054
  2. https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Einstweiliger-Rechtsschutz/einstweiliger-rechtschutz_node.html
  3. https://www.kuendigtramsteinairbase.de/index-mobil.php?S=News_Detail&lang=DE&D=rVDoaS3JyF9hZDLt
  4. https://www.berlin.de/gerichte/sonstige-gerichte/verfassungsgerichtshof/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.937789.php
  5. https://youtu.be/E1vc0b8s0YY

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildquelle:    Karsten Jung/ shutterstock

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