Bullshit ist schlimmer als Lüge

Von Pieter Stuurman (Übersetzt aus dem Niederländischen von Margreet Booij,
gekürzt und für das deutsche Lesepublikum „angepasst“ von Ullrich Mies).

1986 schrieb Harry G. Frankfurt, Professor für Philosophie an der Princeton University, einen Aufsatz über den Begriff „bullshit“. Dieser wurde in akademischen Kreisen ein Riesenerfolg und im Jahr 2005 als handliches Büchlein veröffentlicht, das satte 27 Wochen in der Bestsellerliste der New York Times stand. Um feststellen zu können, was bullshit wirklich ist, untersucht Frankfurt, wie sich bullshit von Lügen unterscheidet. Obwohl er sagt, dass sowohl mit Lügen als auch mit bullshit Zuhörer oder Leser absichtlich in die Irre geführt werden sollen, hat der bullshitter andere Motive und benutzt andere Methoden als der Lügner.

Der wesentliche Unterschied zwischen Lügner und bullshitter ist, dass ein Lügner lügt, um eine Wahrheit zu vertuschen, indem er absichtlich falsche Informationen verbreitet. Der Lügner kennt also die Wahrheit. Bullshit hingegen hat keinerlei Verbindung zur Wahrheit. Der bullshitter lässt sich durch Wahrheit auch nicht beschränken. Ein bullshitter hat das Ziel, sich selbst besser oder andere schlecht dastehen zu lassen oder gar zu diskreditieren. Im Gegensatz zur Lüge geht es beim bullshit nicht um Inhalte, sondern um deren Wirkung. Bullshit saugt sich der Verbreiter völlig aus den sprichwörtlichen Fingern und setzt ihn ein, wie es ihm am Besten passt.

Eine Lüge kann durch die Wahrheit widerlegt werden. Da die Behauptungen des bullshitters jedoch keine einzige Verbindung zur Wahrheit haben, ist das Widerlegen von bullshit weit schwieriger. Laut Frankfurt ist bullshit deswegen ein größerer Feind der Wahrheit ist als die Lüge.

Nach Frankfurt kann man bullshit auch am Verhalten und nicht nur an Behauptungen und Äußerungen erkennen. Bullshit drückt sich zum Beispiel in gewissen Ritualen, Handlungen und Gewohnheiten aus, die in keinerlei Hinsicht zu den behaupteten Absichten beitragen. Als Beispiel nennt er die Armee: Das endlose Aufpolieren von Sachen, die schon längst glänzen, oder das endlose „Gewehr bei Fuß stehen“. Sie tragen zum Ziel der Armee und der Verteidigung eines Landes nichts bei. Es ist bullshit-Benehmen auf der Grundlage von bullshit-Befehlen.

Als Frankfurt seinen Aufsatz schrieb, konnte er nicht ahnen können, dass wir in eine Situation geraten würden, in der wir uns jetzt befinden. Aktuell ist bullshit beinahe zur Normalität geworden — in Medien, Politik und herrschaftsaffinen NGOs. Eine der aktuell am weitesten verbreiteten Manifestationen von bullshit ist der Begriff „Verschwörungstheoretiker“. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wird er benutzt – ohne auch nur den Inhalt des Begriffes zu berücksichtigen – als Verallgemeinerung und abfälliger Begriff für jeden, dessen Auffassung vom Regierungsnarrativ, egal wie weit auch immer, abweicht.

Behauptungen, Verschwörungstheoretiker seien aggressiv und sprunghaft, sie hätten ein ausgeprägtes Ego, Gefühle von Missachtung, verbissenen Stolz, sind die Hirngespinste von Amateurpsychologen. Sie zeugen weder von relevanten Kenntnissen der wahren Absichten und Charakterzüge der Denunzierten, noch von deren psychischer Verfassung. Wer mit solchen Zuschreibungen um sich wirft, hat noch nicht einmal die Absicht, die wahren Intentionen der Menschen zu kennen, die er „Verschwörungstheoretiker“ nennt.

Er versucht, eine ganze Gruppe von Menschen zu diskreditieren, und bedient sich erfundener Unterstellungen. Die Denunzianten und Ehrabschneider greifen sich aus großen Gruppen, beispielsweise der Querdenkerbewegung, die aus hunderttausenen Menschen besteht, das Fehlverhalten einiger “Durchgeknallter” heraus, um dann die gesamte Bewegung zur Geisel des selbst fabrizierten „Schwachsinns“ zu nehmen, zu Antisemiten, zu Friedensfeinden, was auch immer, zu erklären. Insgesamt unterstellen sie der Bewegung unlautere Motive. Die Wahrheit steht nicht zur Debatte. Darum ist es bullshit.

Es ist bemerkenswert, dass Regierungen, „Qualitätszeitungen” und angeschlossene NGOs überhaupt kein Problem damit haben, als Kanäle für bullshit zu fungieren. Denn bullshit bleibt bullshit – ganz egal, wer ihn verfasst hat.

Dass bullshit derzeit auch im Verhalten wahrnehmbar ist, können wir an den Maßnahmen sehen, die wahllos und willkürlich, national, regional und kommunal, über die Bevölkerung verhängt werden. Die 1,5-meter-Maßnahme, die Lockdowns und die Maskenpflicht: Keine Maßnahme beruht auf Wahrheit. Keine Maßnahme trägt etwas zu den behaupteten Zielen bei. Es gibt keine einzige wissenschaftliche Studie, die zeigt, dass sie effektiv sind. Dennoch wird Gehorsamkeit gefordert. Es ist bullshit-Verhalten auf der Grundlage von bullshit-Argumenten.

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Der Beitrag basiert auf dem Originaltext von Pieter Stuurman: „Gesond Verstand“, Nr. 4, 2020: https://gezondverstand.eu

Der Beitrag erschien zuerst auf „Demokratischer Widerstand“ Nr. 30

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle:   Olivier Le Moal/ shutterstock

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