Bittners Rezept gegen den Wahnsinn – Ein Interview

Der deutsche Schriftsteller und Jurist Wolfgang Bittner, der den Aktivitäten der USA in Europa kritisch gegenübersteht, erzählt, warum das Abendland in eine Katastrophe abzugleiten droht.

Ein Interview mit Wolfgang Bittner, geführt von Vadim Rogozhin für die russische Zeitschrift “Kolokol Rossii”. Übersetzt von Mikhail Kutuzov.

Es gibt nicht viele europäische Schriftsteller und Journalisten, die das derzeitige Wertesystem und die politische Haltung des Westens scharf kritisieren. Obwohl ihre Meinung von sehr vielen Europäern, wenn auch nicht von der Mehrzahl, geteilt wird, können sie mit ihren Ideen und Sichtweisen ein breites Publikum oft nicht erreichen. Sie sind Parias im eigenen Land, die in ihrer Umgebung, im Alltag und Berufsleben ausgegrenzt werden und keinen Zugang zu Fernsehsendern und Leitmedien haben. Die etablierte europäische Ordnung wird von den Kräften unterstützt, die es auf die Abwehr anderer Sichtweisen abgesehen haben. Von daher stellt die Meinungsfreiheit in den europäischen Massenmedien nur eine trügerische Fassade dar, hinter der sich totalitäre Anschauungen und Verfahrensweisen verbergen.

Einer der Betroffenen ist seit kurzer Zeit auch der deutsche Schriftsteller Wolfgang Bittner. Vor zwei Jahren hat er ein Buch mit dem spektakulären Titel „Die Eroberung Europas durch die USA“ veröffentlicht. Man könnte glauben, dass so ein Titel dem Buch zu einem Bestseller verhelfen und den Verfasser prominent machen sollte. Das war aber nicht der Fall. Stattdessen geriet Wolfgang Bittner, ein bekannter Literat, bei den Medien auf die schwarze Liste. Vor kurzem nahm er an der zweiten internationalen Buchmesse „Wolshskaja Wolna 2016“ in Saratow teil, wo er die russische Ausgabe seines Buches präsentierte. Anschließend gab er ein Interview für unsere Zeitschrift „Kolokol Rossii“.

Kolokol Rossii: Die Hauptidee ihres Buches „Die Eroberung Europas durch die USA“ ist, dass sich in Europa die Katastrophe des Jahrhunderts abzeichnet. Könnten Sie bitte unseren Lesern, die das Buch noch nicht kennen, erklären, warum Sie die Entwicklung in Europa für katastrophal halten?

Wolfgang Bittner: Theoretisch sind die europäischen Länder souveräne Staaten. Aber die USA nehmen sehr stark Einfluss auf sie, besonders auf Deutschland. Die USA haben nach wie vor zahlreiche Militärstützpunkte in Europa. Deutschland wird immer mehr zu einem „Amerika-Gebiet“, und der Einfluss nimmt kontinuierlich zu. Diese Entwicklung legt das Bild eines mit Spinnweben umwobenen Europas nahe, und mitten darin sitzt die Spinne – die USA. Das ist fatal für Europa. Zurzeit wird über die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit den USA verhandelt [Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – KR]. Die deutsche Bevölkerung ist mehrheitlich dagegen, doch die führenden Politiker sind dafür. Man braucht natürlich Handelsbeziehungen, der Handel sollte aber auf Augenhöhe betrieben werden. Was die USA anbetrifft, so wollen sie offensichtlich über den angestrebten Handelsverbund die Kontrolle über die europäische Wirtschaft übernehmen. Was da beabsichtigt wird, halte ich für unlauteren Wettbewerb. Schon jetzt machen die USA von ihrer Machtposition Gebrauch und wollen deutsche Unternehmen unverhältnismäßig hoch bestrafen. So ist gegen die Deutsche Bank eine Strafe von 14 Milliarden Dollar im Gespräch, und auch der Volkswagen-Konzern soll Milliardenstrafen und Schadenersatz in zweistelliger Milliardenhöhe wegen überschrittener Emissionswertezahlen. Ich habe den Eindruck, dass hier Unternehmen aus Wettbewerbsgründen geschädigt werden sollen.

KR: Warum wollen die USA Europa umgestalten, wo es doch sowieso unter ihrer Kontrolle steht?

WB: Das größte Land Europas ist Russland. Es hat die meisten Rohrstoffvorkommen und die größte Bevölkerung. Die USA wollen Russland für ihre Kapitalinteressen öffnen. Selbstverständlich ist gegen Handelsbeziehungen nichts einzuwenden, aber es wird versucht, Russland zu unterwerfen. Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Aussage des US-Vizepräsidenten Joe Biden, der in einer Rede in Cambridge an der Harvard Kennedy School sagte, dass die USA Russland ruinieren wollen. Dazu wurde ein Vorwand gesucht, weil der russische Präsident Putin das ausländische Kapital nicht in das Land hereinlässt. Wenn Putin das täte, würde Gasprom künftig wahrscheinlich zu Exxon-Mobil gehören. Die russische Bevölkerung würde in diesem Fall ärmer als jetzt sein. Wenn wir uns die Übernahme der ukrainischen Wirtschaft nach dem neoliberalen Prinzip vor Augen führen, müssen wir feststellen, dass die Bevölkerung immer mehr verarmt, und zwar zugunsten der Bereicherung Einzelner. Die Situation in Russland könnte sich nach dem gleichen Szenario entwickeln.

KR: In der Geschichte findet man zahlreiche Beispiele dafür, wie die angelsächsischen Mächte und Frankreich versuchten, Deutschland und Russland zu entzweien, indem sie unsere Länder gegeneinander aufhetzten. Solange Bismarck Reichskanzler war, konnte das vermieden werden. Doch danach ließ sich Deutschland auf einen gefährlichen Weg ein und wir hatten zwei Weltkriege. Sehen die Menschen in Europa und insbesondere in Deutschland nicht ein, dass sie unter absolute Kontrolle der USA geraten, wenn sie sich gegen Russland wenden? Dass sich Europa zu einem Annex bzw. Satelliten der USA entwickelt?

WB: Die USA wollen jegliche Kooperation zwischen Westeuropa und Russland unterbinden. George Friedman, der ehemalige Direktor einer einflussreichen Denkfabrik, hat in einer Rede gesagt, das Ziel der US-Außenpolitik seit mehr als einem Jahrhundert sei gewesen, eine Verbindung zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Denn wenn sich deutsches Kapital und deutsche Technologie mit russischen Rohrstoff-Ressourcen und russischer Arbeitskraft verbänden, könnte daraus eine „einzigartige Kombination“ – wie Friedman es nennt – entstehen, also eine Großmacht auf dem europäischen Kontinent, die in Konkurrenz zu den USA stünde. Um das zu verhindern, wurde ein sogenannter Cordon Sanitaire – so nennt es Friedman –, ein Eiserner Vorhang von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer aufgebaut.

Das ist eine Jahrhunderttragödie. Ein großer Teil der Bevölkerung in Europa und in Deutschland wünscht sich gute Beziehungen zu Russland. Aber wer sich heutzutage kritisch über die USA oder die NATO äußert, hat keine Karrierechancen. In den großen Medien werden keine kritischen Artikel über die USA und die NATO veröffentlicht, und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist den Vorgaben aus Washington sehr zugeneigt. Ihre Außenpolitik ist katastrophal. Das sehen auch andere Publizisten und Freunde von mir so. Zum Beispiel Willi Wimmer, ehemaliger Staatssekretär und verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU im deutschen Bundestag. Oder Albrecht Müller, Wahlkampfmanager und Weggefährte von Willy Brandt. Er hat übrigens vor einigen Jahren ein hochinteressantes Internetforum gegründet, wo solche brisanten politischen Themen ohne Scheuklappen diskutiert werden: www.nachdenkseiten.de.

КР: Wie können Sie die Position der Kanzlerin Frau Merkel erklären, die eindeutig gegen die nationalen Interessen ihres Landes handelt? Sie verhält sich doch wie eine Marionette der USA. Wie haben sie es geschafft sie derart zu beeinflussen?

WB: Wer kann das wissen? Ich würde sie nicht eine Marionette nennen in dem Sinne, wie das Jazenjuk oder Poroschenko sind. Aber sie ist – wie schon gesagt – den Vorgaben aus Washington gegenüber sehr offen. Bekanntlich hat die NSA für alle namhaften Personen Dossiers. Und Frau Merkel war früher Kommunistin, sie hatte in der DDR eine führende Position in der Jugendorganisation. Dann hat sie eine Wende um 180 Grad gemacht. Sie spricht gut Russisch, tritt aber Russland gegenüber außerordentlich aggressiv auf. Zum Beispiel hat sie während der Feier anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs neben Putin gestanden und ihn schwer beleidigt, jedoch auf Deutsch, nicht auf Russisch. Sie hat gesagt, die „Annexion“ der Krim sei ein Verbrechen.

Nun bin ich auch Jurist und kenne mich im internationalen Recht ein wenig aus, und danach war die Abspaltung der Krim von der Ukraine keine Annexion, sondern eine Sezession, wie es in der juristischen Fachsprache heißt. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Eine Annexion findet gewaltsam statt, zumeist kriegerisch. Das war auf der Krim nicht der Fall, vielmehr hat sich die dortige Bevölkerung in einem Referendum mit 96 Prozent der Stimmen für einen Beitritt zur Russischen Föderation ausgesprochen. Die Menschen auf der Krim wollten sich nicht von einer Verbrecherbande in Kiew regieren lassen. Hätten sie sich Russland nicht angeschlossen, würde es heute auf der Krim so aussehen wie in der Ostukraine: Zerstörte Städte und Dörfer, viele Tote, über eine Million Flüchtlinge. Außerdem ist die Krim altes russisches Land. Das wird in Westeuropa und in den USA verdreht dargestellt.

KR: Wie denkt das deutsche Volk in Wirklichkeit über Russland?

WB: Es gibt Politiker und Geschäftsleute die versuchen, das Verhältnis zu Russland wieder zu verbessern. Doch diese Versuche werden von den Vereinigten Staaten boykottiert. Die Medien stehen unter dem Einfluss der USA und der NATO. Und ein großer Teil der Bevölkerung steht unter dem Einfluss der Medien. Dennoch ist die Einstellung zu Russland vorwiegend positiv. Das ist ein erstaunliches Phänomen, weil es der von den Mainstream-Medien verbreiteten Propaganda widerspricht. Nach meiner Kenntnis wünschen sich über 50 Prozent der Bevölkerung gute Beziehungen zu Russland. Die Wirtschaft ist am Handel interessiert. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen Russland und Deutschland ist um 30 bis 40 Prozent eingebrochen. Etwa 5.000 Firmen aus Deutschland waren in Russland vertreten, aber infolge der Sanktionen ist ihre Anzahl deutlich gesunken. Auch Volkswagen hat ein Werk in Russland, aber die Autos lassen sich aufgrund des ungünstigen Wechselkurses nur schlecht verkaufen.

KR: Wie verhalten sich die Deutschen zu den USA?

WB: Da gibt es keine nennenswerten Proteste gegen den globalen Machtanspruch der USA und ihren Einfluss auf Europa. Ich habe den Eindruck, dass die meisten Menschen die Strategie der USA nicht erkennen. Trotzdem ist der Protest gegen das Freihandelsabkommen zwischen Deutschland und den USA ziemlich stark. Dazu gab es genug Informationen, unter anderem in den alternativen Medien, wo über die negativen Auswirkungen des Abkommens aufgeklärt wurde. Die alternativen Medien haben in Deutschland inzwischen eine weite Verbreitung.

KR: Wie kommt es, dass Sie sich politisch gegen den Mainstream engagieren? Bringt Ihnen das nicht Nachteile?

Eigentlich bin ich seit Langem schon Schriftsteller und schreibe Romane, Erzählungen, Satiren, Gedichte, Essays und so weiter. Dann fiel mir Anfang 2014 auf, dass wir über die Krise in der Ukraine nicht korrekt unterrichtet wurden, dass die Agitation seitens der USA und der NATO nicht thematisiert wurde. Das machte mich von Tag zu Tag zorniger, ich begann darüber Artikel zu schreiben, die aber in den deutschen Leitmedien, für die ich früher gelegentlich geschrieben hatte, nicht veröffentlicht werden konnten. Deshalb veröffentlichte ich meine Beiträge in den alternativen Medien, zumeist im Internet, und ich schrieb das Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“.

Das hat selbstverständlich Folgen. Seit das Buch erschienen ist, sehe ich kaum noch Möglichkeiten, etwas zum Thema in den sogenannten Qualitätsmedien zu veröffentlichen. Das ist sozusagen ein nicht öffentlich erklärter Boykott. In unseren angeblich zivilisierten Ländern wird man nicht gefoltert und nicht ins Gefängnis gesteckt, wenn man sich querstellt, aber einem wird die Existenzgrundlage entzogen. Nun bin ich nicht mehr jung und ich habe keine Karriereabsichten. Ich kann sagen und schreiben, was ich recherchiert habe und was ich denke. Das findet auch Verbreitung, mein Buch wird viel gelesen, weil es in den alternativen Medien propagiert wird. Es kam zuerst im November 2014 heraus, im September 2015 habe ich es um etwa 50 Seiten ergänzt, in denen ich insbesondere auf die Langzeitstrategie der USA hinsichtlich Westeuropa und Russland eingehe. Positive Rückmeldungen kamen übrigens vom Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt und auch von Gerhard Schröder.

KR: Was in Ihrem Buch könnte für russische Leser besonders interessant oder neu sein?

WB: In meinem Buch zitiere ich unter anderem Politiker, Wissenschaftlern und Journalisten, sie kommen mit ihren Positionen zu Wort. Man erfährt viel über die Ursachen und Hintergründe von Ereignissen, die zu der heutigen beängstigenden politischen Weltlage geführt haben. Ich analysiere und ziehe aufgrund meiner Erkenntnisse bestimmte Schlussfolgerungen. Eine wesentliche Erkenntnis ist zum Beispiel, dass der erneute West-Ost-Konflikt und die daraus resultierende Gefahrenlage nicht von Russland, sondern von der westlichen Allianz ausgeht. Natürlich weiß man das in Russland. Weniger bekannt sind allerdings die wahren Motive für diese Konfrontationspolitik.

Gesprächen in Russland habe ich entnommen, dass es auch Unzufriedenheit gibt, viele Menschen leiden unter der Teuerung. Und genau das bewirken die Sanktionen gegen Russland, sie sollen Unfrieden stiften. Der US-Vizepräsident Joe Biden hat sich in der erwähnten Rede öffentlich damit gebrüstet, dass Russland ruiniert werden soll. Man will offensichtlich einen Regierungswechsel herbeiführen, wenn sich das Land nicht den westlichen Kapitalinteressen unterwirft. In der Ukraine hat das ja funktioniert, indem eine ursprünglich demokratische Bewegung für einen Putsch instrumentalisiert wurde. Bekannt ist, dass Oppositionelle an Waffen ausgebildet wurden, dass es brutale faschistische Gruppierungen gab und bis heute gibt, beispielsweise ein „Asow-Regiment“ mit faschistischer Symbolik. Die USA haben es geschafft, die Ukraine sozusagen auf kaltem Wege zu übernehmen. Und in der Ostukraine führt Poroschenko, eine Marionette der USA, Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Dieser Bürgerkrieg könnte ausufern, und dann wäre ganz Europa betroffen.

Am Ende meines Buches zitiere ich aus einem Drama von Shakespeare. „Das ist die Seuche dieser Zeit: Verrückte führen Blinde.“ Und die Verrückten führen heute die Menschheit auf einen Abgrund zu. Die Grenze zum Wahnsinn ist längst überschritten, wenn es in einem Washingtoner Report heißt, begrenzte taktische Atomschläge seien möglich, ohne die amerikanische Heimat zu gefährden. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass der bekannte US-Wissenschaftler und Regierungsberater Zbigniew Brzezinski schon 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ geschrieben hat, Eurasien, also Westeuropa und Russland, sei das Schachbrett, auf dem sich in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird, erweitert sich der Blick.

Die USA ruinieren oder zerstören ganzen Länder, ohne deswegen gemaßregelt, geschweige denn zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sie erlauben sich unglaubliche Dinge. Der Orient brennt, in der Ukraine herrscht Bürgerkrieg, an den Grenzen Russlands wird eine gewaltige Militärmaschinerie aufgebaut. Wenn jetzt noch der Einsatz von Atomwaffen in Erwägung gezogen wird, bedeutet das eine neue Stufe der Eskalation in dem bisher noch Kalten Krieg, der schnell heißt werden könnte. Viele Menschen sind sich dieser Gefahr nicht bewusst. Deswegen ist es wichtig, darüber aufzuklären. Das beabsichtige ich mit meinem Buch und meiner Friedensarbeit. Die Menschen müssen wissen, was hinter ihrem Rücken geschieht und was auf sie zukommt. Nur dann können sie sich dagegen wehren.

Das Interview wurde am 5.10.2016 in Saratow/Russland aufgenommen. Die Antworten wurden von Mikhail Kutuzov synchron aus dem Deutschen ins Russische und aus dem verschriftlichten Russischen wieder ins Deutsche übersetzt.

Danke an die Autoren für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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