BGE statt Armut im Überfluss

Bedingungsloses Grundeinkommen braucht Bedingungen. Dann könnte es gegenwärtige Krisen beenden, für Innovation sorgen und sogar funktionieren.

Von Susan Bonath.

In der Schweiz ist es kürzlich am Veto der Mehrheit gescheitert, in Finnland soll es ab 2017 zwei Jahre lang getestet werden. Ausgerechnet im Iran wird es als »Teilhabe an der Ölförderung« an 80 Prozent der Bürger (so viele haben es beantragt) zweimonatlich ausgezahlt, Alaska gewährt es ebenfalls, als Jahresbetrag. Existenzsichernd ist es jedoch in beiden Fällen nicht: Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Auch in Deutschland streiten sich Verfechter und strikte Gegner eines BGE: Soll, ja kann der Staat jedem Menschen im Land Monat für Monat ganz bedingungslos einen Salär als Grundsicherung überweisen?

Kritiker finden es vor allem ungerecht, dass Reiche etwas obendrauf bekämen. Und wahrscheinlich sei das alles ohnehin nicht bezahlbar. Befürworter halten dagegen, es gehe lediglich um ein Minimum, das jedem sorgenfreies Essen, Trinken und Wohnen ermöglichen müsse. Das mache Wohlhabende auch nicht reicher. Zudem kurbele ein BGE den Konsum an – ohne Konsum kein Profit für die Wirtschaft.

Essen dürfen oder nicht

Zunächst einmal: Der Mensch ist ein Lebewesen. Er braucht Wasser und Nahrung, muss sich vor Kälte schützen. Und er ist ein denkendes Wesen, ein erfinderisches, tüftelndes, arbeitendes, kulturelles »Herdentier«. Wäre es anders, säße er wohl heute noch in Höhlen herum und würde, ähnlich den Tieren, Laute ausstoßen statt alle möglichen Gedanken in Worte und Schrift zu fassen.

Mit der Erfindung des Geldes haben wir selbiges als Überlebensgarant geschaffen. Der eine bekommt es, weil er Güter produzieren lässt und sie verkauft. Dasselbe gilt für Dienstleistungen. Wer keine Produktionsmittel besitzt, kann keine Waren verkaufen. Er muss sich selbst vermarkten, seine Arbeitskraft. Von seinem Lohn kauft er wieder die Produkte und Dienstleistungen der Besitzer der Produktionsmittel. Damit wiederum sichert er deren Profit.

So und nicht anders funktioniert das Gesetz des Marktes. Es kennt nur Kapital und Arbeit. Es ist eine Profitmaschine für Konzernherren und Finanzbosse. Und eine Arbeitsmaschine für den Rest. Wer kein Geld hat, bekommt nichts zu essen, nichts zu trinken, kein Bett, kein Haus, keine Heizung, keinen Strom. Gäbe es keine Sozialleistungen, müsste er stehlen oder sterben.

Stehlen? Diebesbanden überall? Das wäre natürlich nicht im Sinne der Besitzenden. Nicht nur mit Waffen schützen sie ihr Hab und Gut. Auch mit Sozialhilfe, die sie den Armen gewähren. Natürlich geht es auch darum, verhungernd oder krank Dahinvegetierende auf den Straßen zu vermeiden. Und nicht zuletzt müssen sie ein Heer an potentiellen Arbeitskräften bei der Stange halten. Man weiß ja nie. Die nächste Flut, das nächste Erdbeben, der nächste Hurrikan kommen bestimmt.

Die Geschichte zeigt: Mit dem Anwachsen des Heeres an Freigesetzten sinken die Sozialleistungen pro Kopf. Die Bedingungen, überleben zu dürfen, werden härter. Arme werden gedemütigt. Arbeitshäuser, Zwangsarbeiter und Sklaven durchziehen die Geschichte. Man erklärte sie zu Untermenschen, heute schimpft man sie »faul«: Eine negative moralische Zuschreibung, die so gar nicht in das Marktgeschehen passt. Denn der Markt ist nicht moralisch, sondern profitorientiert.

Marktkonforme Auslese versus Moral

Der Wunsch nach einem BGE trägt nun eine positive moralische Frage in die amoralische Marktideologie: Soll jeder Mensch, unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit, seiner Gesundheit, seinem Fleiß, seiner Intelligenz, seiner Geburt, seinem Besitz, seinen Möglichkeiten und seinem Glück das Notwendige zum Überleben bedingungslos erhalten? Wollen wir, dass jeder ohne Angst vernünftig leben kann?

Fakt ist: Niemand kann sich kreativ, innovativ und produktiv entfalten, wenn seine Grundbedürfnisse nicht gesichert sind. Oder wenn er Angst haben muss, sie nicht mehr sichern zu können. Die Furcht vor einem Absturz in das Nichts treibt uns in die Hamsterräder des Marktes. Hamsterräder machen hart und unmündig. Sie zwingen zum Strampeln, zum Vermarkten und Verkaufen – fernab jeder Moral.

Wer leben will, muss mindestens das Nötigste konsumieren. Auch der Markt braucht Konsumenten, wenn er fortbestehen will. Konsumieren kann, wer Geld besitzt. Wer erwerbslos ist, weil ein Roboter seine Arbeit übernommen hat, und dann von minimalen Sozialleistungen leben muss, fällt als guter Konsument weg. Das neueste Handy, den sparsamen Mittelklassewagen, Ökostrom und Biogemüse kann er sich nicht leisten.

Überproduktion und Armut

Das ist der Widerspruch im Kapitalismus. Der Widerspruch zwischen privatem Kapital und abhängiger Lohnarbeit. Schon Marx wusste: Er produziert Verwertungs- und Überproduktionskrisen. Kurz erklärt: Immer mehr wird produziert. Immer neue Waren überschwemmen den Markt. Dem zuwider schwinden mit jeder neuen Maschine, mit jedem neuen Industrieroboter die zahlungskräftigen Konsumenten. Die Unternehmer bleiben auf ihren Waren sitzen.

Sie könnten nun die Löhne erhöhen und von ihren Profiten etwas abgeben, um den Outgesourcten die Möglichkeit zum Kaufen ihrer Waren einzuräumen. Das tun sie aber nicht. Stattdessen schicken Staaten in ihrem Interesse die bezahlten Armeen um den Globus. Um neue Märkte zu erobern, regionale Wirtschaften platt zu machen, noch billigere Arbeitskräfte auszubeuten. Der Profit muss stimmen, auf Gedeih und Verderb. Das gebietet das Spiel namens Kapitalismus. Wenn Wachstum an seine Grenzen stößt und die Verarmung die Verwertung bremst, folgen immer imperiale Raubzüge.

Dass unser gegenwärtiges System Überfluss auf der einen und Armut auf der anderen Seite produziert, wusste auch der deutsch-amerikanische Philosoph Herbert Marcuse. In seinem 1969 verfassten Essay »Versuch über die Befreiung« schrieb er:

»Die Gesellschaft ist insofern obszön, als sie einen erstickenden Überfluss an Waren produziert und schamlos zur Schau stellt, während sie draußen ihre Opfer der Lebenschancen beraubt; obszön, weil sie sich und ihre Mülleimer vollstopft, während sie die kärglichen Lebensmittel in den Gebieten ihrer Aggression vergiftet und niederbrennt; obszön in den Worten und dem Lächeln der Politiker und Unterhalter; in ihren Gebeten, ihrer Ignoranz und in der Weisheit ihrer gehüteten Intellektuellen.«

Teilhabe am Überfluss

Wenn wir über bedingungsloses Grundeinkommen sprechen, müssen wir vorab klären: Wollen wir den produzierten Überfluss teilen? Und darauf vertrauen, dass der Mensch von Natur aus innovativ, kreativ und erfinderisch ist? Oder wollen wir ihn wegwerfen, zusammen mit Menschen, die wir gar nicht kennen, die aber, aus sehr verschiedenen Gründen, den Fuß nicht in das Hamsterrad bekamen. Oder irgendwann herausgefallen sind. Beugen wir uns der marktkonformen Auslese?

Ein BGE würde zunächst nicht mehr, aber auch nicht weniger bewirken, als dass jeder Mensch in unserer Geldgesellschaft überleben, bestenfalls an technischen und kulturellen Errungenschaften teilhaben kann. Das ist das humanitäre »Ja« zum BGE, das moralische. Das marktkonforme »Ja« heißt: Ohne genügend Konsumenten funktioniert nicht mal der Kapitalismus. Ladenhüter bevölkern die Auslagen in den Geschäften, Unternehmen gehen pleite. Der Ausweg, Produkte schnell kaputt gehen zu lassen, um die verbliebenen Konsumenten zum Kauf von Nachschub anzuregen, zerstört die Umwelt mitsamt unseren Ressourcen.

Nicht finanzierbar?

Der schärfste Einwand der Kritiker bleibt: Ein BGE würde viel zu teuer. Fakt ist: Mit den heutigen Sozialleistungen, die, ausgenommen das Kindergeld, allesamt Bedürftigkeitsprüfungen unterliegen, würden unzählige teure Behördenapparate wegfallen. Sozialprüfdienste bräuchte es nicht mehr. Und vor allem: Die Güter und Waren sind ja da. Mit einem BGE könnten sie auch endlich jeder kaufen.

Das Problem ist also die Verteilung. Selbstverständlich kann die Finanzierung eines BGE nicht dem kleinen Lohnarbeiter auch noch aufgebürdet werden. Schon jetzt stöhnt und ächzt er unter seiner Steuerlast. Müsste er ein BGE für alle mit weiterer kostenloser Mehrarbeit bezahlen, gehörte auch er bald zur Gruppe der vom Konsum weitgehend Abgekoppelten – falls er als Niedriglöhner nicht schon längst dazu gehört.

Die Katze beißt sich in den Schwanz: Ein zum Leben ausreichendes BGE wäre gar nicht möglich, würde die Last auf die Arbeiter abgewälzt. Hinzu kommt: Unternehmer würden Löhne senken. Denn ihre Beschäftigten bekämen ganz ohne ihr Zutun jeden Monat was aufs Konto überwiesen.

So ist ein Kapitalist vor allem daran interessiert, die Arbeitskraft der Angestellten zu erhalten. Mit einem BGE müsste er dafür weniger ausgeben. Ein Unternehmer, der seine Ausgaben nicht senkt, soweit es irgend möglich ist, um seine Gewinne zu steigern, ist ein schlechter Kapitalist. Er könnte bald einpacken. Einer würde den Anfang machen, andere nachziehen. An dieser kapitalistischen Logik des Profitzwangs käme kein Unternehmer vorbei. Und wieder ist die Moral dieser Geschicht: einen moralischen Markt gibt es nicht.

BGE auch für die Reichen?

Auf dem Verteilungsproblem fußt die nächste – berechtigte! – Kritik der BGE-Gegner: Wäre es gerecht, auch superreiche Großkonzernbosse, Unternehmer- und Bankerfamilien ganz ohne Not und Bedarf mit einem zusätzlichen BGE zu beglücken? Sollen wir jenen, die Fabriken, Grundstücke, Villen, Jachten und jeden Schnickschnack schon besitzen, noch Geld aus den schrumpfenden Lohnbeuteln der kleinen Arbeiter hinterherwerfen? Ganz klar: Nein!

Aber halt: Das tun wir heute auch bereits. Das Kindergeld bekommen alle mit Nachwuchs, Milliardäre und Putzfrauen, Bonibanker und Leiharbeiter. Auch das ist ungerecht.

Brauchen wir also doch eine Bedarfsprüfung? Und Hunger-Sozialhilfen, von denen sich einer, der etwa Kunst produzieren könnte, nicht mal eine Leinwand und Farbe kaufen kann? Die neoliberalen Apologeten finden: Ja. Schließlich dürfe der »Faule« – gemeint ist der, den der technisch aufgerüstete Markt zur Produktion nicht braucht – der »Solidargemeinschaft« nicht unnütz auf der Tasche liegen.

Da wäre erstens zu klären: Wer ist die ominöse »Solidargemeinschaft«? Gemeint sind hier vor allem die Lohnabhängigen und kleinen Gewerbetreibenden. Denn die zahlen drauf; erst ab einem bestimmten Kontostand hat das ein Ende. Und zweitens hat das ganze eine Krux: Werden Outgesourcte, deren Zahl nur wachsen kann, arm gehalten, wird die Überproduktions- und Verwertungskrise zum Dauerzustand. Die Armen arm zu halten und ihre Zahl zu mehren, ist also nicht mal eine marktkonforme Lösung.

BGE braucht Bedingungen

Ein BGE in ausreichender Höhe wäre also durchaus sinnvoll. Angesichts des Überflusses wäre es auch machbar. Nur scheitert es am Kapitalismus. Schon immer hat der die Reichen geschont, die Normalverdiener und Kleinunternehmer – auch genannt Mittelstand – geschröpft und die Armen verhöhnt, entrechtet und noch ärmer gemacht. Der Kapitalismus samt seiner Staaten und Staatsapparate ist ja gerade ein System der Reichen, der Besitzenden. Seine bewaffneten Organe schützen vor allem eins. Eigentum. Natürlich, und die öffentliche Ordnung. Doch an dieser haben auch Besitzende Interesse.

Dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht eingeführt werden kann, hat nur einen Grund: Die Reichen halten ihren Reichtum fest. Und mehren ihn. Auf einem begrenzten Planeten fällt somit immer weniger ab für immer mehr. Die es könnten, weigern sich also, etwas abzugeben. Das müssten sie aber. Wenn sie nicht teilen wollen, müssen sie dazu gezwungen werden. Durch den Teil der Gesellschaft, der Interesse daran hat, endlich gut und sorgenfrei zu leben.

Ein BGE wäre möglich, wenn Betriebe nicht mehr für Profite, sondern nur noch nach Bedarf produzieren dürften. Wenn Spekulationen und Zinsen verboten und Geld zu dem wird, was es sein könnte: Ein Tauschmittel, nicht mehr, nicht weniger. Wenn leistungsloses Vererben ausgeschlossen wird. Wenn Einkommen und Vermögen streng nach oben begrenzt werden.

Innovativ statt lohnabhängig

Dann könnte die Arbeit nach und nach vom Einkommen abgekoppelt werden. Umfragen haben gezeigt, dass fast jeder trotz eines BGE arbeiten würde. Der Geist des Menschen schreit nach Tun, nicht nach Stillstand. Noch nie ist ein System untergegangen, weil seine Gesellschaften durchweg faul waren. Vielmehr zerbrachen sie an der Ungleichheit ihrer Mitglieder, an arm und reich, an Verteilungskämpfen.

Ein solches BGE könnte global sogar den Hunger beenden, und die Kriege, die in Wahrheit auch Verteilungskämpfe sind. Die Wissenschaft müsste nicht reichen Sponsoren gehorchen, sondern nur sich selbst. So könnte es auch mit der Bildung wieder klappen. Und innovative Projekte würden nicht mehr an der Angst scheitern, nicht profitabel genug zu sein. Die letzte Braunkohle, das letzte Öl könnten vermutlich bald im Boden bleiben, wenn sich keiner mehr daran eine goldene Nase verdienen könnte.

Und vielleicht schafft es der Mensch dann irgendwann, sich ganz vom Geld zu lösen. Wie die alten Cree-Indianer schon sagten: »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.«

Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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