BGE kollidiert mit Kapitalismus

MDR: Geld zum Leben für alle? Gegner und Befürworter diskutierten die Idee vom Bedingungslosen Grundeinkommen

von Susan Bonath.

Bis auf null sanktionierte Hartz-IV-Bezieher, von der Sozialhilfe ausgeschlossene EU-Migranten, Bettler und Obdachlose auf den Straßen sind der Beweis: Das Recht auf Menschenwürde ist zur leeren Floskel im deutschen Grundgesetz verkommen. Könnte ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), das jedem Menschen monatlich ausgezahlt wird, die Lösung sein? Befürworter und Gegner diskutierten darüber am Montagabend in der MDR-Sendung »Fakt ist«. Den Knackpunkt kristallisierte Moderatorin Anja Heyde mit einer Frage selbst heraus: »Kann das funktionieren im real existierenden Kapitalismus?« Eine Antwort darauf blieben beide Seiten schuldig.

»Wir brauchen Antworten auf die neue Arbeitswelt«, blickte Michael Bohmeyer vom Crowdfunding-Projekt »Mein Grundeinkommen« voraus. Denn mit dem technischen Fortschritt würden Erwerbslosigkeit und damit Armut weiter zunehmen. Jeder müsse erst einmal gut abgesichert sein, um sein Leben ohne Angst zu planen. Das Gegenargument, wonach manche Arbeit mit einem BGE nicht mehr erledigt würde, sei widerlegt, so Bohmeyer. Umfragen hätten ergeben, dass die meisten weiter arbeiten würden. »Der ständige Druck der Existenzangst, wie vor dem Abrutschen ins Hartz-IV-System, wäre aber erst mal weg.« Dann hätten Arbeiter mehr Wahlfreiheit und eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Unternehmern.

Mit seinem spendengetragenen Projekt verlost Bohmeyer einjährige Grundeinkommen von monatlich 1.000 Euro. 89 Personen seien bereits in den Genuss gekommen, erklärte er. Valerie Rupp ist eine von ihnen. »Uns hat es erst aus purer Not befreit, dann konnten wir überlegen, was wir machen«, berichtete sie. Rupp habe zu dieser Zeit ein Kind erwartet und studiert, aber kein Bafög bewilligt bekommen. »Bei mir hat der Sozialstaat immer versagt.«

Auf diesen berief sich der Wirtschaftsjournalist Andreas Hoffmann vom Stern. Mit einem BGE würde der Sozialstaat nicht mehr funktionieren, meinte er. Der sei in Deutschland ausbaufähig, aber in seinen Strukturen gut. Das BGE hingegen sei »nur eine schöne Utopie«. Außerdem müsse man Menschen durch Druck motivieren, sich auch unangenehmeren Jobs zu stellen, so Hoffmann.

Dem widersprach zwar Susanne Wiedemeyer, Landesbeauftragte des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Sachsen-Anhalt. Dabei berief sie sich auf ihre Erfahrungen mit Ein-Euro-Jobs, die sie persönlich ablehne. »Die Betroffenen haben sich darum gerissen«, sagte sie.

Für ein BGE könne sich Wiedemeyer trotzdem nicht begeistern: »Das Geld bekommen Arme wie Reiche, es wird sich also an der sozialen Kluft nichts ändern.« Außerdem ist Wiedemeyer überzeugt, dass Unternehmer dann Mindestlöhne und hart erkämpfte Rechte boykottieren könnten. »Glauben Sie, der Arbeitgeber würde die 1.000 Euro nicht auf den Lohn anrechnen?«, fragte sie. Geklärt sei zudem nicht, wer wie viel in die Krankenkassen einzahlen solle. Und: »Wie lange würde es dann dauern, bis Mieten und Fahrkosten steigen, weil die meisten die 1.000 Euro zusätzlich haben?«

Die Befürworter verwarfen die Bedenken. Es komme auf den Versuch an; man müsse einfach sehen, wie es läuft. Das sah auch die Mehrheit der gut 3.000 vom MDR befragten Sachsen-Anhalter so. 81 Prozent stimmten für ein BGE. Dass sie weiter wie bisher arbeiten wollen würden, meinten sogar 89 Prozent.

Das Thema BGE ist dabei durchaus zwiespältig, einige Argumente der Kritiker wohl berechtigt. Dass so etwas einerseits funktionieren kann, zeigt ein bereits existentes »BGE« für die Jüngsten: das Kindergeld. Ein Modellprojekt in Finnland macht aber deutlich: Im Kapitalismus hat auch ein BGE seine Grenzen. Dort zahlt der Staat aktuell 560 Euro monatlich an 2.000 ausgeloste Erwerbslose, und dies frei von Bedingungen, wie Arbeitszwang. Klar ist: Davon kann niemand leben. Aus dem neoliberalen Lager gibt es weitere, ähnlich niedrig gehaltene Vorschläge.

Auch auf die Frage nach der Finanzierung hatte denn auch niemand der Diskutierenden eine plausible Antwort. Irgendwie über Steuern, kam am Ende lediglich heraus. Diese dürften, wie es auch gegenwärtig ist, vermehrt die lohnabhängig Beschäftigten mit mittleren Einkommen aufbringen. Die Profiteure dürften sich derweil ins Fäustchen lachen über die Zerschlagung des letzten Restes vom Sozialstaat. Denn vergessen werden darf nicht: Ein BGE wäre für sie ein Argument, weitere Hilfen abzuschaffen. Wie dann ein Querschnittsgelähmter an seinen unbezahlbaren Rollstuhl kommt, dürfte sie nicht sonderlich interessieren. Mit anderen Worten: Ohne den Kapitalbesitzern etwas wegzunehmen, ohne die Kapitalmärkte in gesellschaftliche Hand zu bekommen, lauern im BGE viele Gefahren.

Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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