Behauptungen ohne Beweise und Feindpropaganda

US-Geheimdienste sind sicher, dass Putin Hacker-Angriffe zur US-Wahl anordnete

Von Wolfgang Bittner

Kaum hat sich die Erregung wegen des Dopings russischer Sportler und des Einsatzes Russlands in Aleppo gelegt, gibt es schon wieder neuen Anlass für transatlantische Empörung. Parallel zur Verlegung der Third Armored Brigade der Fourth Infantry Division aus Fort Canson/Colorado mit über 4.000 Soldaten und mehr als 200 Panzern nach Osteuropa läuft eine Kampagne der US-Dienste CIA, FBI und NSA wegen angeblicher Hackerangriffe Russlands während des US-Wahlkampfs. Die unbewiesenen Behauptungen, offizielle russische Stellen hätten zugunsten Donald Trumps und gegen Hillary Clinton Cyberattacken durchgeführt, wurden von Politikern und in den Medien solange wiederholt, bis die amerikanische Öffentlichkeit davon überzeugt war. Es hieß, Putin persönlich habe die Operation befohlen, das könne man „mit hoher Sicherheit“ sagen, auch wenn konkrete Belege dafür fehlten.

„Der Befehl kam aus dem Kreml“

Am 5. Januar 2017 war verkündet worden, dass die US-Geheimdienste eine direkte Beteiligung Russlands an einer Wahlbeeinflussung für erwiesen hielten. Nur „Russlands allerhöchste Verantwortungsträger“ könnten für den Diebstahl von Daten und deren Veröffentlichung während des US-Wahlkampfes verantwortlich sein, so der Geheimdienstdirektor und Koordinator der US-Nachrichtendienste, James Clapper.

In Deutschland wurden die Thesen der US-Dienste unter anderem vom Spiegel verbreitet: „Es sind verstörende Vorwürfe – wenn sie denn stimmen. Dass sich das nach diesem Bericht noch immer nicht mit Sicherheit sagen lässt, ist natürlich eine Schwäche. Aber zu glauben, bei den Thesen der US-Dienste handele es sich allenfalls um Vermutungen, wäre nach Lektüre des Berichts auch nicht richtig.“

Was ist das für eine liederliche, tendenziöse Berichterstattung des Spiegel, der doch den Anspruch auf Seriosität erhebt? Das trifft ebenso auf andere Mainstreammedien zu. Albrecht Müller schreibt: „Die deutschen Medien leisten sich in ihrer Mehrheit eine bemerkenswert einseitige Berichterstattung und Kommentierung zulasten Russlands (…) Es vergeht kaum eine Nachrichtensendung in der ‚Tagesschau‘ oder in den ‚Tagesthemen‘ des Ersten Programms oder in ‚heute‘ und im ‚heute Journal‘ des Zweiten Deutschen Fernsehens und im weitverbreiteten Hörfunk des Deutschlandfunks und des Deutschlandradio Kultur ohne eine Meldung oder einen Kommentar, der sich gegen Russland wendet.“

Nicht nur in den amerikanischen Medien, sondern auch in Europa, wurde aus dem Geheimdienstbericht zitiert: „Russlands Präsident Putin hat 2016 eine Kampagne zur Einflussnahme auf die US-Wahlen befohlen (…) Ihr Ziel war es, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den demokratischen Prozess zu schwächen, Hillary Clinton zu verleumden und ihre Chancen auf die Präsidentschaft zu verringern. Außerdem sind wir der Meinung, dass die russische Regierung Donald Trump klar bevorzugt hat.” Dieser absonderliche, schmutzige US-Wahlkampf als „demokratischer Prozess“? Verleumdung der kriminellen Kandidatin Clinton? Das sind wirklich erstaunliche Erkenntnisse.

Auch die ZEIT konstatierte: „Der Befehl kam aus dem Kreml: Die US-Geheimdienste sind sicher, dass Putin Hacker-Angriffe zur US-Wahl anordnete (…) Die Kernaussage des Berichts der US-Geheimdienste CIA, FBI und NSA über die russischen Cyberangriffe ist eindeutig: Russland hat versucht, auf die Präsidentenwahl Einfluss zu nehmen – zugunsten des gewählten republikanischen Kandidaten Donald Trump und zulasten seiner Konkurrentin Hillary Clinton. Angeordnet hat die Operationen Präsident Wladimir Putin.“

Schrille Forderungen nach mehr Kontrolle und Überwachung

Nun zog der deutsche Geheimdienst in Person des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, nach. So habe das Amt – nachdem zuvor schon über russische Cyberattacken auf Bundestagsserver spekuliert worden war – aufgedeckt, dass für einen Hackerangriff auf Computer der OSZE im Dezember 2016 die russische Regierung verantwortlich sei. Maaßen: „Unsere Analyse ergab, dass die Angriffsstruktur die gleiche ist, die wir von anderen Cyberattacken kennen.“

Schon Ende November 2016 hatte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, vor „Datenhacks und Desinformationskampagnen gewarnt, die aus Russland gesteuert würden“. Es gebe Erkenntnisse, so hieß es, „dass Cyberangriffe stattfinden, die keinen anderen Sinn haben, als politische Verunsicherung herbeizurufen.“ Kahl gab bekannt, es werde „eine Art von Druck auf den öffentlichen Diskurs und auf die Demokratie ausgeübt, der nicht hinnehmbar ist“. Europa sei „im Fokus dieser Störversuche, und Deutschland ganz besonders“.

Dementsprechend wird in einem Positionspapier der Bundestagsfraktion von CDU und CSU „eine härtere Gangart gegenüber Moskau“ gefordert. Russland wird vorgeworfen, „Gesellschaften in den westlichen Staaten zu spalten, die Politik der Bundesregierung zu diskreditieren und die Bindungen zwischen Europa und den USA zu trüben“. Dafür würden „nachrichtendienstliche Aktivitäten und antiwestliche Propaganda“ betrieben; Moskau versuche damit „von wachsenden inneren Schwierigkeiten“ abzulenken.

In der Psychologie heißt so etwas „Schattenproblematik“. Denn geht man von den Fakten aus, wird genau umgekehrt ein Schuh daraus. Von den ständig Kalte-Kriegs-Propaganda verbreitenden Politikern und Journalisten wird jetzt der Ruf nach einer Kontrolle von „Postfaktischem“ im Internet laut. Gezielt wird damit letztlich wohl auch auf eine Kontrolle von Blogs und Internetforen, die alternativ zu den sogenannten Qualitätsmedien berichten und deren Machenschaften aufdecken. Hinzu kommen nach dem Terroranschlag in Berlin vom 19. Dezember 2016 schrille Forderungen nach stärkerer Video- und Internet-Überwachung. Damit bekommt der Weg in den Überwachungsstaat, der schon lange beschritten wird, eine weitere Dimension.

Veteran Intelligence Professionals widersprechen

Nicht weltweit verbreitet wurde eine Erklärung von CIA-Veteranen (Veteran Intelligence Professionals for Sanity), die ihren aktiven Kollegen überzeugend widersprachen: „Ein Bericht in der New York Times vom Montag, den 12. Dezember 2016 darüber, dass die CIA aufgrund von ‚überwältigenden Indizienbeweisen‘ glaube, der russische Präsident Wladimir Putin habe ‚Computerhacker mit dem Ziel, die Wahl zugunsten Donald J. Trumps zu drehen, eingesetzt‘, ist leider frei von jedem Beweis. Das ist nicht überraschend, denn härtere technische Beweise legen ein Leak nahe, nicht einen Hackerangriff – von Russen oder wem auch immer.“ Diese Experten, die als ehemalige hochrangige CIA-Mitarbeiter mit einem Schwerpunkt in den Bereichen Cyber-Aufklärung und -Sicherheit tätig waren, stellen überzeugend fest: „Wir haben uns die verschiedenen Behauptungen über Hackerangriffe angesehen. Für uns ist es ein Kinderspiel, sie zu widerlegen.“

Widerlegt wurde auch die zum Jahresende verbreitete Panikmeldung, „die Russen“ hätten den Computer eines Stromversorgers im US-Bundesstaat Vermont gehackt. Die Washington Post hatte verbreitet: „Russische Hacker drangen Behörden zufolge in ein US-Stromnetz ein.“ Die Meldung, die von vielen Medien in den USA und in Europa sofort ungeprüft übernommen wurde, musste Tage später dementiert werden, nachdem sich herausstellte, dass ein Mitarbeiter des Unternehmens einen Fehler begangen hatte.

Bisher nicht widerlegt oder dementiert wurde dagegen die Behauptung, ein aus Russland gesteuerter Hackerangriff habe Ende November 2016 hundertausende Telekomanschlüsse lahmgelegt. Die WELT-Journaille wusste sofort: „Ein digitaler Warnschuss ins Wohnzimmer (…) Es ist die Vorwegnahme des Szenarios, vor dem seit dem Wahlkampf die USA stehen und jetzt womöglich auch Deutschland.“ Selbstverständlich führen alle Spuren zu „Putins Schreibtisch“, auch wenn es dafür keinen Nachweis gibt.

Kriegspropaganda?

Dass hier brisante Behauptungen, die das Ansehen Russlands und dessen Präsidenten schädigen, ohne schlüssige Beweise und vermischt mit Fakten (die russische Regierung habe Trump bevorzugt) gestreut werden, ist nicht neu und zeugt von der Verkommenheit führender Politiker und ihrer Medien sowohl in den USA als auch in Deutschland. Es ist ein erneuter deutlicher Beweis – einer von vielen –, welch intensiven Einfluss die US-Geheimdienste hier wie dort auf die Politik und die öffentliche Meinung nehmen.

Vergessen ist in diesem Zusammenhang geflissentlich, dass die USA in der Ukraine fünf Milliarden Dollar für den Regime Change investiert haben (bestätigt von Victoria Nuland), oder dass die zweite Amtszeit des Vorgängers von Putin, des Alkoholikers Boris Jelzin, von „US-Experten“ vorbereitet wurde. Zur Jelzin-Wahl titelte seinerzeit das TIME Magazin: „The secret Story of how four U.S. Advisers used Polls, Focus Groups, negative Ads and all the other techniques of American Campaigning to help Boris Yeltsin win” – Die geheime Geschichte, wie vier US-Berater Umfragen, Zielgruppen, Negativwerbung und all die anderen Techniken des amerikanischen Wahlkampfes benutzten, um Boris Jelzin gewinnen zu helfen. Die russische Bevölkerung hatte die gravierenden Folgen zu tragen.

Jetzt werden erneut umfangreiche Truppenverbände an die Grenzen Russlands verlegt, wo bereits eine gewaltige Militärmaschinerie aufgebaut ist, nachdem sich die russische Führung nicht den Forderungen nach einer Öffnung der Grenzen zugunsten der westlichen Kapitalinteressen ergeben hat. Hinzu kommt eine immer massivere Feindpropaganda. Es stellt sich daher unabweisbar die Frage, wohin das führen soll. Mit Sicherheit nicht zur Festigung des Friedens auf dem europäischen Kontinent.

Vielleicht dient der Aufbau dieser Drohkulisse „lediglich“ dazu, Russland in die Knie zu zwingen, ohne aus dem Kalten Krieg in einen heißen überzugehen. Aber auf jeden Fall steckt eine Strategie dahinter. Und sollte es sich um Kriegsvorbereitungen handeln, wäre nicht mehr auszuschließen, dass wir es auf westlicher Seite mit einer Art geisteskranker Führungs-„Elite“ in Politik und Medien zu tun haben, die jegliche humane Hemmungen verloren hat.

Wolfgang Bittner, Schriftsteller und Jurist, ist Autor des Buches „Die Eroberung Europas durch die USA“, Westend Verlag 2015. https://www.westendverlag.de/buch/die-eroberung-europas-durch-die-usa/

Siehe auch KenFM im Gespräch mit Wolfgang Bittner: https://kenfm.de/wolfgang-bittner/

Danke an den Autor für das Recht der Zweitverwertung.

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