Armes Schweden? – Der schwedische und der deutsche Corona-Weg im Vergleich | Von Christian Kreiß (Podcast)

Ein Standpunkt von Christian Kreiß.

Offene Universitäten, fast keine Gesichtsmasken, nie komplette Schulschließungen, nie ein Zwangs-Lockdown, Corona-Todeszahlen seit Monaten nahe Null, deutlich schwächerer Anstieg der Covid-Neuinfektionen als in den meisten anderen Ländern Europas und nur halb so hohe Infektionszahlen wie beim Peak im Juni sowie vor allem: Offenbar keine Panik vor steigenden Corona-Fallzahlen, keine Panik vor steigenden Todeszahlen wie in halb Europa und vielen anderen Ländern der Erde. Keine Wut, keine Aggression in der Bevölkerung, keine Denunziationen, sondern Vertrauen und Toleranz. Gleichzeitig sehr viel schwächerer Wirtschaftsabsturz als in den allermeisten Industrieländern, die harte, staatlich verordnete Zwangs-Lockdowns durchführten, beispielsweise nur halb so starker Wirtschaftsabsturz wie in Deutschland. Zu schön, um wahr zu sein? Nein, Schweden, Mitte Oktober 2020.

Im Gegensatz dazu die Situation in Deutschland: Angst- und Panikverbreitung auf allen Kanälen über rasend steigende Infektions- und Todeszahlen, Denunziations-Aufforderungen und ein Denunziations-Portal, Streit um Beherbergungsverbote, Kinder, selbst im Grundschulalter mit Masken im Unterricht, weitgehend geschlossene Universitäten, Drohung eines neuen harten Lockdowns durch Politiker, Maskenzwang im Freien, Aggression, Furcht, Drohungen, Beschimpfungen und gereizte Stimmung im öffentlichen Leben, ein häufig verstörtes tägliches Miteinander.

Welcher Corona-Weg war und ist der klügere? Der schwedische oder der deutsche?

Berichterstattung in den deutschen Medien zu Schweden

Zunächst soll ein Blick auf die Berichterstattung über den schwedischen Corona-Weg in den deutschen Massenmedien geworfen werden. Hier wird seit Monaten exzessiv und mit großer Freude das beliebte Schweden-Bashing betrieben. Nur ein paar ganz wenige Beispiele dazu. Am 12.5. titelte die Süddeutsche Zeitung: „Coronavirus in Schweden: Tödlicher Sonderweg“. Am 24.8. bestätigte die Süddeutsche Zeitung diese Sichtweise in einem Essay ihres Chefredakteurs Dr. Markus Beise mit dem Titel „Corona und Wirtschaft: Warum der Lockdown sinnvoll war“. Schwedens Corona-Politik sei einfach nur falsch gewesen, habe viel zu viele Tote gekostet und dabei nicht einmal einen wirtschaftlichen Vorteil gebracht.

Der Spiegel titelte am 20.6. „Schwedens tödlicher Corona-Irrtum“, am 25.6. „Warum Schweden so viele Covid-19-Tote hat (…) Die Eindämmung des Virus ist gescheitert.“ Diese Spiegel-Nachrichten kamen zu einem Zeitpunkt, als sich die Zahl der Covid-Toten in Schweden bereits auf ein Drittel reduziert hatte. Bei ntv lautete am 20.8.2020 die Überschrift „Covid-19 treibt die Zahl. Schweden zählt meiste Tote seit 150 Jahren“. Ebenfalls am 20.8. schrieb die Bild-Zeitung „Wegen Corona: Schweden hat die meisten Todesfälle seit 150 Jahren […] In der ersten Hälfte dieses Jahres verzeichnete Schweden so viele Todesfälle wie seit 150 Jahren nicht. Bis Ende Juni starben rund 4500 Menschen an Covid-19.“ Und der „Volksverpetzer“ schrieb am 20.8. „Schweden: Tödlichstes Jahr. Das widerlegt alle, die Schweden lobten: So viele Tote wie seit 150 Jahren nicht“.

Die drei letztgenannten Medien (sowie zahlreiche andere) haben einfach eine Reuters-Meldung vom Vortag mit der Überschrift „Schweden registriert höchste Anzahl an Toten seit 150 Jahren in den ersten sechs Monaten von 2020“ (19.8.2020: „Sweden records highest death tally in 150 years in first six months of 2020“) abgeschrieben und dabei den Reuters-Hinweis auf die stark gestiegene schwedische Bevölkerung in den letzten 150 Jahren interessanterweise weggelassen.

Ein Blick auf die Wirklichkeit

Nun ein Blick in die Wirklichkeit. Schweden verzeichnete im ersten Halbjahr 2020 501 Sterbefälle pro 100.000 Einwohner. In vier der letzten 10 Jahre war die Sterblichkeit im ersten Halbjahr höher als 2020: 2010 gab es 504 Sterbefälle, 2012 515, 2013 512, 2015 504. Das Jahr 2020 bildet damit ziemlich genau den Median der letzten 10 Jahre, liegt also ziemlich genau in der Mitte. Betrachtet man die Sterbezahlen bis Ende August, so liegt das Jahr 2020 an sechster Stelle innerhalb der letzten 11 Jahre seit 2010 und bildet damit exakt den Median. Von Übersterblichkeit oder gar einer Pandemie kann man da schwerlich sprechen, sonst hätte man innerhalb der letzten 11 Jahre in Schweden mindestens sechs Mal eine Pandemie ausrufen müssen.

Zur oft gehörten Aussage „höchste Todeszahl in Schweden im ersten Halbjahr 2020 seit 150 Jahren“ zeigen die realen Zahlen folgendes: Im schlimmen Jahr 1869, als u.a. wegen einer Hungerkrise die Sterblichkeit in Nordeuropa besonders hoch war, betrug die Anzahl der Sterbefälle je 100.000 Einwohner im ersten Halbjahr in Schweden über 1300. Im ersten Halbjahr 2020 belief sich die Sterblichkeit auf 501 Tote pro 100.000 Einwohner, betrug also weniger als 40 Prozent der Sterblichkeit des Jahres 1869. Die zahlreichen Medien – zu denen auch das Schwedische Statistikamt gehört -, die behaupteten, 2020 sei das schlimmste Todesjahr in Schweden seit 150 Jahren, informieren also äußerst irreführend, denn man unterlässt den Bezug zur Größe der Bevölkerung, die sich in diesen 150 Jahren etwa ver-zweieinhalbfacht hat. So einfach trickst man mit Statistiken.

Die realen Zahlen zu Schweden zeigen also ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die deutschen Leitmedien meistens berichteten: Es war und ist entgegen den deutschen Mediendarstellungen keine Pandemie und keine Übersterblichkeit in Schweden erkennbar, sondern ganz normale Sterblichkeit. Die oben angeführten deutschen Medien-Meldungen waren alle unzutreffend, falsch und irreführend. Der „Volksverpetzer“, der, meiner Meinung nach besser Volksverhetzer heißen sollte, ist einer der lügenhaftesten Blogs, die ich kenne. Er wird unter anderem von Facebook und Microsoft finanziert – das erklärt einiges – und bekam 2019 einen deutschen Medienpreis, den „Goldenen Blogger“. Armes Deutschland.

Warum wird über Schweden in den deutschen Medien derart unehrlich berichtet? Nun, angenommen, der schwedische Corona-Weg würde sich trotz des ganzen permanenten Schweden-Bashings doch als richtig herausstellen, dann würde man damit zugeben, dass der deutsche Umgang mit Corona falsch war. Dann müsste man auch zugeben, dass die allermeisten Panik schürenden Berichte der deutschen Mainstream-Medien zu Corona falsch oder irreführend waren. Das würde doch einige sehr unangenehme Fragen zu den deutschen Leitmedien und der deutschen Politik aufwerfen.

Vergleich der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und Schweden

Werfen wir nur einen Blick auf die ökonomische Entwicklung in Schweden und Deutschland. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte im zweiten Quartal 2020 um 11,3 Prozent, die schwedische um 7,7 Prozent. Im ersten Quartal 2020 ging die deutsche Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr um 2,2 Prozent zurück, die schwedische wuchs um 0,7 Prozent. (Stand 14.10.2020) Im ersten Halbjahr gab es in Deutschland also eine Wirtschaftsschrumpfung um 6,75 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in Schweden um 3,5 Prozent. Die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpfte also beinahe doppelt so stark wie die Schwedens. Das ist kein Zufall. Die staatlichen Zwangsmaßnahmen und Zwangsschließungen waren in Schweden nicht annähernd so schlimm wie bei uns, ganz zu schweigen vom Aushebeln der Menschenrechte und des Grundgesetzes in Deutschland.

Dazu kommt: Deutschland pumpt ungleich mehr schuldenfinanziertes Staatsgeld in die Wirtschaft als Schweden. Die Ratingagentur Fitch rechnet mit einem Anstieg der deutschen Staatsschulden um 14 Prozentpunkte vom BIP 2020 und einem weiteren Anstieg des Schuldenberges 2021. In Schweden sollen die Staatsschulden laut Fitch 2020 um 11 Prozentpunkte vom BIP steigen, aber 2021 bereits wieder sinken. Deutschland betreibt demnach deutlich mehr Konjunkturstimulation der Wirtschaft als Schweden.

Schuldenfinanzierte Staatssaugaben, sogenanntes deficit spending, bewirken normalerweise einen Anstieg des Sozialproduktes ungefähr in Höhe des Defizits, weil sie unmittelbar die Nachfrage ankurbeln. Obwohl also Deutschland eine deutlich stärkere schuldenfinanzierte Politik der Wirtschaftsankurbelung betreibt und pro Kopf deutlich mehr Geld in die Wirtschaft pumpt als Schweden, ist der Wirtschaftseinbruch fast doppelt so stark wie in Schweden. In Wirklichkeit, unter Einbeziehung der Konjunkturpolitik, ist also die Wirtschaftsentwickelung in Deutschland noch erheblich schlechter als die offiziellen Zahlen bisher ausweisen und viel schlechter als die Schwedens. In Wirklichkeit dürfte die deutsche Wirtschaft im ersten Halbjahr 2020 mehr als doppelt so stark abgestürzt sein wie die schwedische.

Dr. Marc Beise, seit 2007 Mit-Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung schrieb am 24.8. bei einem Vergleich von Schweden und Deutschland: „Da liegt die Frage nahe, ob sich der [sehr viel weniger restriktive schwedische Corona-] Kurs wenigstens wirtschaftlich gelohnt hat? Die Antwort ist ebenso interessant wie desillusionierend, sie lautet: Leider nicht einmal das. Die ökonomischen Kosten sind in beiden Ländern praktisch gleich.“ Diese Aussagen des Süddeutschen-Chef-Journalisten Dr. Marc Beise sind eine Verdrehung der Tatsachen und meiner Meinung nach schlichtweg eine Lüge, also eine bewusste Verdrehung der Wahrheit, um das gängige Narrativ der Süddeutschen Zeitung zu Schwedens und Deutschlands Corona-Politik aufrechterhalten zu können. Ich halte das für hochgradig verantwortungslosen Journalismus von Dr. Marc Beise, einem der Chefredakteure der Süddeutschen Zeitung.

Am 5.8. 2020 veröffentlichte der staatliche Deutschlandfunk einen Artikel, in dem es hieß: „Schweden verzeichnet trotz lockerer Corona-Maßnahmen einen mit Deutschland vergleichbaren Wirtschaftseinbruch“. Auch das stimmt schlichtweg nicht mit den Tatsachen überein, sondern ist eine objektive Unwahrheit und meiner Meinung nach eine Lüge, also eine bewusste Falschdarstellung. Der deutsche Staatssender soll meiner Meinung nach die deutsche Regierungspolitik rechtfertigen, und zwar offenbar um jeden Preis, auch um den Preis der Wahrheit. Nun muss man von einem Staatssender nicht erwarten, dass er anderes als Hofberichterstattung betreibt. Das macht diese Art von weisungsgebundenem Gefälligkeits-Journalismus, wie wir ihn in praktisch allen Staatsmedien, allen voran ARD und ZDF, seit Monaten häufig erleben, nicht besser oder gar vertrauenswürdiger.

Fazit

Angesichts der derzeitigen Corona-Hysterie in den deutschen Leitmedien, der deutschen Politik und der Bevölkerung wäre ein Blick auf Schweden mehr als hilfreich. Der schwedische Umgang mit Corona ist auf so ziemlich allen Gebieten dem deutschen weit überlegen. Die deutsche Corona-Politik ist, verglichen mit der schwedischen, ein Desaster und eine Sackgassenpolitik, vor allem ökonomisch. Die Berichterstattung zu Corona in den deutschen Massenmedien ist geradezu verantwortungslos einseitig, unehrlich und von großer Arroganz geprägt. Lasst uns endlich zu mehr Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit in den deutschen Mainstream-Medien und der deutschen Politik kommen! Lasst uns den Hochmut überwinden. Lasst uns von Schweden lernen!

Zum Autor:

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD), Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Allexxandar / shutterstock

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