Antikriegstag: Rede von Bernhard Trautvetter (DGB Essen und Essener Friedensforum)

Eine Rede von Bernhard Trautvetter, auf einer Veranstaltung des DGB Essen und des Essener-Friedensforums, am 30.8.2018 zum Antikriegstag [1. September 2018].

Liebe Friedensfreundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich begrüße Euch herzlich zu unserer Antikriegstags-Veranstaltung in bedenklicher Zeit.

Ich beginne mit dem, was ich nicht sagen werde:

Unsere Wegbereiter fanden sich vor 85 Jahren teilweise in KZs wieder und in Anlehnung an Martin Niemöllers Text gilt heute, zumal Menschen über Straßen gejagt werden, weil sie fremd aussehen: Zuerst verfolgten sie die, zu denen ich nicht gehörte. Als sie mich verfolgten, war keiner mehr da, der protestieren konnte.

Ich sage auch nichts dazu, dass die Gewerkschaften und die Friedensbewegung eine lange gemeinsame Geschichte haben, die teils über den ersten Weltkrieg hinaus in die Vergangenheit greift. 1912 warnten Gewerkschaftler, Linke und Pazifisten vor einem in den Abgrund rollenden Lastwagen, den wir mit unseren Seidenfäden aufhalten müssten.

Ich zitiere hier allerdings den damaligen DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter, der uns  am Antikriegstag 1981 in Düsseldorf aufforderte: „Laßt uns überall in der Welt Dämme gegen jede kriegerische Politik bauen.“ Wir beziehen uns in diesem Zusammenhang immer auf Willy Brandt’s Satz „Ohne den Frieden ist alles nichts.“

Dieser Satz begleitet uns, wenn wir uns gegen die Militarisierung der nationalen und internationalen Politik und für Verhandlungslösungen im Rahmen des Völkerrechts statt des Unrechts des Stärkeren engagieren.

Bertha von Suttner’s allerletzter Satz, ehe sie nicht mehr atmete, stimmt im Atomzeitalter mehr noch als zu ihrer Zeit: „Die Waffen nieder! – sag’s vielen – vielen.“

Das gilt auch für Waffen, die streng genommen keine sind. Waffen sind Mittel zum Angriff oder zur Verteidigung. Die heutigen Wasserstoffbomben sind demgegenüber Mittel für Selbstmordattentäter, die die gesamte Menschheit mit sich ins Inferno reißen können.

Auch die Information ist ein Instrument, das zur Zerstörung missbraucht werden kann. Die Nato spricht dann von Informationskrieg oder psychologischen Operationen. Hier ein Beispiel, wie sie uns für ihre brandgefährliche Strategie zu gewinnen versuchen: Am 8.10.2015 las man in der Bildzeitung: „Die Nato ist schwer besorgt über den immer aggressiveren weltpolitischen Kurs Moskaus. … Das Bündnis will seine Nuklearstrategie anpassen. Dabei dürfte es unter anderem um ein modernes Arsenal und möglicherweise sogar um eine Atomwaffenaufstockung gehen… .“ Der Beschluss über die Weiterentwicklung der Nuklearrüstung fiel Jahre zuvor auf dem Nato Gipfel im Mai 2012, und er hatte weder etwas mit Syrien, noch mit der Krim zu tun, auch wenn die Nato immer so tut, um uns für ihre Eskalation zu gewinnen.  Das Gut-Böse-Schema geht in einem Fort eindeutig gegen den Osten. Vergessen, dass die meisten und massivsten Völkerrechtsbrüche seit dem Ende des kalten Krieges von Nato-Staaten ausgingen.

Die Ukraine und die Krim werden auch zum Kronzeugen für ihre Aufrüstung missbraucht. Die Nato bräuchte weit mehr als das derzeitige Vierzehnfache der russischen Militärausgaben. Wenn sie die Krim zur Wegscheide nehmen, blenden sie z.B. den vorher gehenden Rechtsbruch bei der Installierung einer pro-westlichen Regierung ebenso aus, wie die gewaltsame Besetzung Nordzyperns durch die Türkei.

Genau diesen Propaganda-Trick wenden auch die Dokumente an, die der nächsten Konferenz der Kalkarer Nato-Strategie-Schmiede Joint Air power Competence Centre in sechs Wochen in der Messe Essen zugrundeliegen. Die Strategen sprechen von einer russischen Invasion in die Ost-Ukraine, seit die Nato ihre Vorne-Präsenz direkt an der russischen Grenze mit tausenden Soldaten verstärkt habe.(1) Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa widersprach der Nato und der pro-westlichen Übergangsregierung der Ukraine in diesem Punkt schon vor vier Jahren.(2)

In der Eskalationspolitik spielt die Luftleitzentrale der Nato, wo die Strategieschmiede Joint Air Power Competence Centre stationiert ist, eine Schlüsselrolle im Konzept, das sie C2 nennen – es steht für die englischen Worte Kontrollieren und Kommandieren. Das macht die Zentrale Kalkar auch für das Baltikum. Dazu schreibt die NRZ [vom 31.8.2018]: „Deutsche überwachen … Nato-Grenze…  Deutschland übernimmt die Aufgabe zum zehnten Mal. … Im Zuge der Nato-Luftraumüberwachung des Baltikums kam es …zu einem … Zwischenfall: Ein …Eurofighter hatte Anfang August eine scharfe Luft-Luft-Rakete unbeabsichtigt im Luftüberwachungsgebiet … abgefeuert. Wo der Flugkörper niedergegangen ist und ob er explodiert ist, ist  … unbekannt.“(3)

Es ist nicht auszudenken, was aus solchen Missgeschicken nahe der Westgrenze einer Atommacht alles erwachsen kann. Die sogenannte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der europäischen Nato-Staaten erweist sich als ein Tanz auf dem Pulverfass an den Fundamenten der Zivilisation.

Es kommt noch krasser:  Zu den seit der Krim legitimierten militärischen Handlungen gehört der Plan, von Nato und EU, innerhalb Europas schnell Truppen und Militärgerät dahin zu transportieren, wo sie eingesetzt werden sollen. Angesichts der Spannungen im Verhältnis zu Russland schlägt die EU-Kommission vor, innerhalb der nächsten zehn Jahre 6,5 Mrd. Euro in panzertaugliche Verkehrswege zu investieren(4); das gilt für Brücken, Straßen und Bahnstrecken. Die EU-Kommission spricht von “Militärischer Mobilität”.(5)

Das vor zwei Jahren von der Bundesregierung beschlossene “Konzept Zivile Verteidigung” umfasst Vorkehrungen für den Fall eines konventionellen Krieges, eines Atomkrieges, eines Krieges mit biologischen und chemischen Massenvernichtungsmitteln und eines Cyberkrieges. Derartige Szenarien offenbaren uns die Gefahr. Es gehört zu den Wahrheiten des  Lebens, dass sich im Falle eines nuklearen Infernos für die nächsten einhunderttausend Jahre niemand mehr in unserem Land blicken lassen dürfte. Schon im Falle eines konventionellen Krieges wäre diese Gefahr konkret, alleine im Angesicht der über sechzig Nuklearanlagen im Atomland Deutschland.

Trotzdem will man mit einer sogenannten proaktiven Informationsstrategie die Bevölkerung auf mögliche Gefahren und Bedrohungen sowie ihre möglichen Konsequenzen für den Staat und die Bevölkerung vorbereiten, wie Seite 16 des Konzeptpapiers besagt.(6) Dazu gehört ein Massenanfall von Verletzten, das Konzept der Bundesregierung nennt es “MANV”.(7)

Die Konferenz der Nato-Militärs in sechs Wochen in Essen wird im Forum zwei die Fragen thematisieren, ob die Nato die Haltung und Bereitschaft hat, in Englisch heißt das “Mindset”.

Nach Website der einladenden Strategieschmiede aus Kalkar gibt es eine Aversion gegen das Auftreten von vielleicht sogar vielen Opfern(8), die in die Psyche der Bevölkerung und des Militärpersonals eindringt, sodass es darum gehe, die Bevölkerungen neu zu orientieren, in die Richtung der Kernaufgaben der Nato.

Die Konferenz, die dies verhandelt, tagt unter dem Titel „Der Nebel des Tages Null – Luft und Weltraum an der Frontlinie“.(9)  Angesichts der europäischen Industrielandschaften würde ein Kampfgeschehen im gesamten Gebiet Europas einen Nebel der Unbewohnbarkeit hervorbringen. Beim GAU in Tschernobyl war nur ein Teil der Reaktormasse freigesetzt worden und hat noch tausende Kilometer vom Reaktor entfernt Versuchung bedeutet.

Wir engagieren uns gemeinsam gegen den Wahnsinn, die nukleare Verseuchung inkauf zu nehmen  und dafür, dass es Frontlinien nicht mehr gibt.

Unser aller Leben hängt davon ab, dass wir es zu einem solchen Nebel nicht kommen lassen. Solche Tagungen wie die nächste Essener Nato-Konferenz, die für die Politik der Nato insgesamt stehen, gefährden den Frieden, untergraben das friedliche Zusammenleben und damit das Leben der Völker und sie sind somit zu verbieten. Die Nato, aber nicht nur sie, sondern die mit ihr kooperierenden EU-Militärpakt-Strukturen und damit auch die Militäreinrichtungen der Mitgliedsstaaten erweisen sich als Einrichtungen, die den Überlebensinteressen der Menschheit im 21. Jahrhundert widersprechen. Die Friedensbewegung nimmt diese Tatsache nicht hin. Die nächsten Möglichkeiten, sich an den Aktionen dagegen zu beteiligen, sind im Großraum Rhein-Ruhr am 3.10. in Kalkar und am 6.10. in Essen.(11)

Quellen

(1)  https://www.japcc.org/wp-content/uploads/JAPCC_Read_Ahead_2018.pdf

(2)  http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2014/09/65820/

(3) NRZ vom 31.8.2018

(4) http://www.fnp.de/nachrichten/politik/EU-will-fuer-6-5-Milliarden-panzertaugliche-Strassen-bauen;art46560,3009406

(5)  https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/2018-military_mobility_action_plan.pdf

(6) https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/bevoelkerungsschutz/konzeption-zivile-verteidigung.pdf;jsessionid=9671A38DD5435B5FBAE027425754B837.1_cid364?__blob=publicationFile&v=1

(7) ebenda, S. 14

(8)  https://www.japcc.org/conference/conference-topics/

(9) ebenda

(10) ebenda, S. 83 ff.

(11) https://www.japcc.org/conference/conference-topics/ und http://www.no-natom-krieg.de/

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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