Alles hängt mit allem zusammen – Ein Gedicht über den Raum und über die Zeit

von Bernhard Trautvetter.

Mein Unterhemd verbindet mich
mit Indira und ihrer Familie.
Ihr Lohn in der Textilfabrik
reicht nicht
zum Leben und zum Sterben.

Mein Handy verbindet mich
mit Nelson und seiner Familie.
Ihr Risiko beim Abbau
seltener Erden
begleitet uns
wenn das Handy vibriert
wenn neue Daten heruntergeladen werden.

Meine Mahlzeiten verbinden mich
mit Isabel von der Plantage,
deren Wasserbedarf
den Dörfern ihrer Schicksalsgenossen
Lebensgrundlagen entzieht.
Der globale Welthandel des Kapitals führt sie
geradewegs ins Verderben.

Mein Akku läuft nur,
weil Pablo und seine Familie in den Anden
durch die Minenkonzerne aus der reichen Welt
die letzten Chancen geraubt werden,
in der immer massiver verwüsteten Welt,
da, wo ihre Mütter und Väter
schon viel zu früh starben,
irgend etwas, wovon man leben könnte,
zu erwerben.

Gut, bei uns vertrocknet der Wald
und unter der Stadt sinkt der Grundwasserspiegel,
aber irgendwie kommen wir bis jetzt immer noch klar,
während Klimaflüchtlinge aus Gebieten,
in denen seit Jahren kein Tropfen mehr vom Himmel fiel,
auf der Flucht ins Überleben
in den Fluten der Außengrenze Europas
in der Mitte der Meere sterben.

Ich bin auch verbunden mit dem Menschen
ohne Gesicht und ohne Obdach auf dem Gitter
der U-Bahn-Lüftung am Bahnhof,
er konnte seine Miete nicht mehr zahlen
nach der Einstellung der Stütze
als Folge von Sanktionen,
die ihn unter das Existenzminimum trieben.

Ich bin auch mit Herman aus gutem Hause verbunden,
der die Abschreckung am roten Knopf
im Schutzbunker während das Manövers
Cold Igloo nuklear zu Ende führt.
Er hat nie gelernt, ‘Nein’ zu sagen,
weil sein Einkommen davon abhängt,
dass er den Befehl
bis zur letzten Konsequenz einhält.

Wir sind auch mit jenen verbunden,
die vom System des Friss oder Stirb
derzeit noch an den letzten verbliebenen Fleischtöpfen
den Luxus genießen, solange es noch geht.
Auch sie haben tief innen im Gewissen,
das ja etwas mit Wissen zu tun hat,
klar, ewig kann das alles nicht mehr so weiter gehen
zwischen ökologischen, atomaren, sozialen und Kriegsgefahren.
Wasser wird jeden Tag ein Grad wärmer, wenn die Zuführung
an Energie kontrolliert verläuft. Spätestens am hundertsten Tag
explodiert der Kessel.
Dann tritt das Vorhersehbare für viel zu viele überraschend ein.
Das aber darf nicht sein.

Deshalb sind Pablo und Indira mit uns verbunden,
wenn wir uns aufbäumen gegen das System
des Todes,
bei jedem Schritt und Atemzug durch den Alltag
des geschäftigen Treibens unserer medial
verblendeten Welt.
Denn wir wollen leben,
das heißt: wir wollen die Erde unseren Kindern
lebendig übergeben.
Auf uns liegen die Augen
der Ungeborenen und derer, die ihr Gesicht verbergen.
Wir haben vielleicht nur dann noch eine Zukunft,
wenn wir die Erkenntnis
in jedem Atemzug
mit Leben erfüllen
Alles hängt mit allem zusammen.

Wir sind verbunden
mit den fernen und nahen Opfern
der Kriege der Macht
in unseren Staaten,
egal ob wir gegen Gewalt aufbegehren
oder nicht.
Auch unsere Tränen sprechen davon
ob wir sie zulassen oder nicht.

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Bildhinweis: Foto-Ruhrgebiet / shutterstock

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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