Abstieg vom Sondergipfel

Ein Beitrag von Rob Kenius.

Die Tagung des Europäischen Rates, der Sondergipfel, der am Morgen des 21.07.2020 endete, hat die größte Geldsumme in der Geschichte der EU bewegt und das verursacht den ersten großen Schuldenberg der Gemeinschaft. Für die Finanzwelt ist es ein vielversprechendes Ergebnis. Wer mit Geld handelt, kann ein gutes Geschäft machen.

Die Summe von 1,8 Billionen Euro ist für Staatsfinanzen viel, es ist aber in der Finanzwelt 2020 eine gängige Größenordnung. So etwas wird fast täglich an den Börsen der Welt bewegt. Man wird das fehlende Geld leicht beschaffen können, den Staaten zur Verfügung stellen und die Rückzahlung der Jugend Europas überlassen.

Wer trägt die Schuldenlast?

Die Kommunen machen Schulden, die Länder machen Schulden und der Bund macht Schulden. Jetzt ist noch eine höhere Ebene eingezogen worden: Die EU macht ebenfalls Schulden. Jeder, der in Deutschland mit seiner Hände Arbeit, seinem Geschäft oder seiner Dienstleistung ein Plus macht, wird einen hohen Anteil an Tilgung und Zinsen zahlen.

Die Gipfelstürmer gebärden sich als erschöpfte Sieger und als Wohltäter gegenüber den Armen. Wohltaten mit dem Geld der anonymen Masse ihrer Wählerinnen und Wähler, ganz besonders aber mit dem Geld der zukünftigen Generation.

Es ist viel leichter, Schulden aufzunehmen und Geld der Staaten an andere Staaten zu verteilen, als direkte Einnahmen der EU in Form von Steuern zu generieren. Wer das verstehen will, muss sich nur etwas mit der verzwickten Konstruktion der EU befassen.

Wer entscheidet was und was nicht?

  1. Die Kommission (Exekutive der EU), mit 27 Mitgliedern, aus jedem Land eins, das aber nicht sein Land, sondern ein Ressort vertritt (Institutionalisierte Inkompetenz).
  2. Der Ministerrat (Rat der Europäischen Union), der in verschiedenen Zusammensetzungen gelegentlich tagt und die Gesetzgebung bestimmt. Es kommen jeweils 27 Minister zusammen, aber nie die gleichen, daher hat der Rat keine Konsistenz, kein festes Gremium.
  3. Die Gipfeltreffen (Europäischer Rat), Tagungen wenigstens zweimal im Jahr. Soll eigentlich nur Impulse setzen, nachdem die 27 Regierungschefinnen und -chefs sich geeinigt haben. In der Ära Merkel & Macron versucht man durchzuregieren, was aber meistens nur in der Mediendarstellung gelingt.
  4. Das Europäische Parlament, das keine Macht über Geld hat und nur nachträglich zustimmen darf wie bei der Wahl von Ursula vdL geschehen.

Was der Sondergipfel nicht berührt hat, sind Gewinne und Vermögen der Riesen: Amazon, Google, Facebook, Ikea und andere, die sich in den europäischen Finanzoasen angesiedelt haben. Unter diesen Finanzoasen sind nicht nur die britischen Jungfern-Inseln, sondern auch einige Gipfelteilnehmer: Luxemburg, Irland, Niederlande, Zypern, Malta.

Das Motto des Sondergipfels ist sonderbar: Schulden machen und keine Steuern einnehmen!

Fragen der Besteuerung von Goßgeldbesitzern haben die Gipfelstürmer nicht verhandelt. Das ist auch gar nicht möglich, weil die Statuten der EU alle Beschlüsse verhindern, die ins Steuersystem einzelner Länder eingreifen. Auch Steuern direkt in die Kasse Europas wurden nicht diskutiert. Ausgaben ja, direkte Einnahmen nein.

Dabei gibt es sehr sinnvolle Bereiche, wo die einzelnen Länder machtlos sind, die Gemeinschaft aber satte Summen kassieren könnte: Transaktionssteuer, Steuer auf Kerosin, Steuer auf Börsengewinne, Transportsteuer.

Da schweben sie drüber in Brüssel und wenn sie vom Gipfel herabgestiegen sind, können sie wieder sagen: Das muss Brüssel entscheiden. Nein, das soll nicht Brüssel entscheiden, denn Brüssel entscheidet nur zu Lasten der Normalbürger. Jetzt sollten endlich mal die Betroffenen, die Bürgerinnen und Bürger Europas in einem demokratischen Verfahren in der EU entscheiden. Es wird langsam Zeit.

Doch Europa-Demokratie ist etwas, das bisher in den Statuten der EU noch nicht vorgesehen ist.

Wer sind die Gewinner des Sondergipfels?

An erster Stelle die Finanzwirtschaft, weil sie an der Vergabe von Krediten verdient. Das gilt auch dann, wenn die Zinsen sehr niedrig sind oder bei Null liegen. Bei der Kreditvergabe durch die EZB oder durch private Banken wird die Geldmenge erhöht und Geld zirkuliert in der neoliberalen Weltordnung so, dass es nach oben driftet, in die Hände der Großgeldbesitzer.

An zweiter Stelle gewinnen die beteiligten Regierungschefs, die es so beschlossen haben.

Die Kredite, die gewährt wurden, sollen erst ab 2028 in dreißig Jahren zurückgezahlt werden. Weshalb? Die meisten derjenigen, welche die Beschlüsse gefasst haben, werden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Amt sein und haben mit den Schulden, die sie 2020 machen, im Jahre 2028 nichts mehr zu tun. An erster Stelle gilt das für Angela Merkel, die große Lichtgestalt in den Medien, die ihren Rückzug aus der Politik schon zeitig angekündigt hat.

Die Zukunft ist ein Loch.

Kredit auf die Zukunft ist ein Gedanke, der Politiker seit ewigen Zeiten zum Schuldenmachen verleitet. Schulden gerne. Abzahlen sollen die anderen. Kinder und Jugendliche von heute sind die Zahlungsverpflichteten von morgen, 30 Jahre lang, ab 2028. Wer jetzt zwölf ist, zahlt ab 20 bis zum Alter von 50. Herzlichen Glückwunsch dann zum halben Hundert!

Dass die Regierungen derjenigen Länder, die nicht nur Kredite, sondern auch Geld geschenkt bekommen, zu den Gewinnern gehören, ist selbstverständlich. Eine Kontrolle darüber, was sie mit dem Geld machen, gibt es in den Strukturen der EU nicht. Es gibt nur verbale Richtlinien. Und auch die Bremser, die geizigen Vier, können sich als Gewinner darstellen, denn sie haben auf ihr Angebot von 350 Milliarden nur 40 Milliarden drauf gelegt.

Zu den Gewinnern gehören auch die schon erwähnten Steueroasen, sie dürfen weiter den großen EU-Mitgliedern Steuern abluxen. So haben alle Grund, zufrieden zu sein, bis auf die Steuern zahlenden Bürgerinnen und Bürger Europas, besonders die jungen, welche die Zeche innerhalb der nächsten Jahrzehnte abzahlen müssen.

Die staatlichen Rundfunk-Anstalten und die privaten Medien, im Besitz reicher Familien, sind schon jetzt dabei, den Sondergipfel 2020 als positives historisches Ereignis zur Rettung Europas und der (deutschen) Wirtschaft zu verkaufen.

Na, dann herzlichen Glückwunsch an die Gewinnerinnen und Gewinner, es war nichts anderes zu erwarten. Wir kämpfen weiter für Demokratie und ein Europa der Völker, der Menschen und Bürgerinnen.

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Rob Kenius betreibt die Seite kritilit.de

Das Gespräch mit Ken Jebsen findet Ihr hier.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildquelle: Leonid Andronov / shutterstock

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