1984 ist 2020 oder: Liebe ist Hass | Von Rob Kenius

Ein Beitrag von Rob Kenius.

In unserer Stadt gibt es, oft in der Nähe von Kirchen oder Gemeinschaftsräumen, für alle Passanten zugängliche Schränke zum Tausch von Büchern. Sie sind von beiden Seiten mit Glastüren versehen, so dass man Bücher hineinstellen oder entnehmen kann. Das Hineinstellen ist schwieriger als das Mitnehmen; denn die öffentlichen Tauschbücherschränke sind vollgestopft. Es lohnt sich aber, hinein zu schauen, man findet immer etwas. Und wenn uns ein Buch nach kurzer Lektüre nicht gefällt, kann man versuchen, es auf dem gleichen Weg wieder los zu werden.

So fiel mir vorgestern eine Ausgabe aus dem Jahr 2019 (!) des Romans 1984 in die Hände. Obwohl ich das Buch schon vor seinem Verfallsdatum gelesen hatte, nahm ich es mit, nicht zuletzt wegen der ansprechenden Aufmachung. Da ich Bücher von der ersten Seite an lese, auch Impressum und Vorwort, erfuhr ich gleich Bemerkenswertes über den Autor:

George Orwell, mit bürgerlichen Namen Eric Arthur Blair, wurde nur 46 Jahre alt und starb im Jahr 1950, gleich nach Erscheinen seines weltbewegenden Romans, den er 1948 beendet hatte. Er hat seinen Erfolg nie erlebt.

Früher hatte ich mich gewundert, wieso Orwell die Zukunft nicht weiter vordatiert hatte. Was sind schon 36 Jahre Zukunft? Für ihn aber war das weit über sein kurzes Leben hinaus, denn er fühlte sich dem Tod nahe. Er vertauschte nur die beiden letzten Ziffern der Jahreszahl. Geschrieben 1948, Zeit der Handlung 1984.

Die meisten Autoren von Zukunftsromanen sind da vorsichtiger, sie möchten nicht so schnell durch die Realität überholt werden. So hieß es in einem bekannten Hit:

In the year 2525

if man is still alive…

Schon im Jahre 1985 betrachtete ich den Roman 1984 als überholt, weil der Generalsekretär Michail Gorbatschow so gar nicht in die Figur des Großen Bruders passte. Das Buch wurde zur Zeit Stalins verfasst und als die Sowjetunion sich friedlich auflöste, war 1984 für mich endgültig erledigt. Ohne die Tauschaktion am öffentlichen Bücherschrank hätte ich den Roman nie wieder angepackt.

Die Tauschoperation

Doch als ich das Buch wieder aufschlug, war ich schon nach drei Seiten fasziniert! Alles schien aktueller denn je. Die Falschwörter, Neusprech, die Unehrlichkeit der Nachrichten, Geheimnistuerei, Unsicherheit der Informationen, Kontaktarmut zwischen den Menschen, Verlogenheit der Politiker, Hetze gegen imaginäre Feinde, das alles kam mir näher vor als bei der ersten Lektüre, viel näher, es ist auf einmal alltäglich und beklemmend nahe, hier bei uns in der freien westlichen Welt.

Das macht nachdenklich. Erst der Zifferntausch des Autors beim Titel des Buches, dann ein öffentlicher Bücherschrank zum Tausch von Büchern und dann kam mir die Idee einer weiteren Tauschoperation, diesmal mit Zahlen: Vertauschen wir doch Vergangenheit und Zukunft um den Zeitabstand von 36 Jahren.

Im Jahr 1984 lag die Fertigstellung des Romans 36 Jahre zurück, 1984 – 36 = 1948

Was ist, wenn wir die Richtung vertauschen, von 1984 an noch einmal 36 Jahre in die Zukunft, wo landen wir da?

1984 + 36 = 2020

Allerhand! Man landet im Jahre 2020, dem Jahr wo man alle wichtigen Probleme der Welt in unseren Köpfen mit einem Virus vertauscht hat. Die Geschichte spielt jetzt nicht mehr in Ozeanien, sondern in der Wertegemeinschaft der freien Westlichen Welt und darüber hinaus in der globalisierten Wirtschafts- und Finanzwelt.

Was ist hier los?

Wir werden auf allen Kanälen mit Nachrichten überschüttet und wissen nicht, was wir glauben sollen. Das größte Problem ist die absurde Finanzlage: Staaten machen Schulden, inzwischen die größten Schulden aller Zeiten, sie borgen sich hunderte Milliarden von den Banken. Dort aber wird dieses Geld per Mausklick am Computer erzeugt. Es wird an die Staaten ausgeliehen, die es in die Wirtschaft pumpen, wo es kurze Zeit rotiert und dann auf Konten der gleichen Leute landet, wo es als Kredit hergekommen ist. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung, sie können damit wieder machen, was sie wollen.

Das Geld entsteht bekanntlich erst bei der Schuldenaufnahme. Und die größten Schulden sind die der Regierungen. Das Geld wird durch Gutschrift generiert und muss von den Bürgern, im Namen der Demokratie, und von ihren Kindern und Enkeln, im Namen der Biologie, an die Finanzwelt zurückgezahlt werden. Das ist so absurd, dass George Orwell es nicht besser hätte erfinden können, wenn er etwas länger gelebt hätte. Aber es ist Realität und ich bin bereit, jederzeit den Beweis anzutreten, dass die absurde Realität genau so funktioniert.

Alles geschieht mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie die Essensausgabe und das Ausschenken von Victoria-Gin in der Kantine des Wahrheitsministeriums in 1984.

Wir hier aber können, wenigstens auf einer Webseite, öffentlich fragen: Wozu macht die Regierung diese immensen Schulden und ermöglicht der Finanzwelt im Jahr 2020 die größte Geldvermehrung aller Zeiten? Es geschieht offiziell für Maßnahmen, um ein Virus zu bekämpfen, das sich zwar schnell ausbreitet, aber nur wenigen Menschen gefährlich wird.

Die Menschen sind winzig klein und das Virus ist riesengroß wie im Roman der Große Bruder, von dem man nicht einmal weiß, ob er wirklich existiert. Das Virus existiert wirklich, daran ist kein Zweifel, aber seine Wirkung ist schwach. Es trifft Menschen, deren Todesrisiko wegen ihres hohen Alters schon viel größer ist als wegen irgendeiner noch hinzu kommenden Krankheit.

Das alles ist verbunden mit einer offiziellen Sprachverwirrung, wie Orwell sie vor zwei mal 36 Jahren schon beschrieben hat. Es ist verboten, diese Krankheit eine Grippe zu nennen, aber kein Arzt kann den Unterschied zu einer Grippe erkennen. Nur die Virologen können etwas erkennen, sie können mit modernsten Mitteln jedes Virus identifizieren und behaupten, wenn sie es 45 mal verdoppeln, also 128 Billionen mal vermehren, können sie es im Speichel nachweisen. Sogar das Erbgut kann man sequenzieren und sie sehen, wie das Virus sich langsam durch Mutationen verändert.

Das ist sensationell, aber nichts daran ist neu; denn dass solche Viren existieren, sich verbreiten und schnell mutieren, weiß man schon lange. Neu ist nur, dass Sprecherinnen und Sprecher im Fernsehen und die Texte in allen Medien das täglich wiederholen, wobei diese Nachrichten langsam mutieren und die Akzente verlagern.

Doppeldenk und Neusprech

Es gibt in 2020 keinen Großen Bruder wie in 1984, aber alle Medien, alle Zeitungen, alle Sender und Mediatheken reden, diskutieren und verkünden ein einziges Thema: Das schwache Virus, das sich so schnell ausbreitet und mutiert, schneller als die Menschen krank werden und sterben können.

George Orwell schildert, wie das Nachdenken über Ungereimtheiten und Widersprüche durch Doppeldenk verschwindet. Doppeldenk bringt Realität und Neusprech im Kopf zusammen und erzeugt an der Oberfläche Konsens mit den anderen, wie es verlangt wird.

Unsere Politiker, unter denen es keinen richtigen Big Brother gibt, haben sich der Sache gleich bemächtigt. Sie ignorieren alle Probleme, selbst Kriege im nahen Osten und kümmern sich intensiv um die Gesundheit.

Ist das eine Kampagne? Ist es Ablenkung? Ist es eine Ablenkungskampagne von den Problemen, welche die Regierung nicht bewältigt hat? Umwelt, Energie, Klimawandel, Umverteilung, Vermögenskozentration, Polarisation der Finanzmacht, Herrschaft der Finanzoligarchen?

Es gibt keinen Großen Bruder, aber die kleinen Schwestern des Großen Bruders möchten genau so wie der Große Bruder von den Problemen ablenken, die sie nicht bewältigen. Sie kümmern sich rührend darum, die Menschen vor einer Krankheit zu beschützen, die sie vielleicht nie bemerkt hätten, wenn nicht die Virologen so kreativ und erfolgreich wären.

Die Virologen sagen: Virus ist Infektion, Infektion ist Krankheit. Viele Viren sind viel Krankheit. Millionen Viren sind Millionen Kranke. Das Virus ist unser Feind. Es gibt keinen Frieden, so lange der Feind existiert. Unseren Feind können wir mit einem PCR-Test nachweisen und die täglichen Zahlen können wir zusammenrechnen. Hütet euch vor großen Zahlen und gefährlichen Zahlen-Kombinationen, den Inzidenzen.

Die Maßnahmen gegen das Virus, das kein Grippevirus ist, sind einfach. Es sind die gleichen wie gegen ein Grippevirus: Distanz halten, nicht ohne Mundschutz reden, nicht singen, nicht tanzen, kein Sport, nicht zum Frisör, nicht ins Café, nicht in die Kneipe. All das ist einfach zu realisieren. Nicht nur freiwillig sondern auch mit Zwang, aber leider ohne nennenswerten Erfolg. Doch das macht nichts, es kommt auf die Zustimmungswerte an. Es ist wie im Roman 1984. Die Zustimmung kommt mit der Propaganda durch Doppeldenk.

2020 war das Jahr des Doppeldenk und des Falschzähl. Virus ist Infektion. Infektion ist Krankheit. Krankheit ist Tod. Statistik kennt der Große Bruder nicht. Korrelationen sind Kausalität.

Wir vermuten und spüren, dass dieses Virus ziemlich harmlos ist, aber wir haben Angst, von der Gedankenpolizei als Querdenker erwischt zu werden, wenn wir denken, alles sei halb so schlimm. Das wäre schlimmer, als sich das Virus einzufangen. Wir sind froh, dass wir Mundschutz tragen, damit wir uns nicht verplappern.

Falsches Denken kommt aus falschen Köpfen

Sind wir jetzt im Roman 2020? Oder ist der Roman 1984 nach zwei mal 36 Jahren in der Wirklichkeit angekommen? Wir wissen es nicht.

Aber es gibt Fakten: Die Ausbreitung des Virus kann nicht verhindert werden, es wird nicht einmal verhindert, dass es in Pflegeheime eindringt, wo Menschen leben, die im Schnitt nur noch ein bis zwei Jahre zu leben haben. Sogar dort kann es sich ausbreiten und den unvermeidlichen Tod beschleunigen, trotz all der Maßnahmen in Schulen und Supermärkten.

George Orwell hat vorhergesehen, wie man die Sprache durch Zwänge vergewaltigen kann.

Man sagt nicht:

Der Mensch ist sterblich, besonders im Alter, und einige sterben, wenn sie von Viren befallen werden.

Nein, man sagt:

Das Virus ist tödlich.

Die größte Gefahr besteht darin, dass man kurz hintereinander mehrmals befallen wird. Das geschieht, wenn das Virus sich in einer kleinen Gruppe hin und her ausbreitet. Das ist nichts Neues, es gilt für fast alle Viren. Aber dieses Virus ist anders, es ist groß wie der Große Bruder und überall auf dem Teleschirm.

George Orwell hat vorhergesehen, wie sehr die Menschen bereit sind, an eine Parole zu glauben, die immer wiederholt wird. Er hat geschildert, wie die wahren Worte und Tatsachen umgedreht werden:

Virus im Speichel ist Krankheit.

Krankheit ist Tod.

Kontakt ist Rücksichtslosigkeit.

Ungläubige sind Gefahrenbringer.

Denker sind Querdenker.

Zweifler sind Idioten.

George Orwell hat vorhergesehen, wie hinter den Kulissen etwas ganz anderes abläuft als in der Öffentlichkeit. Hinter den Kulissen läuft die Wirtschaft weiter, man sieht, wie auf der Autobahn die Schlange der LKWs nicht abreißt, aber die Kinder dürfen nicht zur Schule. An der Börse steigen die Aktien rasant, aber die Läden in der Stadt müssen geschlossen bleiben.

George Orwell hat vorhergesehen, wie durch und durch ungerecht ein totalitäres System ist. Die einen sitzen zu Hause und werden voll bezahlt, die anderen werden arbeitslos. Die einen bestellen am Bildschirm alles, was sie wollen, und sie schicken es hin und her, was die anderen für einen Hungerlohn verpacken, transportieren, sortieren, zustellen, wieder abholen, zurückbringen und wegwerfen. Alles ist portofrei, weil die Portierenden nichts verdienen.

Wer von der Wirklichkeit wütend wird oder Angst hat, wahnsinnig zu werden, dem kann ich nur empfehlen, zur Ablenkung, 2020 – 36 = 1984 noch einmal zu lesen, wenigstens die ersten 150 Seiten, und zu hoffen, dass 2020 + 36 die Schulden von 2020 durch die Enkel abbezahlt worden sind und dass die Zukunft sich mehr an die Realität hält als die Gegenwart.

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Das Buch 1984 von George Orwell wird in diesem Zusammenhang empfohlen.

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Rob Kenius betreibt die Webseite kritlit.de

Es gibt ein Interview aus dem Juni 2020 mit Ken Jebsen: apolut.de/rob-kenius

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Wachiwit / shutterstock

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